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Peter Arens: „Spaltungen entgegenwirken & Solidarität untereinander fördern“

Heute Abend feiert der beliebte Doku-Klassiker „37 Grad“ auf dem angestammten 22.15-Uhr-Slot im ZDF 30. Geburtstag. Der Geschichts- und Wissenschaftschef Peter Arens blickt mit SPOT zurück und voraus, wie die Marke heute auch die jüngeren Zielgruppen erreicht.

Peter Arens
Peter Arens ist Leiter der Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft beim ZDF (Credit: ZDF/Jana Kay)

Wissen Sie, welche sehr prominente Person großer Fan Ihrer Sendung „37 Grad“ ist?
 
Peter Arens: Die Schauspielerin Ulrike Kriener fällt mir spontan ein. Sie sagte mir bei einer Journalistenreise, dass sie die Sendung „37 Grad“ sehr gerne guckt.
 
Der Entertainer Harald Schmidt outete sich auch als absoluter Fan des Formats. Aber wie man den Meister des Zynismus und der Ironie kennt, schaut er „37 Grad“ eher mit einer ironischen Brille und berauscht sich als Medienjunkie an der Machart.
 
Peter Arens: Oh, welche Ehre! Ich mag Harald Schmidt so sehr, dass ich davon überzeugt bin, dass er uns ebenfalls mag.
 
Wie haben Sie selbst vor 30 Jahren die Anfänge des Formats wahrgenommen?
 
Peter Arens: Als ich junger ZDF-Redakteur in der Kulturredaktion war, haben wir zwei verschiedene Sendungen zu einem Format auf dem Dienstag 22.15 Uhr-Sendeplatz zusammengeführt. Mein Vorgänger im Amt, Hans Helmut Hillrichs, versah das neue Format mit dem charakteristischen Namen: 37 Grad als Fieberschwelle des Menschen und somit als Metapher auf besondere Lebenssituationen. In meinen Augen war das damals ein genialer Einfall, weil der Titel sehr beziehungsreich ist und zugleich sehr auffällig. Mein besonderer Beitrag zum Auftakt war es, als Regisseur mit anderen jungen ZDF-Kolleginnen und -Kollegen den ersten Vorspann zu gestalten und zu produzieren. Um klar zu machen, dass sich bei uns alles ungeschminkt um den Menschen drehen würde, baten wir Junge wie Ältere vor die Kamera und nahmen Haut mit Makroobjektiven auf, riesig groß, auf einen Song von den Dire Straits. Das war am Ende ziemlich expressionistisch, sah aber klasse aus!
 
Welche Charakteristika haben sich über all die Jahre bei „37 Grad“ bewährt?
 
Peter Arens: Unser Hauptanliegen war, die Protagonisten unserer Filme selbst über ihre Leben erzählen zu lassen, ohne sie zu kommentieren, zu hinterfragen, zu beurteilen, was wir Journalisten ja manchmal unweigerlich tun, in bester Absicht. Das war neu. Dem Privaten, dem Persönlichen mehr Raum zu geben. Und zu versuchen, dem Einzelnen und seiner Geschichte zu folgen, ihm genau zuzuhören. Unser Publikum hat diesen filmischen Zugang von Anfang an geschätzt, und diesem Formatkern sind wir bis heute treu geblieben.

37° Vorspannmotiv
Der „37 Grad“-Vorspann (Credit: ZDF/Shutterstock / [M] Vielfein)

Was musste im Laufe der Zeit angepasst werden? 
 
Peter Arens: Vor gut zehn Jahren begannen wir, und ich musste davon offen gestanden erst überzeugt werden, aus dem rein linearen TV-Format ein crossmediales Format zu machen. Erst gingen wir zu Facebook, dann zu Instagram und YouTube. Am Ende kam TikTok hinzu. Wichtig ist, der Seele von „37 Grad“ auch dort treu zu bleiben, selbst bei kurzen Videoformaten unsere besondere Marke durchschimmern zu lassen. Wir haben durch diese Transformation mit der Zeit viele neue Potentiale gewonnen, natürlich in erster Linie junges Publikum. Und wir konnten uns auch formatästhetisch weiterentwickeln.
 
Wie unterscheiden sich Ihre Zielgruppen bei Social Media?
 
Peter Arens: Im Schnitt ist unser TV-Publikum etwas über 60 Jahre alt, daher mussten wir „37 Grad“ digital verjüngen. Bei Facebook sind die 35- bis 44-Jährigen mit 360.000 Followern die dominante Altersgruppe, bei YouTube, wo wir 250.000 Abonnenten haben, sind es die 25- bis 34-Jährigen. Bei Instagram sind es 270.000 Abonnenten mit einem Frauenanteil von 85 Prozent bei einer Zielgruppe von 25 bis 34 Jahren mit 24 Prozent und einer Zielgruppe von 35 bis 44 Jahren mit 29 Prozent. Bei TikTok sind es 125.000 Abonnenten mit einem Frauenanteil von 80 Prozent bei einer Zielgruppe von 18-24 Jahren zu 39 Prozent und einer Zielgruppe von 25-34 Jahren zu 30 Prozent. Es sind also nicht primär die Programme selbst, die jung oder alt sind, sondern über das Alter entscheiden die einzelnen Plattformen. Bei all unseren TV-Reportagen versuchen wir, sie in jeweils eigener Form für die Mediathek und Drittplattformen zu nutzen: z.B. durch Themenwochen bei Instagram oder auf YouTube mit reinen Interview-Videos unserer Protagonisten, indem wir das vorhandene Drehmaterial weiter ausschöpfen.
 
