Der französische Ausnahmefilmemacher François Ozon hielt beim 21. Marrakech International Film Festival eine Masterclass. Mit SPOT hat er sich für ein Interview hingesetzt, um über seine Karriere und seine Liebe fürs Kino zu sprechen.
Bei Masterclasses sprechen Filmemacher über Ihr Schaffen. Werfen einen Blick auf ihre Karrieren. Blickt man auf Ihr Oeuvre, fällt auf, dass, im Gegensatz zu anderen Filmemachern, eigentlich jeder Ihrer Filme anders ist. Wenn Sie zurückblicken, zu Ihren Anfängen bis jetzt: Gibt es für Sie so etwas wie einen Faden, einen bestimmten Weg, den Sie gehen wollten?
François Ozon: Nein. Ich muss auch gestehen, dass ich Masterclass-Conversations normalerweise gar nicht mag. Ich blicke nicht gerne in die Vergangenheit. Manchmal ist es aber vielleicht gut, Stellung zu beziehen, einen Punkt zu machen. Einen Fokus zu haben. Ich bin aber gar nicht daran interessiert, was ich über mich erzählen soll, sondern ich bin gespannt auf die Fragen aus dem Publikum und vor allem auf die Fragen der marokkanischen Filmstudenten. Was meine Karriere betrifft: Einen bestimmten Weg habe ich mir nie gelegt, ich bin einfach meinen Instinkten gefolgt. Ich hatte keinen exakten Plan. Es reiften einfach Geschichten in mir. Wenn diese stark genug waren, wollte ich daraus einen Film machen. Ich bin nicht daran gewohnt, meine Arbeiten zu analysieren. Wenn ein Film fertig ist, schlage ich ein neues Kapitel auf. Damit habe ich keine Probleme. Ich bin meinem Film-Kindern ein sehr schlechter Vater.
Welche Ratschläge und Tipps geben Sie den Studierenden bei der Masterclass?
François Ozon: Ich spreche darüber, was mich die Arbeit an Kurzfilmen gelehrt hat. Das war sehr wichtig, um zu experimentieren, zu lernen, mit dem Publikum in Kontakt zu treten, herauszufinden, was mich an Filmen interessiert, die Arbeit mit Schauspielern auszutesten. Godard sagte einst: „Il faut faire ses gammes.“ Man muss seine Tonleitern üben. Darum geht es. Das kann man mit Kurzfilmen. Man muss auch Fehler machen. Wichtig ist, an seiner Vision zu arbeiten und anzufangen, ganz einfache Dinge zu filmen, seinen Freund, seine Freundin, Leute, die man liebt, Schuss-Gegenschuss. Ganz simpel.
„Frauen sind meist cleverer als Männer.“
Sie sagten, Sie schauen nicht gerne in die Vergangenheit, auf Ihre früheren Filme. Was haben Sie aber in all der Zeit, die Sie bereits hinter der Kamera stehen, über sich selbst erfahren, entdeckt, als Filmemacher, als Mensch?
François Ozon: Das ist eine sehr intime Frage. Ich glaube, ich hatte Glück, bereits sehr früh herausgefunden zu haben, dass mein Platz hinter der Kamera sein würde. Als ich jung war, in der Schule, ging ich erst in Richtung Schauspiel. Schnell wurde mir klar, dass das ein Albtraum ist. Ich war viel zu schüchtern vor anderen Menschen. Ich erinnere mich aber noch gut an unseren Theaterlehrer in der Schule. Der hatte eine recht sadistische Ader. Und da wurde mir klar: Ich will auf seinen Platz! Aber hey, mir war auch klar, dass man nicht sadistisch sein muss, um ein guter Regisseur zu sein. Viele junge Leute wissen heute nicht so schnell, wo sie hingehören. Sie nehmen sich Zeit, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden.
Interessant ist die Art und Weise, wie Sie in Ihren Filmen Frauen erforschen, sehr differenziert, meistens immer anders. Warum sind Sie so fasziniert von dieser Psychologie und dieser Untersuchung von Frauen, oft auch Frauen, die nicht mehr so jung sind, die wir im Kino selten sehen…
François Ozon: Erst einmal macht es eine große Freude, mit Frauen arbeiten zu dürfen. Ich liebe die Arbeit mit Schauspielerinnen. Sie sind meist cleverer als Männer. Sie sind meiner Erfahrung nach furchtloser, was Risiken und Herausforderungen bedeutet. Vielleicht weil sie nicht so viele Möglichkeiten bekommen wie Männer. Vielleicht verstecke ich mich so auch. In einem meiner ersten Filme, „Unter dem Sand“, war die weibliche Hauptfigur um die 50. Es ist ein Film über meine eigene Erfahrung, über Trauer. Gespielt hat sie Charlotte Rampling. Sie hat mir ermöglicht, sehr persönliche Dinge zu zeigen. Es war auf diese Weise leichter. Ich bin nicht die Art von Regisseur, der autobiographische Filme macht… ich muss immer Distanz halten. Mit Frauen als Protagonisten ist das einfacher.
Wie gelingt es Ihnen, Ihren Darsteller:innen stets so große Leistungen herauszukitzeln? War dies bei „8 Frauen“ besonders herausfordernd?
