Hanna Lauwitz und Matthias Rode übernahmen als ZDFneo-Doppelspitze von Jasmin Maeda. Im Interview sprechen sie über die 15-jährige Erfolgsgeschichte, Staffelverlängerungen wie bei der Hebammenserie „Push“ und wie es bei ZDFneo mit der neuen Direktion 2025 und im Spannungsfeld des Reformstaatsvertrags weitergeht.
Am 1. November 2009 übernahm die Programmmarke ZDFneo den Sendeplatz des ZDF-Dokukanals. Der damalige Chef Norbert Himmler ist heute ZDF-Intendant. Wie sehr hat sich ZDFneo in Ihren Augen über die 15 Jahre als unerlässliche Größe im ZDF-Gefüge etabliert?
Matthias Rode: ZDFneo ist DIE Entertainment- und Fiction-Marke für die Zielgruppe der 25- bis 44-Jährigen. Seit Jahren zählt der TV-Sender zu den zehn erfolgreichsten in Deutschland und erreicht mehr als 30 Millionen Menschen im Monat. Um den Nutzungsgewohnheiten jüngerer Menschen gerecht zu werden, bietet ZDFneo als crossmediale Marke viele Kontaktpunkte über verschiedene Ausspielwege – in der ZDF-Mediathek, im TV und in sozialen Netzwerken. Hier steckt die Chance, auch neue Zielgruppen zu erreichen und sie für öffentlich-rechtliche Inhalte zu begeistern.
Hanna Lauwitz: ZDFneo ist Innovationsmotor für die Kreativbranche und für die Senderfamilie. Das haben wir immer wieder bewiesen, egal ob im Hinblick auf Genre, Machart oder das Entdecken neuer Talente. Joko und Klaas, Jan Böhmermann und Tommi Schmitt sind mit uns gewachsen. Im Bereich Comedy haben wir so viel ausprobiert wie wenig andere auf dem Markt. Gleichzeitig haben wir es geschafft, uns von einem Experimentierlabor zu einem breiteren Unterhaltungsangebot mit einem klugen Mix aus kleineren und größeren Projekten zu entwickeln.
Am 31. Oktober beschenkte sich ZDFneo selbst im linearen Programm – passend zu Halloween – mit der gelungenen Vampirserie „Love Sucks“, die es schon seit dem 11. Oktober in der ZDF-Mediathek gibt. In den Anfängen von ZDFneo wäre solch ein Genre eher nicht bei den Öffentlich-Rechtlichen vorstellbar gewesen, oder?
Matthias Rode: Eine deutsche Vampir-Serie vom ZDF produziert ist tatsächlich etwas, das es so bisher noch nicht gab. „Love Sucks“ spiegelt vieles wider, für das die Marke ZDFneo steht: eine gut erzählte Geschichte, ein hoher Production Value und ein Cast, mit dem sich die Zielgruppe identifiziert. Mit so einer Produktion gilt es auch, ein Genre-Versprechen einzuhalten. Das ist hervorragend gelungen, in dem Love Story und Identitätsfragen genauso Raum finden wie eine explizite Horror-Annonce.
Hanna Lauwitz: Auch beim Thema Distribution sind wir mit „Love Sucks“ neue Wege gegangen. Mit einem eigenen Erzählstrang für Tik Tok nutzen wir das Potenzial, die jungen Menschen dort abzuholen, wo sie alltäglich unterwegs sind. Außerdem schaffen wir ein Momentum für die Fans, da Geschichten und Charaktere weitererzählt werden, die in der Serie nur gestreift werden.
ZDFneo setzt in den vergangenen Monaten und Jahren vermehrt auf Genres wie Comedy, Sitcom, Horror, Thriller, Fantasy und Late-Night-Formate, um ein jüngeres Publikum anzusprechen. Wie bewerten Sie den bisherigen Erfolg dieser Strategie? Und stimmt die Mischung?
Hanna Lauwitz: „Ein ZDF für alle“ heißt, dass wir allen Gesellschaftsgruppen passende Programmangebote über die relevanten Ausspielwege machen. Um für Jüngere attraktiv zu sein, brauchen wir eine größere Genrevielfalt. ZDFneo kommt dabei eine besondere Rolle zu. Wir haben viel getestet und viel gelernt, einiges verworfen und Erfolgreiches fortgeführt: Aktuell prolongieren wir beispielsweise unsere preisgekrönte Hebammenserie „Push“. Eine unserer reichweitenstärksten Koproduktionen in diesem Jahr war „Sløborn 3″, und in der Comedy wurde gerade die vierte Staffel von „Doppelhaushälfte“ abgedreht. Wir setzen auf eine Mischung aus länger laufenden Formaten, die größtmögliche Bindung schaffen, und neuen Leuchttürmen, wie die Coming-of-Age-Serien „Club der Dinosaurier“ oder „A Good Girl‘s Guide to Murder“. Unser Programm orientiert sich immer an den Bedürfnissen des jungen Publikums – und die sind sehr vielfältig. Das darf man sich nicht als eine homogene Gruppe vorstellen. Genauso heterogen wie die Lebensrealitäten junger Menschen sind ihre Seh- und Nutzungsgewohnheiten. Insofern bleiben wir in Bewegung.