Haben Sie Lieblingsepisoden, die Ihnen thematisch besonders am Herzen liegen oder in der redaktionellen Arbeit besonders anspruchsvoll waren? 
 
Peter Arens: Wenn Sie 30 Jahre lang dieses Format gemeinsam mit dem Team betreuen, haben Sie eine Menge über die Menschen und alle denkbaren Schicksale gelernt. Über Familie, Partnerschaft, Liebe, aber auch über Scheitern, Krankheit und Sterben. In Moment fördern wir vor allem Themen, die auf mehr Zusammenhalt in unserer Gesellschaft hinwirken. Die Spaltungen entgegenwirken und Solidarität untereinander fördern. In diesem Jahr haben wir zum Beispiel sehr schöne Filme über Integration gemacht. Ein Film hieß „Grenzenlose Liebe, zwei Kulturen“ über Paare aus verschiedenen Ländern, mit 12,2 Prozent Marktanteil sehr erfolgreich. „Arbeitskräfte weltweit gesucht“, über eine Pflegerin aus Brasilien und einen Kraftfahrer aus Marokko, die in Deutschland arbeiten, hatte 13,3 Prozent Marktanteil und ist unser bislang meistgesehener Film 2024. Ist das nicht bemerkenswert, dass gerade die kritisch diskutierte Migration beim Publikum derart erfolgreich war?
 
Haben Sie auch noch einen etwas älteren Film besonders im Gedächtnis abgespeichert?
 
Peter Arens: Da denke ich an „Der Tod – Die beste Entscheidung meines Lebens“ über einen jungen Mann, der auf den Bahngleisen tragisch verunglückte und dann vollständig gelähmt war. Obwohl er in einer sehr liebenden Familie lebte, wollte er unbedingt den assistierten Suizid. Das ist ein Film, der wirklich unter die Haut geht. Der Autorin gelang es, intensive Interviews mit Noah zu führen, bis zum Ende seines Lebens. Diesen Film kann man nicht vergessen.
 
Haben Sie als Leiter der ZDF-Hauptredaktion für Geschichte und Wissenschaft gewisse Ängste vor dem, was sich jetzt um den Reformstaatsvertrag der Öffentlich-Rechtlichen abspielt und dass bei den Einsparungen auch Ihr Bereich betroffen sein könnte?
 
Peter Arens: Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass Themen aus Geschichte und Wissenschaft, aber auch Filme über die Existenz des Menschen, unverzichtbarer Bestandteil unseres Auftrags bleiben werden. Warum sollten gerade an diesen so wichtigen Relevanzprogrammen Kürzungen vorgenommen werden? Wir sind mit Formaten wie „37 Grad“ nie in Frage gestellt worden, weder im Sender noch durch die Gremien. Ganz im Gegenteil. Und der Sendeplatz am Dienstag um 22.15 Uhr nach dem „heute-journal“ ist für uns ideal. Wir haben einen herausragenden Vorlauf, insbesondere wenn Marietta Slomka oder Christian Sievers am Ende ihrer Sendung auf uns hinweisen.
 
Wie schauen Sie auf einen angezählten Wissenschafts- und Kultursender wie 3sat in der Diskussion um den Reformstaatsvertrag, der perspektivisch in Arte aufgehen soll?
 
Peter Arens: Ich bin ein großer Freund von 3sat. Meine Abteilung ist dort hoch involviert, weil wir das tägliche Wissenschaftsmagazin „nano“ produzieren, auch „Scobel“ und die wöchentliche Wissenschaftsdokumentation. Dies sind wichtige, hochwertige Sendungen, beim Kultur- und Informationssender 3sat perfekt aufgehoben.
 
Sie sprechen mit einer so großen Leidenschaft von Ihrem Themenfeld und befinden sich auch in den besten Jahren. Sie denken aktuell sicherlich nicht über eine berufliche Veränderung nach, oder? 
 
Peter Arens: Danke für die besten Jahre, ich bin mir da nicht so sicher. Ich habe mit der Themenmarke „Terra X“ und der Menschenmarke „37 Grad“ das enorme Glück, solche Programme Jahrzehnte lang entwickeln zu dürfen. Daher sah ich nie eine Veranlassung, irgendwo anders hinzugehen. Ich hatte im ZDF alle Freiheiten und auch Budgets, um eine sinnvolle Tätigkeit ausüben zu können, mit großartigen Menschen zu arbeiten. Vor allem auch mit den Produzenten, RegisseurInnen und AutorInnen da draußen, die Begegnungen mit ihnen waren stets enorm bereichernd. Dafür bin ich dankbar.

Das Interview führte Michael Müller