Die Österreicher haben ein Händchen für das Festival de Cannes. Diese Ausgabe ist die Freibeuter Film mit Mo Harawes „The Village Next to Paradise“ im Un Certain Regard. Heute wird Weltpremiere gefeiert. Das Produzenten-Duo Sabine Moser und Oliver Neumann geben Auskunft.
Sie sind mit „The Village Next to Paradise” des somalisch-österreichischen Filmemachers Mo Harawe in die Reihe Un Certain Regard eingeladen worden, wo der Film am 21. Mai Weltpremiere feiert. Ist alles so gekommen, wir Sie sich das vorgestellt hatten?
Sabine Moser: Ja, es war schon ein Vorstellung, die wir früh hatten.
Oliver Neumann: Es war unser Wunsch, vor allem für Mo und das somalische Team, den Film nach Cannes zu bekommen. Wir haben den Film eingereicht, und zwei Wochen später kam die Einladung. Das hat uns massiv gefreut.
Es ist der erste somalische Spielfilm in der official selection von Cannes, richtig?
Oliver Neumann: Es ist überhaupt der erste Spielfilm, der komplett in Somalia gedreht wurde. Es gab 2021 zwar den Film „The Gravedigger‘s Wife“ von Khadar Ayderus Ahmed, der in Somalia spielt, aber in Djibouti gedreht wurde. Mo hat mit „The Village Next to Paradise“ wirkliche Pionierarbeit geleistet und von Anfang an war es sein und unser Wunsch mit einem somalisch/ägyptisch/kenianischen Filmteam zu arbeiten. Das war natürlich auch mit Herausforderungen verbunden, weil Somalia ein Land ohne Filminfrastruktur ist.
Sabine Moser: Der Einsatz des gesamten Dreh-Teams war großartig. Wir verbeugen uns vor allen. Die Dreharbeiten waren sehr fordernd, drei Monate lang, bei Hitze und Wind, wobei Mo speziell bei diesem Sturm drehen wollte. Das war durchaus ein Kraftakt, vor allem für Mo, der neben seiner Regie viele weitere Verantwortungen, zb als Producer der somalischen Produktion Maanmaal, übernommen hat.
Oliver Neumann: Wir wollten es uns nicht anmaßen, als Europäer nach Somalia zu reisen mit der Attitüde zu zeigen, wie es geht. Wir waren nur zum Schluss der Dreharbeiten vor Ort. Das Material war von den ersten Mustern an so toll, so reichhaltig und überzeugend, dass wir einfach nur begeistert waren.
Sie haben mit Frankreich, Deutschland und Somalia drei Koproduktionsländer an Bord. Stand das Projekt auch bei der Findung der richtigen Partner unter einem guten Stern?
Sabine Moser: Dem war tatsächlich so. Wir hatten ein überzeugendes Drehbuch und Mo hatte mit seinen Kurzfilmen dazu beigetragen, dass viele gespannt auf seinen ersten Langfilm waren. Mit seinen Kurzfilmen war er auf vielen internationalen Festivals unterwegs und hat mit seinem letzten, „Will My Parents Come to See Me“, viele Preise gewonnen wie den Deutschen Kurzfilmpreis, den Österreichischen Filmpreis und den Hauptpreis in Clermont-Ferrand. Allein aufgrund von Mos Person erhielt der Stoff also sehr viel Aufmerksamkeit. Wir haben auf Empfehlung Jean-Christophe Reymond von Kazak Productions aus Frankreich kontaktiert – und er war sofort Feuer und Flamme. Ebenso Nicole Gehards von NiKo Films. Alle haben das Projekt mit großer Leidenschaft und dem nötigen Support mitgetragen.
Oliver Neumann: Wir haben den Film von vornherein als großen Film gedacht. Sebastian Meise hat uns auf Mo aufmerksam gemacht. Unsere Zusammenarbeit mit Mo begann bereits nach seinem ersten Kurzfilm, der in Locarno lief, erfolgreich war aber noch nicht in dem Ausmaß wie sein zweiter Kurzfilm, der ihm international viel Aufmerksamkeit gesichert hat. Nicht nur wir haben Mos Qualitäten erkannt. Chapeau vor den österreichischen Förderern, die alle im ersten Anlauf mitgegangen sind. Das ist nicht selbstverständlich. Ob die Finanzierung auch strukturell in Deutschland so unkompliziert möglich gewesen wäre, ist fraglich.
Welche Handschrift bringt Mo Harawe mit, was zeichnet ihn aus?
Oliver Neumann: Er ist unglaublich geschickt darin, zwischenmenschliche Geschichten mit einem politischen Hintergrund zu erzählen. Er ist unfassbar präzise, hat eine sehr kluge Haltung. Mo ist ein Mensch, von dem ich viel gelernt habe, auch Details. Er hat sich zum Beispiel verwehrt von „non-professionell actors“ zu sprechen, weil die Laiendarsteller, die wir hatten, natürlich auch Profis waren, nur eben “non-trained.”
Sabine Moser: Das kann ich bestätigen. Mo ist jemand, der viel Kraft hat und uneitel ist. Er setzt sich gerne mit Fragen auseinander, ist offen, kann Ideen, Gedanken annehmen, ohne sie als Provokation zu bewerten. Trotzdem hat er eine große Klarheit darüber, was er erzählen will. Mo ist immer neugierig. Das finde ich faszinierend.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Produzenten, bei der Zusammenarbeit mit Mo Harawe, aber auch ganz allgemein?
Oliver Neumann: Wir versuchen als Produzent:innen, eine Vision zu erkennen und die Regie dabei zu unterstützen diese umzusetzen. Bei Mo war bereits die erste Fassung des Drehbuchs fantastisch. Uns ist wichtig, die Vision des Filmemachers oder der Filmemacherin klar zu halten, wir achten darauf, dass sie nicht verwässert, durch viele Meinungen zu einem Einheitsbrei heruntergedampft wird.
Was erwartet Sie nun in Cannes? Bleibt auch Zeit, Filme zu gucken?
Sabine Moser: Wir haben gut gefüllte Terminkalender, versuchen aber trotzdem auch, Filme zu schauen.
Oliver Neumann: Wir haben uns für sehr viele Filme aus dem Un Certain Regard angemeldet, weil es einfach eine spannende Sektion ist. Ich hoffe außerdem, dass ich die neuen Filme von Andrea Arnold und Yorgos Lanthimos sehen kann sowie „Megalopolis“ und „Motel Destino“. Es wird genug zu entdecken geben.
An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Sabine Moser: Wir haben Johanna Moders neuen Film in der Postproduktion, „Mother’s Baby“, wie auch die Dokumentarfilme von Konrad Wakolbinger und Paul Poet. Ebenso haben wir verschiedene Projekte in der Finanzierungsphase, wie „Calm“ von Sara Fattahi, einer syrischen Filmemacherin, die in Österreich lebt. Außerdem arbeiten wir mit Rosa Friedrich, Luz Olivares Capelle, Lorenz Tröbinger, Peter Brunner oder Myroslav Slaboshpytskiy, und Lukas Miko schreibt mit Markus Schleinzer an einem Drehbuch. Und ganz besonders freuen wir uns natürlich auch auf das neue Projekt von Sebastian Meise.
Das Gespräch führte Barbara Schuster