Pechschwarze Komödie über den Trauermarsch zu einer Beerdigung, bei dem allerhand unerwartete und zunehmend absurde Dinge geschehen.
FAST FACTS:
• Regiedebüt des gefeierten belgischen Schriftstellers Dimitri Verhulst
• Teilnahme am Erstlingswettbewerb des 28. Tallinn Black Nights Film Festival
• Atlas International Film hat sich die internationalen Vertriebsrechte gesichert
CREDITS:
O-Titel: Waarom Wettelen; Land / Jahr: Belgien 2024; Laufzeit: 106 Minuten; Regie & Drehbuch: Dimitri Verhulst; Besetzung: Peter Van den Begin, Tom Vermeir, Dominique Van Malder, Marijke Pinoy, Tine Roggeman, Cami Moonen; Sales: Atlas International Film
REVIEW:
Nichts Menschliches ist dem Schriftsteller Dimitri Verhulst fremd, seinen Romanen nicht, von denen „Die Beschissenheit der Dinge“ von 2006, verfilmt drei Jahre später von Felix Van Groeningen, in Deutschland wohl der bekannteste ist, und nun auch seinem Debüt als Filmregisseur nicht. Das macht schon einmal der Trauergottesdienst in den ersten 15 Minuten des Films klar, in dem der Pfarrer blumigst in Alkohol-Metaphern schwelgt und die Diversität der Moderne beklagt und eine Freundin der Verstorbenen sich in ihrer Rede an einen gemeinsamen Urlaub in Marokko mit viel Durchfall erinnert. Man kann schon leise ahnen, dass das Folgende keine schwermütige Trauerfeier werden und auch in seiner Komik anders sein wird, als es Referenzfilme wie „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“ und „Sterben für Anfänger“ waren. Pechschwarz ist der Humor und staubtrocken, todes- und lebensverachtend, skurril und absurd, Comedy für Menschen, die mit dem nötigen Abstand zum Leben durch selbiges gehen.
Es ist also nicht verwunderlich, dass der Sarg der Dahingeschiedenen gerade in das enorm große Grab hinabgelassen wird, als ein Notar auftritt und auf den letzten Willen der Toten aufmerksam macht, in dem sie verfügt hatte, nicht auf diesem Friedhof, sondern in Wettelen beigesetzt zu werden. Was insofern ein größeres Problem darstellt, als dass keiner der Familie oder anwesenden Gäste (sowie eine semiprofessionelle Beerdigungsbesucherin auf der Suche nach männlicher Begleitung) jemals von Wettelen gehört hat, das auch auf keiner Landkarte ausfindig zu machen ist. Glücklicherweise meint zumindest der Fahrer des Leichenwagens, den Weg zu kennen, was die merkwürdige Prozession sich in Bewegung setzen lässt. Ein Schelm, wer an Bergmans „Die siebte Siegel“ denken muss (oder zumindest die letzte Sequenz von Monty Pythons „Sinn des Lebens“), wie die Gesellschaft da hinter der schwarzen Limousine hinterhertrapst, Landstraßen entlang, über Stock und Stein, ohne ans Ziel zu kommen. Es folgen Übernachtungen, Affären, Motorprobleme, tiefgründige Gespräche über Gott und die Welt, Alkoholkontrollen, die Begegnung mit einem weiteren Trauermarsch und der Zusammenstoß mit einer Hochzeitsfeier, was zu einer ausgedehnten Tanzsequenz führt.
Warum Wettelen, fragt der flämische Originaltitel. Gute Frage. Nichts weist darauf hin, dass dieser Ort, eine Art Oz von Belgien, in irgendeiner Form näherkommen könnte. Der Weg, sagt Verhulsts Film verschmitzt, ist das Ziel und Wettelen ein Geisteszustand außerhalb von Zeit und messbarem Raum und dann buchstäblich auch noch in einem anderen Land, wo man Kauderwelsch spricht. Ein abgründiges, absurdes, ganz eigenes Vergnügen ist „The Weeping Walk“, stellenweise regelrecht ein Zirkus, ein letztes Abendmahl, mit Anklängen an Beckett. All das lässt der Regisseur ohne erkennbare Hast am Zuschauer vorbeiziehen. Man kann belustigt und verwundert folgen, fühlt sich ungewöhnlich unterhalten, auch wenn man selbst kaum mehr von dem Ziel ahnt, als der von Peter Van den Begin angeführte Tross skurriler Gestalten, die den Weg schicksalsergeben mitgehen und schließlich ungerührt mitansehen, wie ganz am Schluss nicht der Sarg beerdigt wird, sondern ein anderer Gegenstand, den man liebgewonnen hat. Rest in pieces, wie man so schön sagt.
Thomas Schultze