Entzückende Comedy-Serie über das stinknormalste Pärchen Deutschlands, das aus dem Alltag ausbrechen will.
FAST FACTS:
• Köstliches neues Comedy-Format (8 x 20 Minuten) auf Joyn
• Galavorstellungen des realen Ehepaars Sebastian Bezzel und Johanna Christine Gehlen
• Inszenierung von Iván Sáinz-Pardo („Der Vierer“)
• Deutsches Remake der spanischen Erfolgsserie „Poquita fe“
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 8 x 20 Minuten; Showrunner: Stefan Stuckmann; Autorin: Anna Keil; Produktion: SKP Entertainment (Alexander Keil); Regie: Iván Sáinz-Pardo; Besetzung: Sebastian Bezzel, Johanna Christine Gehlen, Sarah Bauerett, Bernhard Schütz, Irene Rindje, Natascha Hirthe, Dagmer Biener; Plattform: Joyn; Start: 15. November 2024
REVIEW:
Robert und Beate. Nomen est omen. Klingt stinknormal. Ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Weil alles an Robert und Beate, Ehepaar aus Spandau, stinknormal ist. Absoluter Durchschnitt. Kein Ausschlag nach oben oder unten. Keine Auffälligkeiten, keine Eitelkeiten, keine besonderen Ansprüche. Alltäglichkeit in ihrer pursten Form. Und dadurch maximale Identifikationsfläche, weil man sich mitten in der Mitte eben am besten treffen kann. Und mit den Stinos lachen, über sie und über sich selbst. Stino ist die neue Bluna: Sind wir das nicht alle ein bisschen? Die neue Comedy-Serie auf Joyn, „Die StiNos – Ganz besonders stinknormal“, gleich das nächste komische Highlight nach dem nicht minder eigenwilligen Serienevent „Der Upir“, erhebt die Stinknormalität zur Kunstform und macht das sehr gut, weil die Serie selbst eben alles andere als stinknormal ist.
Basierend auf der letztjährigen spanischen Serie „Poquita fe“, hat Showrunner Stefan Stuckmann die Prämisse gemeinsam mit Autorin Anna Keil für die SKP Entertainment sehr geschickt in eine deutsche Anmutung gebracht, wobei Stinknormalität dabei sicher einfacher gefallen sein dürfte als genau den komödiantischen Ton zu finden, der diesen so wunderbar unbesonderen Figuren gerecht wird und einem Publikum trotzdem Spaß macht. Dabei paaren sich geschickter Wortwitz mit bestechenden Alltagsbetrachtungen und fügen sich in einer kunstvollen Montage aus Handlungselementen und Interviewsituationen, in denen die Figuren durchaus schon einmal in direkten Dialog treten können, zusammen, angeordnet nach Kalenderblättern, die die Handlung grob einmal von Januar an durchs Jahr führen. Wobei sich die Jahreszeiten ändern, das Leben der Figuren nicht.
Ein bisschen von den „Simpsons“ hat das, ein bisschen von „The Office“, und auch ein bisschen von, so viel deutsch muss sein, „Ein Herz und eine Seele“, wobei der politische Biss eines Wolfgang Menge hier dem genauen Gegenteil gewichen ist, weil Robert und Beate wie der Rest ihrer Familie und Freunde Menschen ohne explizite Eigenschaften und Ansichten sind, so einerlei wie das Braun und Grau der Oberteile von Beate, die an ihr herabhängen, als hätte man sie schon mindestens 164 Mal gewaschen und trockengeschleudert. Die Garderobe ist, man muss es sagen, fies, wie von der Tchibo-Resterampe. Wobei Robert der Lebensefährtin in nichts nachsteht, ob er nun seine Blau-Weiß-Uniform als Justizvollzugsbeamter in Friedrichshain trägt oder sein beachtliches Bäuchlein in einer sensationell scheußlichen Plüschjacke versteckt, die ihm die Schwiegereltern zu Weihnachten geschenkt haben. File under „Geschenke für Menschen, die man hasst“.
Natürlich wäre all das nichts, wenn die Besetzung nicht punktgenau stimmte. Bei „Die StiNos“ stimmt sie. Es ist schon ein echter Coup, für die Rollen von Robert und Beate das reale Ehepaar Sebastian Bezzel und Johanna Christine Gehlen gewonnen zu haben. Wer dachte, dass Bezzel in seiner Paraderolle als Eberhofer Franz wurschtig sei, hat ihn noch nicht hier erlebt, als menschgewordenes Phlegma: Den von Kindern mit Lernschwäche liebevoll gebackenen Weihnachtsstollen (Achtung, Running gag!) isst er auf, weil er da ist, und nicht, weil er schmeckt. Völlig frei von Eitel spielt auch Johanna Christine Gehlen, die ihre Beate angelegt hat, als sei sie eine Wiedergängerin der legendären „Ulknudel“ Helga Feddersen, inklusive Mittelscheitel mit dünnen Spagettihaaren.
Um sie herum ist die Besetzung nicht minder gelungen, insbesondere Sarah Bauerett als Beates Schwester und Liebling ihrer Eltern, gespielt von Bernhard Schütz und Irene Rindje, trotz ihrer anhaltenden Depression und minimierten Lebensfreude: Aber wer schließt sie nicht ins Herz, wenn sie gleich in Folge 1 einen verwirrten 90-Jährigen auf der Straße aufliest und einfach mitnimmt. Das wird bestenfalls noch übertroffen von dem Moment in Folge 6, als Roberts Mutter, gespielt von Dagmar Biener, beim Frühjahrsputz die Terrasse Orange („die Farbe der Kreativität“) malen will und auf einen Feuchtigkeitsfleck stößt, der haargenau so aussehen soll wie Roberts Vater, mit dem sie seinerzeit eine 14-tägige Affäre hatte, wonach er sich aus dem Staub machte. Die absurden Momente sind das Trumpfass dieser wunderbar ereignislosen Serie, in der man im Grunde einfach nur gerne Zeit mit den Figuren verbringt und ihnen bei der Konfrontation mit den Tücken des Objekts zusieht, eine „show about nothing“, wenn man so will, kongenial in Szene gesetzt von dem in Deutschland lebenden Spanier Iván Sáinz-Pardo, der aktuell einen Lauf hat: Nicht einmal zwei Wochen nach „Die StiNos“ kommt das Spielfilmdebüt des erfahrenen Werbefilmers in die Kinos, „Der Vierer“, ebenfalls ein Erlebnis und hiermit schon einmal wärmstens empfohlen.
Thomas Schultze