Satirisch angehauchte HBO-Miniserie über einen nordvietnamesischen Maulwurf, der nach dem Fall von Saigon sein Glück in den USA versucht.
FAST FACTS:
• HBO-Event-Miniserie von Meisterregisseur Park Chan-wook
• Wieder ein Paradeauftritt von Oscargewinner Robert Downey Jr. in einer Mehrfachrolle
• Adaption des Pulitzer-Preis-Gewinners aus dem Jahr 2015
CREDITS:
O-Titel: The Sympathizer, Land/Jahr: USA 2024, Laufzeit: 7 x 60 Minuten, Lead-Regie: Park Chan-wook, Drehbuch: Don McKellar, Besetzung: Hoa Xuande, Robert Downey Jr., Toan Le, Fred Nguyen Khan, Tom Dang, Sender: Sky, Start: 14. April 2024
REVIEW:
Unter den vermeintlich unverfilmbaren Romanen war „The Sympathizer“ des vietnamesich-amerikanischen Professors Viet Thanh Nguyen, ein Debüt, das 2015 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde, immer ganz weit vorn dabei. Bis er verfilmt wurde. Jetzt. Und wie. Als siebenteilige HBO-Miniserie. Von Meisterregisseur Park Chan-wook als Folgearbeit seines 2022 in Cannes gefeierten „Die Frau im Nebel“, der ihm dort den Regiepreis bescherte. Geschrieben von Schauspieler Don McKellar als wilde, Stile und Tonalitäten unentwegt ändernde Tour de Force, halb politische Satire, halb historische Abrechnung mit amerikanischem Exzeptionalismus. Mit Robert Downey Jr. in einer tragenden Nebenrolle in einer Mehrfachrolle, die einem den Atem raubt: Wie macht der Mann das? Befreit von den Fesseln, Tony Stark sein zu müssen, scheinen ihm darstellerisch keine Grenzen gesetzt.
Jeder Szene sieht man an: Park Chan-wook mag kompliziert. Und komplizierter. Je komplexer und anspruchsvoller, desto kreativer seine Umsetzung. Zeit und Raum sind frei bewegliche Größen in seinem filmischen Ansatz, vorwärts, rückwärts, oben, unten. Perspektive ist nur eine Frage der, äh, Perspektive. In seinen Filmen – siehe „Die Taschendiebin“, siehe „Oldboy“, siehe „Die Frau im Nebel“. In seiner vorherigen Serie, der John-le-Carré-Verfilmung „Die Libelle“, auch schon so ein wildes Teil, das einem gesetzten Genre eine völlig neue Dimension verleiht. Und jetzt „The Sympathizer“, irgendwie wieder auch eine Spionagegeschichte, aber jederzeit auch noch viel mehr, sich von Folge zu Folge tiefer ins Herz der Finsternis arbeitend, Amerika und seine Rolle in der Welt auf den Prüfstand stellend (Park setzt mit drei Folgen den Ton– drei weitere Folgen wurden von Mark Munden und eine letzte von Fernando Mereilles inszeniert).
Gleich die erste Folge macht eine Rolle vorwärts und rückwärts nacheinander, springt in Zeitabschnitt immer noch ein bisschen weiter nach hinten, um den Zuschauer bekanntzumachen mit ihrer nicht ganz einfachen Hauptfigur, die unser Erzähler ist und doch namenlos bleibt, in der offiziellen Listung einfach nur „The Captain“ genannt und von der Entdeckung Hoa Xuande wie ein Platzhalter gespielt, konturen-, aber nicht gesichtslos, Spielball der Geschichte und äußerer Einflüsse, die er nicht kontrollieren kann. Im Jahr 1975, unmittelbar vor dem Fall Saigons, ist er ein von Nordkorea in die Militärstruktur des Südens eingeschleuster Agent, der als Handlanger des Generals die ganz schmutzigen Dinge erledigt und doch überzeugt ist, sich heraushalten zu können. Er ist mit dabei, gehört aber nicht dazu, ein wandelnder Widerspruch im Spannungsfeld ewiger Dualitäten, halb Vietnamese, halb Franzose. Und bald schon, nach Ende des Kriegs, in Amerika, beim Feind, mittendrin.
Das Land erlebt er, der Ausländer, Außenseiter und Systemkritiker, in einer Tour de Force bizarrer Widersprüchlichkeiten, wenig anders als „Borat“ minus Augenzwinkern und krasse Gags: Einmal nach Hollywood, wo er als Berater zur Produktion eines Vietnamfilms geholt wird, und wieder zurück, nach Vietnam, die ganze Klaviatur menschlicher Erfahrung, mit dem mehrfachen Robert Downey Jr. als eine Art laufender Kommentar, jede einzelne Figur eine bizarre Gestalt, in der Summe eine Art Essenz der USA. „The Sympathizer“ überfordert den Zuschauer auf die bestmögliche Weise. Die Serie fordert und fordert heraus. Aber nimmt einen immer mit in einem Sturzbach von Bildern, die nur dann besser sein könnten, wenn man sie auf der großen Leinwand sähe. Aber wer würde sich schon einen siebenstündigen Film ansehen?
Thomas Schultze