Jan Hendrik Lübbers, Absolvent der ifs – Internationale Filmschule Köln, über den abenteuerlichen Dreh von „O Chale“ in Accra, seine Verbindung dorthin und seine Liebe zu Basketball. Darstellerin Atika Jumaih Bashiru wurde beim 41. Filmfest München mit dem Förderpreis Neues Deutsches Kino Schauspiel geehrt.
„O Chale“ ist Ihr Abschlussfilm von der ifs. Gedreht in Ghanas Hauptstadt Accra mit Laiendarsteller:innen als Dokufiction. Da haben Sie die Latte für folgende Semester ganz schön hochgelegt. Wie kam’s dazu?
Jan Hendrik Lübbers: Nach dem Abitur war ich ein Jahr Basketballtrainer in Accra, wo auch der Film spielt. Basketball war schon immer meine erste Liebe, auch vor dem Film. Als ich mein Regiestudium in Köln aufnahm, habe ich lange verheimlicht, dass mich diese Zeit sehr geprägt hat. Ich wollte nicht der „Typ mit Ghana“ sein, der „Typ mit Basketball“. Sport hat dennoch immer den Weg in meine Filme gefunden, die ich im Studium gedreht habe. Mit Julius Nerlich hatte ich dann einen Produzenten und Freund an der Seite, der auch einen Sportbezug mitbringt und schnell von den Geschichten in Ghana begeistert war. Er war es, der dann das erste Mal die Idee in den Raum warf „O Chale“ anzugehen. Der Stadtteil Jamestown und auch der Basketball standen schnell fest und um diesen besonderen Ort herum fanden wir die Geschichten und Menschen. Tatsächlich waren drei meiner vier Hauptcharaktere, nämlich Gavin, Barnabas und Raphael, Kinder einer meiner Mannschaften, die ich trainieren durfte. Es ist sehr schön auf einen fertigen Film zu blicken, indem so viele alte Freunde mitspielen und ihre Geschichten preisgeben.
Wie sah Ihr filmisches Konzept aus, was ist Doku, was Fiction?
Jan Hendrik Lübbers: Wir wollten keine „Hinterherlaufdokumentation“ drehen, sondern hatten das Bedürfnis, einige Szenen auch zu inszenieren, sie in eine gewisse Form zu gießen. Der iranische Regisseur Abbas Kiarostami und seine Art Filme zu erschaffen, wo man als Zuschauer nie genau greifen kann, was dokumentarisch und was fiktiv ist, waren eine große Inspiration. So gab es nie ein ausgeschriebenes Drehbuch. Dialoge habe ich gemeinsam mit den Charakteren am Set improvisiert. Eine Wiederholbarkeit, auch für den Schnitt, war so nur bedingt gegeben. Trotzdem gab es einen vorher konzipierten roten Faden, an dem wir uns orientieren konnten. Die Auseinandersetzung mit den Orten und seinen Menschen war hingegen sehr dokumentarisch. Wenn Barnabas mit seiner Mutter am Straßenrand redet, was es später zu Essen gibt, ist es wirklich seine Mutter und auch der Ort, an dem man jetzt gehen könnte und seine Mutter, an einer Soße rührend, vorfinden würde.
Was bietet Ghana als Filmland?
Jan Hendrik Lübbers: Ghana hat großes filmisches Potenzial, gerade durch die Nähe zu Nigeria und „Nollywood“, der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, ein riesiger Markt, der up and coming ist, allerdings gerade viele Probleme hat, woran auch Europa und die USA mit ihrer neoliberalen Politik nicht unschuldig sind. Accra ist wie jede Großstadt sehr lebendig. Allerdings ist es so, dass in den verschiedenen Stadtteilen auch unterschiedliche Sprachen gesprochen werden. Durch die Sprachen-Unterschiede entstehen isolierte Viertel, was eine spannende Dynamik ist. Jamestown und Nima, wo wir hauptsächlich gedreht haben, haben sogar teilweise einen schlechten Ruf innerhalb der Stadt. Geht man dann aber dort hinein, sind diese Viertel einfach die größten Kulturhochburgen mit den spannendsten und liebsten Menschen.
Was waren die speziellen Herausforderungen vor Ort?
Jan Hendrik Lübbers: In Jamestown, wo ich nach meinem Abi ein Jahr lang lebte, habe ich mich schnell wieder sehr wohlgefühlt. Meine Kontakte und Freunde dort haben uns viel geholfen und den Film überhaupt möglich gemacht. Und irgendwie fühlten wir uns als Filmteam in vielen Aspekten freier als in Deutschland. Klar gibt es auch dort Regeln, an die man sich halten muss, Dinge, die abgeklärt werden müssen. Aber die Kommunikation mit den Menschen vor Ort war viel leichter. Mein DoP Jonas Thibaut und ich haben jeden Ort, an dem wir drehen wollten, vorab besucht und die Menschen kennengelernt. Das war die größte Aufgabe. Wenn die Menschen vor Ort deine Verbündeten sind, war alles möglich. Insgesamt ist man dort mit Drehgenehmigungen jedoch flexibler und schneller als in Deutschland. Probleme und Tiefs gibt es natürlich immer. Sonst wäre es kein Filmemachen. Es gab Stromausfälle, kleine Unfälle mit unserem Bus, Laiendarsteller, die versprochen hatten, zu kommen, dann aber nicht erschienen, lange Tage im Wartezimmer vom Militär verbringen, Regen, ganz viel Regen… Insgesamt überwogen aber die schönen Erfahrungen!
