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REVIEW TALLINN: „Dreaming of Lions“

Pechschwarze Komödie aus Portugal über eine todkranke Frau mit kurzer Lebenserwartung, die nach einer Reihe gescheiterter Selbstmorde professionelle Hilfe sucht. 

CREDITS:
O-Titel: Sonhar com Leōes; Laufzeit: 88 Minuten; Regie & Drehbuch: Paolo Marinou-Blancos; Besetzung: Denise Fraga, João Nunes Monteiro, Joana Ribeiro, Sandra Faleiro, Victoria Guerra, António Durães, Asun Planas; Festival: Tallinn Black Nights Film Festival

REVIEW:
Wir erinnern uns an Philippe de Brocas „Die tollen Abenteuer des Monsieur L.“ mit Jean-Paul Belmondo oder Aki Kaurismäkis launige Variation „I Hired a Contract Killer“, beides Geschichten von des der Diesseitigkeit überdrüssiger Männer, die einen Auftragskiller auf sich selbst ansetzen, nur um festzustellen, dass sie doch einen neuen Sinn entdeckt haben und nun um ihr Leben kämpfen. Paolo Marinou-Blancos pechschwarze Komödie „Dreaming of Lions“, mit der Kurator Nikolaj Nikitin in diesem Jahr seine Critics‘-Picks-Reihe des 28. Tallinn Black Nights Film Festival eröffnete, dreht die Schraube noch einmal ein gutes Stück weiter, erzählt die Geschichte einer todkranken Frau, die den Zeitpunkt ihres Lebens selbst bestimmen will, aber mit ihren Selbstmordversuchen jedes Mal aufs Neue wieder spektakulär scheitert und sich nun Hilfe vom Fach sucht. Das ist mehr, als würde sich der portugiesische Film in der Mitte zwischen einem der galligen Romane von Chuck Palahniuk und dem surrealen Humor eines Buñuel treffen, ein geistiger Verwandter von Yorgos Lanthimos‘ köstlichem „The Lobster“, die portugiesische Antwort auf „Harold and Maude“.

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„Dreaming of Lions“ von Paolo Marinou-Blanco (Credit: PÖFF)

Nur der Tod sei umsonst, heißt es, und der koste das Leben. Der portugiesische Filmemacher Marinou-Blancos entkräftet diesen Sinnspruch: 400 Euro dürfen Gilda und ihre Geschwister im Geister hinblättern, um in einem entgegengesetzten Szenario zu Christos Nikous „Fingernails“, wo man in einem Institut die Liebe lernt, sich den Selbstmord beibringen zu lassen, in einer der groteskeren Selbsthilfegruppen diesseits von „Fight Club“: Gilda ist verzweifelt, vier Mal schon gescheitert und genervt von all dem Drumherum, wenn man’s mal wieder nicht geschafft hat, sich richtig die Pulsadern zu öffnen, den Föhn in die Badewanne zu werfen, sich zu vergiften oder zu erschießen. 

Gleich zu Beginn durchbricht der Film die vierte Wand, lässt Gilda, gespielt von der großartigen Denise Fraga, mit der man sofort fraternisiert, direkt zum Publikum sprechen und teilhaben an ihrem morbiden Gedanken, die sie ganz ungeschminkt und beschwingt mit uns teilt. Ähnlich leise amüsiert sieht der Film dann auch dem absurden Treiben in der Selbstmordhilfegruppe zu, wo alle Smiley-Masken tragen müssen, sozusagen vom Doktor verordnet gute Miene zum bösen Spiel. Alsbald baut Gilda eine Verbindung zu dem viel jüngeren Gleichgesinnten Amadeu auf, mit dem sie einer Meinung ist: Das Institut taugt nichts. Weshalb sie einen gemeinsamen Weg suchen, ihrem Leben ein Ende zu setzen.

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Für Regisseur Marinou-Blancos, der schon 2008 mit seinem Filmdebüt „Goodnight Irene“ in Tallinn vertreten war, damals im regulären Wettbewerb, ist „Dreaming of Lions“ wie eine Fortsetzung seines jüngsten Films, „Empty Hands“, in dem ein depressiver Bestatter sich Rat bei den Toten in seinem Institut holt: Tatsächlich gibt es auch hier Szenen, in der Amadeu im Bestattungsinstitut mit den Toten spricht. Auf bewundernswerte Weise hält der Film seinen makabren Humor, ohne jemals sein Thema nicht ernst zu nehmen: Schmerzen sind Schmerzen, Sterben ist Sterben. Nur wie die Figuren und mit ihnen der Film darauf blicken, mit einer Art kämpferischer Verachtung und konsequenter Entschlossenheit, macht „Dreaming of Lions“ zu einem besonderen Filmerlebnis. Geben Sie reichlich, wenn der Tod anklopft, sagt Henry Gibson mit ungerührtem Gesicht in „Kentucky Fried Movie“. Bringt mir eure Toten, skandieren Monty Python. Und auch Paolo Marinou-Blanco kann sich das Lachen nicht verkneifen. Wie Gilda so schön sagt: „Es ist mein Tod. Ich entscheide. Fickt euch alle!“

Thomas Schultze