Raffiniert-verschlungene Dark-Comedy-Serie um ein Elternpaar in der Provinz, das es in die eigene Hände nimmt, nach seiner seit 68 Tagen spurlos verschwundenen Tochter zu fahnden.
FAST FACTS:
• Erste deutschsprachige Serie für Apple TV+
• Achtteilige Dark-Comedy-Mystery-Serie nach einer Idee von Zoltan Spirandelli
• Vor und hinter der Kamera hochkarätig besetzt
• Mit Heike Makatsch, Axel Stein, Lea Drinda in den Hauptrollen
• Regie :Christian Ditter und Tobi Baumann sowie Facundo Scalerandi
• Produziert von UFA Fiction – Nataly Kudiabor und Sebastian Werninger
CREDITS:
Land/Jahr: Deutschland/2024; Laufzeit: 8 x 45 Minuten; Drehbuch: Oliver Lansley; Regie: Christian Ditter, Tobi Baumann; Besetzung: Heike Makatsch, Axel Stein, Lea Drinda, Leo Simon, Nikeata Thompson, Thorsten Michaelis, Palina Rojinski, Kostja Ullmann, Harriet Herbig-Matten, Frederic Balonier, Devid Striesow, Jochim Król, Aaron Maldonado Morales, Milena Dreißig; Plattform: Apple TV+; Start: 2. Oktober 2024
REVIEW:
Große Erwartungen begleiten den Start des nächsten Prestigeprojekts von UFA Fiction nach dem Sensationserfolg „Maxton Hall – Die Welt zwischen uns“: „Where’s Wanda?“ ist die erste deutsche Serie für die Plattform Apple TV+, und um deren High-Quality-Anspruch gerecht zu werden, wurden vor und hinter der Kamera die Besten der Besten verpflichtet. Produzenten der acht Episoden, die weltweit ab dem 2. Oktober gezeigt werden, sind die UFA-Fiction-Geschäftsführer Nataly Kudiabor und Sebastian Werninger. Für das Drehbuch, das auf einer Idee von Zoltan Spirandelli („Vaya con Dios“) basiert und das sich als Mischung aus Dark Comedy und Mysteryserie ankündigt, zeichnet der britische Autor Oliver Lansley („Flack“) verantwortlich. Regie führten der Hollywood-erfahrene Filmemacher Christian Ditter („How to Be Single“) und Comedy-Profi Tobi Baumann („Faking Hitler“) sowie Facundo Scalerandi („How to Sell Drugs Online (Fast)“). Zum bekannten Schauspielerensemble um Heike Makatsch und Axel Stein zählen unter anderem Devid Striesow und Joachim Król, es gibt – Spoilerwarnung – Cameo-Auftritte von Bela B. Felsenheimer und André Eisermann – und von einigen Ikonen der jüngeren Seriengeschichte.
Vergleiche mit amerikanischen Vorbildern drängen sich unweigerlich auf, die Themen, die nicht-lineare Erzählweise, die Perspektivwechsel, Cliffhanger und so manche Figur erinnern auf den ersten Blick an „Breaking Bad“. Auch in „Where’s Wanda?“ zwingt ein folgenschwerer Einschnitt in ihr bis dahin normales Kleinstadtdasein normale Durchschnittsbürger dazu, sich in moralische Grauzonen zu begeben. Es ist eine Ausgangssituation wie in einem True-Crime-Thriller, ein Albtraum, aus dem Carlotta Klatt – mit leicht hysterischer Verzweiflung verkörpert von Heike Makatsch – und ihr Ehemann Dedo – Axel Stein als Durchschnitts-Boomer und „liebenswerter Trottel“ – nicht mehr aufzuwachen scheinen, seitdem ihre Teenagertochter Wanda, gespielt von der tollen Lea Drinda aus der ZDF-neo-Serie „Becoming Charlie“, spurlos verschwunden ist. Die Handlung beginnt ungefähr am 68. Tag nach dem vermeintlichen Verbrechen, weil die Erzählerin es so will – und die ist niemand anderes als das „missing white girl“ persönlich. Deren Kommentare aus dem Off am Anfang und Ende der Episoden liefern Andeutungen und Fingerzeige auf das, was ihr tatsächlich widerfahren ist, folgen einer eigenen Chronologie, die offenbar notwendig ist, um die Zusammenhänge zu verstehen, die Schuld an allem sind, und lassen die drängende Frage offen, ob sie noch am Leben oder eine Stimme aus dem Jenseits ist.