Matthias Rode: Eine der großen Stärken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liegt in seiner Vielseitigkeit: Wir schaffen über unsere unterschiedlichen Kanäle und Formate zahlreiche Kontaktpunkte zum jungen Publikum und bieten mit unserem breiten Portfolio zahlreiche Anknüpfungsmöglichkeiten. ZDFneo steht für ein Programm, das sowohl Mainstream-Angebote wie die unterhaltende Talk-Show „Neo Ragazzi“ umfasst, als auch Formate und Themen, die aufgrund ihrer Relevanz eine besondere Bühne verdienen. So verarbeitet die fiktionale Serie „In Her Car“ das Trauma der ersten Kriegstage in der Ukraine, während die Serie „Hungry“ das Thema Essstörungen behandelt. Damit zeigen wir, dass Unterhaltung mit öffentlich-rechtlichem Anspruch nicht das Gegenteil von Information und Bildung ist, sondern diese sinnvoll ergänzt. Wenn wir Menschen erreichen wollen, dürfen wir sie nicht langweilen. Zugleich möchten wir alltagsnahe Themen ansprechen und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs leisten. Ein gutes Beispiel dafür ist „MAITHINK X – Die Show“: Moderatorin und Wissenschaftlerin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim macht Wissenschaft unterhaltsam zugänglich und regt zu Diskussionen an, wie zuletzt zum Thema Populismus.
Im April hieß es beim Wechsel von Jasmin Maeda in die internationale Fiction, dass Sie beide als Nachfolger kommissarisch die Leitung von ZDFneo übernehmen. Wie sieht die praktische Arbeitsteilung aus?
Matthias Rode: Wir haben im Leitungsteam bereits zu dritt eng zusammengearbeitet und gemeinsam mit den Kolleg:innen die Vision von ZDFneo weiterentwickelt. Kurz gesagt, liegen bei mir Planungsthemen, die Portfoliosteuerung sowie das Non-Fiction Development. Hanna verantwortet neben der Personal- und Organisationsentwicklung im Schwerpunkt Fiction-Themen und leitet das Team Distribution, Social Media und Kommunikation. Wir arbeiten im Leitungsteam, wie auch in ganz ZDFneo, in enger Abstimmung miteinander, einzelne Projekte betreffen immer mehrere Bereiche und sind eine Gesamtleistung.
Welche Schwerpunkte wollen Sie bei ZDFneo setzen?
Hanna Lauwitz: Wir wollen ZDFneo weiterhin als zentrale Marke für junge Fiktion auf dem Markt ausbauen. Dazu zählt, das Genreportfolio zu erweitern. Mit „Was wir fürchten“ haben wir im vergangenen Jahr erstmals eine Horror-Mystery-Serie veröffentlicht, von Horror kommt im nächsten Jahr mehr. Außerdem versuchen wir uns an Formaten mit True Crime-Bezug, wie „Kidnapped: The Chloe Ayling Story“. Aber auch die bereits in ZDFneo fest etablierten Genres Comedy und Drama werden weiter ausgebaut. Gleichzeitig setzen wir in der Non-Fiction weiterhin Akzente und freuen uns vor allem darauf, mit vielversprechenden Talenten zu arbeiten und sie im Showbereich zu fördern.
Wie sehen Sie Ihre Zukunft? Ist es Ihr Wunsch, in leitender Funktion als Doppel-Spitze bei ZDFneo zu bleiben?
Matthias Rode: Wir befinden uns gerade im größten Reformprozess des ZDF seit 25 Jahren. Ab 2025 werden Portfoliosteuerung, Planung und Distribution in einer neuen Direktion gebündelt. Dieser Prozess betrifft auch die ZDFneo-Koordination. Die Kanäle und Marken behalten ihre Identität, in Zukunft wollen wir unsere Angebote allerdings stärker aus einer 360°-Perspektive behandeln. Davon versprechen wir uns mehr Schlagkraft, um unsere Programme besser zu den Zielgruppen zu bringen und die Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhöhen.
Hanna Lauwitz: Mit diesem selbst auferlegten Change bereiten wir uns auf eine Zukunft vor, in der Ausspielwege wegfallen und neue dazukommen werden. Dafür können wir nicht ständig die Struktur verändern. Aktuell sind wir mitten im Umbau. ZDFneo war von Beginn an in den Reformprozess eingebunden. Unser Ansinnen ist es, auch weiterhin aktiv mit allen Beteiligten daran zu arbeiten, die Senderfamilie zukunftsfähig aufzustellen.
Die Rundfunkkommission wünscht sich Reduktion und Neugestaltung bei den öffentlich-rechtlichen Spartensendern. ZDFneo wird in diesem Zusammenhang mit dem ARD-Sender One bei einer ähnlichen Zielgruppe der 30- bis 45-Jährigen genannt. Sehen Sie Synergien-Potenzial oder fehlt Ihnen die Fantasie, wie sich das die Kommission hier vorstellt?
Matthias Rode: Die Rundfunkkommission hat sich mit ihren Reformplänen das Ziel gesetzt, einen zeitgemäßen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu ermöglichen, der mit seinen Angeboten die gesamte Gesellschaft erreicht. Das ist zu begrüßen und das sind, wie bereits erwähnt, auch die Ziele des Strategieprozesses „Ein ZDF für alle“. ZDFneo ist ein wichtiger Bestandteil dieser Strategie und entscheidend für das Erreichen junger Publikumsgruppen. Mehr als 80 Prozent unserer Inhalte sind bereits online first gedacht und stärken die ZDF-Mediathek als Streamingplattform.
Hanna Lauwitz: Gleichzeitig wissen wir, dass junge Zielgruppen auch unsere linearen Angebote weiterhin stark nutzen. Gemeinsam mit ZDFinfo trägt ZDFneo zu 31 Prozent des gesamten Sehvolumens des ZDF bei Jüngeren bei. ZDFneo genießt eine hohe Akzeptanz beim Publikum. Schließlich schalten uns täglich linear nach wie vor rund sechs Millionen Menschen ein.
Die Fragen stellte Michael Müller