François Ozon: Absolut! Ich lernte viel dabei. Das war eine gute Lehre. Das Casting von „8 Frauen“ war wie ein Traum. Ich hatte drei Listen, Liste A, Liste B, Liste C… auf A stand meine absolute Wunschbesetzung. Da „Unter dem Sand“ in Frankreich sehr erfolgreich war, wollten plötzlich all die Stars, die ich auf Liste A aufgeschrieben hatte, mitmachen. Ich sah mich also acht weiblichen Schauspielstars gegenüber. Das war eine große Herausforderung. Denn schnell merkte ich, dass ich diese Schauspielerinnen nicht auf die eine einzelne bestimmte Art inszenieren konnte. Vielmehr musste ich mich auf sie einlassen. Du inszenierst eine Catherine Deneuve nicht in der gleichen Weise wie eine Isabelle Huppert oder eine Fanny Ardant. Ich musste mich also in acht Regisseure aufspalten. Das war schwierig. Und ich war sehr erschöpft nach den Dreharbeiten. Aber es war dennoch ein Traum, der wahrgeworden war.
„Ich versuche, alle meine Filme budgetär sehr ausgewogen zu realisieren.“
Sie sind ein äußerst produktiver Filmemacher, drehen fast jährlich einen Kinofilm. Ist es denn immer leicht, Ihre Projekte vom Boden zu bekommen? Hängt es vom Projekt ab? Und kennen Sie auch Rückschläge?
François Ozon: Ich habe meine Wurzeln in der Kurzfilmbranche. Deshalb kenne ich mich mit Filmproduktion sehr gut aus, ich kenne die Budgets. Meinen letzten Film, „Quand vient l‘automne“, habe ich auch selbst produziert. Ich versuche, alle meine Filme budgetär sehr ausgewogen zu realisieren. Geholfen hat mir dabei auch mein Lehrer an der Filmuni: Éric Rohmer, der sehr gut mit Zahlen war und ein guter Produzent. Sein Unterricht war immer sehr lustig. Da ging es nicht besonders intellektuell zu, wie man sich das vielleicht vorstellen würde. Bei ihm ging es nur um Geld. Das war seine Obsession. Ich erinnere mich, wie er uns einmal erklärte, wo man die billigsten Teppiche in Paris finden konnte. Das hatte er damals bei der Ausstattung von „Vollmondnächte“ herausgefunden. Wenn man regelmäßig Kinofilme machen will, ist es wichtig, nah an der Produktion zu sein, um den Preis für Dinge zu kennen. Es geht dabei nicht ums Zugeständnisse machen. Es geht um ein Sich-Fordern mit guten Ideen. Manchmal hat man auch zu viel Geld… das ist auch nicht gut für einen Film. Man macht es sich dann zu einfach.
In Ihren Filmen mixen Sie gerne verschiedene Genres. Warum?
François Ozon: Das Genre liegt in der Story. Mir geht es immer erst mal darum, die Geschichte zu erzählen. Die Geschichte kommt als erstes. Danach versuche ich, das beste Genre zu finden, um diese Geschichte zu erklären. Und für das Publikum am besten zu erzählen. Ich gehöre einer Generation von Filmemacher an, postmoderner Filmemacher, die nicht Angst davor hat, verschiedene Genres zu mixen.
„Wir können uns in Frankreich glücklich schätzen, ein gut funktionierendes Fördersystem zu haben.“
Sie glauben an die Kraft des Kinos, an die Erfahrung, einen Film im Kinosaal zu schauen. Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, um die Menschen wieder verstärkt für Kinokultur zu begeistern? Und: Was können wir von Frankreich lernen? Das Land erlebt ein Super-Kinojahr!
François Ozon: Na ja, man muss einfach gute Filme machen. Zudem können wir uns in Frankreich glücklich schätzen, dass wir ein gut funktionierendes Fördersystem haben. Und die Tatsache, dass das Publikum sehr cinephil ist, hängt mit der Erziehung zusammen. Es ist wichtig, bereits die Kinder an das Kino heranzuführen. Das wird jetzt noch wichtiger, in Zeiten von KI: Wir müssen den Kindern beibringen, was ein richtiges Bild ist, was ein künstliches Bild ist. Es ist eine Frage der Erziehung und des politischen Willens, die Kinokultur zu fördern. Das kann sich ja schnell ändern, wenn man nach Italien blickt, wo die Regierung das große italienische Kino hat verschwinden lassen. In Frankreich kämpfen wir. Das System ist unantastbar. Denn natürlich gibt es auch bei uns extrem rechts positionierte Politiker, die erzählen, dass Filme mit Steuergeldern gemacht werden. Das ist nicht die Realität. Aber sie versuchen, den Dienstleistungssektor allgemein anzugreifen.
Erinnern Sie sich an die Filme, die Sie als Junge so sehr ins Herz geschlossen haben, dass Sie den Wunsch entwickelten, im Filmbereich zu arbeiten, Film Teil Ihres Lebens sein zu lassen?
François Ozon: Das war Roberto Rossellinis Film „Deutschland im Jahre Null“. Ich muss acht gewesen sein, der Film kam in der Reihe „Kino um Mitternacht“. Meine Eltern sagten, ich darf nicht, ich hab‘ aber trotzdem geguckt… ich hatte bis dahin nur Kinderfilme angeguckt, von Disney und so. Zum ersten Mal sah ich einen Film für Erwachsene über einen Jungen in meinem Alter. Plötzlich merkte ich, dass Kino etwas anderes sein kann als reines Entertainment. Ich war sehr berührt von diesem Jungen, der in den Kriegsruinen in Deutschland versucht zu überleben. So kraftvoll, so verstörend, aber ich liebte es. Ich glaube, das war der Moment, an dem mein Wunsch, selbst Filme zu machen, geboren war – wenn auch unbewusst.
An was arbeiten Sie denn aktuell?
François Ozon: Ich habe ja unlängst erst meinen Film „Quand vient l’automne“ beendet. Und ich arbeite aktuell an einem Projekt, das vielleicht in Marokko spielt. Das ist möglicherweise mit der Grund, weshalb ich gerade in Marrakesch bin.
Das Gespräch führte Barbara Schuster