Ungeschminktes Drama mit einer großartigen Pamela Anderson als Titelheldin, die im Angesicht der Schließung ihrer langlebigen Vegas-Revue Ordnung in ihr Leben zu bringen versucht.
FAST FACTS:
• Highlight auf den Herbstfestivals, unter anderem Toronto, Sen Sebastián und Zürich
• Furioses Comeback von Pamela Anderson, die als ernsthafte Schauspielerin überzeugt
• Durch die Bank gute Kritiken für Gia Coppolas Film im Stil des New Hollywood
CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 85 Minuten; Regie: Gia Coppola; Drehbuch: Kate Gersten; Besetzung: Pamela Anderson, Jamie Lee Curtis, Dave Bautista, Kiernan Shipka; Verleih: Constantin Film
REVIEW:
Stuntcasting würde man das nennen, wenn man bösartig wäre. Aber natürlich ist das der erste Gedanke, der einen durchzuckt, wenn man hört, dass Gia Coppola für die Rolle eines in die Jahre gekommenen Showgirls in Las Vegas ausgerechnet Pamela Anderson besetzt hat, die einstige Badenixe von „Baywatch“ an der Seite von David Hasselhoff: Als Schauspielerin mit künstlerischer Ambition hat man sie nie wahrgenommen, ihre einzige nennenswerte Kinorolle hatte sie 1996 als Titelheldin in „Barb Wire“, ein Film, über den man besser den Mantel des Schweigens breitet. Deshalb hinkt auch der bereits wiederholt bemühte Vergleich mit Mickey Rourke und „The Wrestler“, 2010 der Comebackfilm des Schauspielers nach Jahren minderwertiger Rollen in B-, C- und mitunter D-Filmen. Nur dass Rourke davor als begnadetes Genie gefeiert worden und ein Superstar gewesen war, der sich nach Jahren im Abgrund unter der Regie von Darren Aronofsky wieder am Riemen gerissen und sein Können wieder unter Beweis gestellt hatte.
Jetzt also Pamela Anderson, die in den letzten Jahren eine gezielte Imagekorrektur vorgenommen hatte, nicht mehr länger einzig als Busenwunder in rotem Badeanzug gesehen werden wollte, und sich der Welt fortan buchstäblich ungeschminkt gezeigt hatte. „The Last Showgirl“ ist eine konsequente Fortsetzung dieser faszinierenden Neuerfindung einer Frau Mitte 50, die nicht mehr nach den Regeln anderer spielen wollte. Dafür gebührt ihr Respekt. Wie nun auch für ihren Auftritt in Gia Coppolas Film: Sie zeigt ihre Falten wie andere ihre Narben, die mit alten Kriegsverletzungen angeben. Und sie macht das mit Würde und einer bewundernswerten Uneitelkeit, ohne allerdings eine versteckte Meryl Streep zu offenbaren. Es ist kein genialischer Auftritt. Es ist ein bewegender, handfester Auftritt, eine starke Darstellung.
Und man sieht ihr gerne zu als Showgirl Shelley, die in einem Casino in Las Vegas seit mehr als 30 Jahren in der Revue „Razzle Dazzle“ auftritt und so etwas ist wie eine Veteranin, die Mutti der Truppe, zu der die jungen Tänzerinnen aufblicken, weil sie diese Kiste besser zusammenhält als den Rest ihres Lebens. Das droht ihr pausenlos um die Ohren zu fliegen und würde man als einzige Katastrophe bezeichnen, wenn ihre beste Freundin, die Cocktail-Kellnerin Annette, gespielt von Oscargewinnerin Jamie Lee Curtis mit großer Lust zur Unansehnlichkeit, nicht noch lebensunfähiger wäre und seit Wochen in ihrem Auto schlafen müsste. Shelley indes hat hart daran zu knapsen, dass ihre Tochter, die sie bereits als Baby zu Pflegeltern gegeben hatte, nichts von ihr wissen will. Nun erfährt sie auch noch von der bevorstehenden Schließung ihrer Show, die einem lukrativeren Angebot weichen muss. Die Tage bis zur letzten Vorstellung sind wie ein Countdown, in dem Shelley versuchen muss, mit sich und ihrem Leben ins Reine zu kommen.
„The Last Showgirl“ ist ein Film wie aus der Hüfte geschossen, in den betont unschmucken Gassen und Hinterzimmern der Casinos von Vegas gedreht, in den billigen Bungalows der Wohnviertel irgendwo gleich neben der Wüste, fernab der glitzernden Glamourwelt, der strahlenden Frontansicht, die sich den Figuren dieses Films nicht bietet. Viel „Leaving Las Vegas“, wenig „Honeymoon in Vegas“, um es mit zwei Filmen mit Nicolas Cage in der Hauptrolle zu sagen. Der unmittelbare, unsentimentale Blick auf die Lebensumstände seiner Figuren rückt diese eindringliche Arbeit von Gia Coppola – mühelos ihr bester Film – in die Nähe des Kinos von Sean Baker – sein Cannes-Gewinner „Anora“ hat auch eine eigene Vegas-Sequenz. Aber mehr noch denkt man an das amerikanische Kino von unten aus den frühen Siebzigerjahren, John Hustons „Fat City“, Monte Hellmans „Cockfighter“, Robert Altmans „Califorinia Split“, Bill Nortons „Cisco Pike“ – die Ära, in der Coppolas Großvater der Größte war im Filmgeschäft. Help me make it through the night: An der Seite von Jamie Lee Curtis, Dave Bautista, Kiernan Shipka und Billie Lourd ist Pamela Anderson vielleicht keine Offenbarung, aber sie ist eine Entdeckung: So nackt war sie noch nie, auch wenn sie immer angezogen bleibt.
Thomas Schultze