Ließ sich das alles in kleinem Team gut bewerkstelligen?
Jan Hendrik Lübbers: Die Gefahr, dass wir es versemmeln, war durchaus gegeben 😉 Wir hatten 33 Drehtage, ein Pensum, das wir alle so noch nie erlebt haben. In unserem Miniteam waren die Grenzen für die Aufgabenfelder so sehr schwammig. Wir konnten abends nicht einfach schlafen gehen und uns auf die Einstellungen für den nächsten Tag vorbereiten, sondern mussten zig Dinge erledigen, klären, ob auch alle kommen, Fahrer organisieren, für Essen sorgen…
Wie sah die Unterstützung von Seiten der ifs aus?
Jan Hendrik Lübbers: Die meiste Verantwortung lag natürlich bei uns. Wir mussten alles buchen, die nötige Sicherheit gewährleisten, mit der Technik klarkommen, die Leute finden. Die ifs erwartet auch eine gewisse Eigenständigkeit und nimmt zu einem gewissen Maß die Rolle der Herstellungsleitung ein. Dennoch wurde uns eine Plattform geboten, uns mit Leuten auszutauschen, Rat einzuholen. Die ifs hat wirklich ganz tolle Leute im Regiedepartment! Ich erhielt die Chance, mich mit Ulrich Köhler auszutauschen. Und mit Peter Herrmann! Mit Peter haben wir einen großen Verbündeten gefunden, der uns durch viele Gremien und Gesprächsrunden durchgeboxt hat. Bei der ifs sind viele coole Menschen, die einfach Bock haben, dass tolle Filme entstehen.
Was bedeutet Ihnen die Einladung in die Reihe Neues Deutsches Kino beim 41. Filmfest München?
Jan Hendrik Lübbers: Ich war baff. Wir hatten Urs Spörri ein paar Wochen zuvor kennengelernt, der sich ein paar Filme der ifs angucken wollte, auch unseren, der damals noch gar nicht fertig war. „O Chale“ ist ein Film von weißen Menschen aus Deutschland in Afrika gemacht und steht durchaus in einem spannenden und komplizierten Konflikt. So waren wir uns nicht sicher, wo der Film seine Leinwände finden würde. Wir waren begeistert, als die Einladung aus München kam, weil München doch ein großes und vor allem diverses Festival ist. Ein schöner erster Ort für den Film.
Wie werden Sie dem angesprochenen spannenden Konflikt begegnen?
Jan Hendrik Lübbers: Ich hatte vorhin Abbas Kiarostami erwähnt. Er hatte auch Filme in Italien und Japan gedreht und war der Meinung, dass seine Filme besser wurden, wenn er die Sprache der Menschen nicht sprach. Jetzt ist es aber natürlich was anderes, wenn ein iranischer Regisseur nach Italien geht, als wenn ein weißer Deutscher nach Ghana. Filmemachen bleibt ein übergriffiger Prozess, besonders mit einem dokumentarischen Hintergrund. Gepaart mit dem Kontext der kolonialen Geschichte Afrikas entsteht eine Dynamik, die immer kritisch hinterfragt werden muss, so auch bei uns. Die jungen Generationen kämpfen, wie auch die erste Generation afrikanischer Filmemacherinnen, mit der Wiedererlangung der eigenen Geschichten. Man kann sich dann schnell hinter Rechtfertigungen verstecken, aber im Endeffekt bleibt der Dialog, inwiefern solche Kooperationen stattfinden sollen oder dürfen. Ich hoffe, dass „O Chale“ ebenfalls von diesem Dialog begleitet wird. Wir hatten viele junge ghanaische Filmemacherinnen im Team, die oft wie Kontrollpunkte am Set fungiert haben. Trotzdem darf man sich nichts vormachen: Natürlich geht man immer mit einem eurozentrischen Blick aus dem Ganzen raus. Hier hat mir das Gespräch mit Ulrich Köhler geholfen, weil ich anfangs recht naiv dachte, eine authentische Geschichte in Ghana erzählen zu können, ohne jegliche eurozentrische Perspektive. Ulrich sagte mir, dass man den eurozentrischen Blick nicht ablegen könne. Wenn man das versuche, mache man sich nur was vor und schade nur der Geschichte mehr. Den Film auf seine Authentizität überprüfen können am Ende nur Menschen aus Accra selbst, wo unser Film hoffentlich auch bald laufen wird.
Das Gespräch führte Barbara Schuster