Als Wanda zuletzt in einem Waldstück in ihrem Heimatort, dem Provinznest Sundersheim, gesehen wird, trägt sie einen roten Regenumhang, der ein wenig an Rotkäppchen und mehr noch an die Marvel-Superheldin Wanda Maximoff erinnert. Grund für die Kostümierung ist das alljährlich stattfindende Halloween-ähnliche Treiben zu Ehren einer lokalen Legende, deren Denkmal den Kreisverkehr überragt, ein Monster namens Nuppelwocken, das angeblich junge Mädchen entführt oder heiratet, die Erzählerin weiß es nicht mehr so genau. Da die Sonderermittlerin Michelle Rauch (Nikeata Thompson) und der seltsam ausdruckslose Kommissar Schellenberg (Torsten Michaelis) keine Erkenntnisse vorweisen können, und um zu verhindern, dass die entscheidenden ersten hundert Tage nach Wandas Verschwinden ergebnislos verstreichen – ein Worst-Case-Szenario, so kennt man es aus dem Fernsehen –, nehmen Carlotta und Dedo die Suche selbst in die Hand, als hätten sie nichts mehr zu verlieren und als wäre insbesondere Carlotta sowieso schon alles egal, zumindest ihren Outfits nach, einer verzweifelten Kombination aus Strickpullundern über Rüschenblusen und Jogginghosen. Nach einem im großen Stil missglückten Einbruchsversuch bei einem möglicherweise Verdächtigen beschaffen sie sich mit Hilfe ihres technik- und internetaffinen Sohns Ole (Leo Simon) erst in der Spielzeugabteilung des Baumarkts, später im Darknet eine Spionageausrüstung und verwanzen als Rauchmelder-Kontrolleure getarnt die Nachbarschaft. Dabei stellt sich heraus, dass jeder der vermeintlich harmlosen Sundersheimer eine Leiche im Keller seines Einfamilienhauses hat.
Jeder hat ein Geheimnis, alles hängt irgendwie miteinander zusammen, prophezeit die Erzählerin – auch das Auftauchen der tschechischen Investigativ-Influencerin Lenka Nėmcová (Senita Huskić), die einem illegalen Tierschmugglerring auf der Spur ist, selbst Carlottas Bruder Rüdiger (Devid Striesow!), dessen aberwitziger Look („Pferdeschwanzpsycho in Lederweste“) wohl von dem berühmt-berüchtigten Joe Exotic aus der Doku-Serie „Tiger King“ inspiriert wurde. Die höchst illegale Observierungsaktion liefert zwar keine Hinweise auf Wandas Schicksal, hilft aber bei der Aufklärung einiger Verbrechen am Rande, darunter ein schwerer Fall von Ehebruch, begangen von einem alkohol- und liebeskranken Pensionär (Joachim Król!). Die Klatts sind gezwungen, ihre eigene Ehe in Frage zu stellen, nachdem Dedo versehentlich Carlottas Sitzungen bei ihrer Psychotherapeutin (Milena Dreißig) auf einem der Monitore der im Keller eingerichteten Abhörzentrale belauscht. Außerdem findet das Drehbuch Gelegenheit für eine skurrile Traumsequenz, in der sich Carlotta die ausgiebig ausspionierte Vorzeige-Familie Vinson (Palina Rojinski, Kostja Ullmann sowie „Maxton Halls“ Harriet Herbig-Matten und Frederic Balonier) als glückliche, intakte 80er-Jahre-US-Sitcom-Family vorstellt – wie eine Parodie auf die „Alf“-Parodie in einer der legendärsten Folgen von „Mr. Robot“.
Als hätten sie sich in einer surrealen Fernsehrealität verirrt, bewegen sich die Klatts durch das Vorort-Labyrinth, das auch der Lageplan an ihrer Wand entfaltet, und das im Vorspann mit Spielfiguren im Miniaturformat nachgestellt wird – zufällig oder nicht ist der Serientitel mit dem Namen eines beliebten Kinder-Logikbrettspiels („Wo ist Wanda“) verwandt, bei dem es darum geht, ein kleines rotes Monster in einem Wimmelbild zu finden. Genauso sucht man hier zunächst in einem Gewimmel von Genres, Andeutungen und Verweisen nach der rotgewandeten Titelheldin wie nach dem roten Faden des Skripts, das so viele Geschichten parallel erzählt, manches bleibt oberflächlich, Nebenfiguren stereotyp, nicht alle treiben unbedingt die Handlung voran. Bis die fantastische Lea Drinda diese buchstäblich an sich reißt und dem „Strong Female Lead“-Schriftzug auf ihrem T-Shirt alle Ehre macht. Sie bringt es fertig, dass man sie schon als Off-Erzählerin liebgewinnt, mit ihrem gewitzten Random-Stuff- und Subtext-Geplapper. Sie kämpft nicht nur um das Leben von Wanda, sondern um eigentlich alles, um Plausibilität, Spannung und jeden Twist, sie ist tatsächlich die Superheldin, die der Serie spätestens in der fünften Episode einen Tritt in den Allerwertesten gibt, sie in die richtige Richtung schubst, ihr den Ausgang aus dem Labyrinth zeigt und in dem Dark-Comedy-Mystery-Mix eine hinreißende Lovestory entdeckt. Mit dem nicht weniger fabelhaften Aaron Maldonado Morales als Partner in Crime an Drindas Seite, der sich schon in „Sonne und Beton“ mit seiner Unbekümmertheit und Aufrichtigkeit ins Zuschauerherz gespielt hat, mit sprudelndem Dialogwitz, knisternder Chemie und perfektem Timing findet dann auch „Where’s Wanda?“ sich selbst und braucht am Ende keine Vergleiche mehr.
Corinna Götz