Temporeiche Gesellschaftskomödie über einen jungen Mann aus Neukölln, der von seiner neuen Freundin auf einen Spieleabend zu deren feinen Freunden in einer Villa in Grunewald eingeladen wird.
FAST FACTS:
• Große Mainstream-Komödie von Marco Petry mit Star-Ensemble
• Produziert von Wiedemann & Berg
• Bereits stürmisch gefeierte bei der „Next on Netflix“-Präsentation im März
• Weltpremiere in der Reihe „Spotlight“ auf dem 41. Filmfest München
CREDITS:
Land / Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: Verleih: 92 Minuten; Regie: Marco Petry; Drehbuch: Claudius Pläging; Besetzung: Dennis Mojen, Janina Uhse, Edin Hasanovic, Anna Maria Mühe, Axel Stein, Taneshia Abt, Stephan Luca; Plattform: Netflix; Start: 9. Juli 2024
REVIEW:
Das besonders Gute an „Spieleabend“: Der neue Film von Marco Petry behauptet nie, mehr zu sein als das, was er ist, eine vergnügliche Gesellschaftskomödie, von der man rundum gut unterhalten wird und die neben ein paar unerhörten und bisweilen unerhört witzigen Szenen (das Tischtennisspiel – mehr dazu gleich) und der nötigen Emotion auch gefällig brisante Themen aufgreift und pointierte Betrachtungen zum Zustand menschlicher Beziehungen anstellt. Es ist zwar nicht mehr so, dass Männer nicht zuhören und Frauen nicht einparken können, wie Leander Haußmann 2007 feststellte, aber leichter ist es dennoch nicht geworden, gerade weil in den letzten Jahren viel Bewegung gekommen ist in die Betrachtung der Geschlechter und verschiedener gesellschaftlicher Kasten. Das nimmt Claudius Pläging, aktuell gewiss einer der besserbeschäftigten deutschen Drehbuchautoren, der auf dem Filmfest München auch als einer der Showrunner/Autoren der Prime-Serie „Völlig verpasst“ (hier unsere Besprechung) eine Kostprobe seines guten Timings abgeben konnte, als Steilvorlage für ein Buch, das er Marco Petry zur leichten und lockeren, sehr luftigen und sommerlichen Inszenierung geschrieben hat, mit einem unbeschwerten Drive und dem ein oder anderen auch platten Gag für die billigen Ränge. Auf die Zwölf muss auch erlaubt sein.
Zumal dieser „Spieleabend“ weniger wie der Namensvetter „Game Night“ ist, die kultige Comedy des „Dungeons & Dragons“-Duos Jonathan Goldstein und John Francis Daley mit Jason Bateman und Rachel McAdams aus dem Jahr, sondern sich mehr an erfolgreichen deutschen Vorbildern orientiert. An „Ein perfektes Geheimnis“ muss man besonders denken oder an „Der Vorname“, in denen auf ihre Weise ebenfalls eine vermeintlich harmlose Situation auf engem Raum Stück um Stück zu eskalieren beginnt. Hier ist Stein des Anstoßes eine junge Liebe. Da ist auf der einen Seite ein guter, unbeschwerter Junge aus der Arbeiterklasse, Jan, der mit seinem besten Kumpel einen Fahrradladen in Neukölln betreibt, auf der anderen Seite die sympathische und weltoffene Pia, die zwar nicht aus einer anderen Welt kommt, aber sich doch ihren besser situierten Freunden aus Grunewald verpflichtet fühlt, wo man über Literatur debattiert und anspielungsreich miteinander parliert. Es ist nicht ganz Montagues vs. Capulets, aber es reicht aus, dass es für Pia nach einem vergnüglichen Meet-Cute zu Beginn des Films ein großer Schritt ist, Jan zu dem regelmäßigen Spieleabend mitzunehmen, zu dem die eingefleischte Gemeinde regelmäßig zusammenkommt.
Man ahnt, dass ein Hindernisparcours auf Jan zukommen wird, so wunderbar handfest und sympathisch hemdsärmelig und charmant gespielt von Dennis Mojen, der sich zunehmend im falschen Film fühlt und bei der Fülle von Mikroaggressionen, mit denen er sich konfrontiert sieht, nie so recht weiß, wie er reagieren kann, ohne seiner Geliebten, ein souveräner Auftritt von Janina Uhse, vor den Kopf zu stoßen. Kein Culture-Clash sondern gut gelaunter Klassenkampf: ein ideales Szenario also, den Helden von einem Fettnäpfchen ins nächste zu jagen: Der natürlich in Beruf und Leben erfolgreiche Ex-Freund von Pia taucht auf, durch ein versehentlich geöffnetes Fenster kann ein seltener Papagei entkommen, die eine oder andere Enthüllung lässt die vermeintlich heile Welt ins Wanken geraten. Das ist ein bisweilen boulevardeskes Vergnügen, dick aufgetragen geradezu, manchmal gar nicht so weit weg von der Art von Tür-auf-Tür-zu-Klamotten, wie sie einst Herbert Herrmann und Jutta Speidel gut zu Gesicht standen.
Aber gleichzeitig ist alles auch moderner, beschwingter, temporeicher und hat ein Darstellerensemble, dem man durch die Bank gerne zusieht. Dennis Mojen und Janina Uhse sind dabei das straight couple im Auge des Hurrikans, während Alex Stein und Anna Maria Mühe eine Ehekrise im Teilchenbeschleuniger durchleben. Taneshia Abt darf schmachten als Verlassene, die nicht realisieren will, dass die Trennung von ihrer Lebensgefährtin endgültig ist, hat aber auch die besten One-Liner des Films, insbesondere als Stephan Luca– große Klasse! – als übereitler Ex von Pia ihren neuen Freund zum Nackt-Tischtennis herausfordert. Und dann natürlich Edin Hasanović, der selbst mühelos jeden Film tragen kann, aber auch in der Rolle des Sidekicks auf Vogeljagd in des Nachbars Garten eine Bank ist. Nun mag man darüber streiten, wie gelungen der Showdown ist, der das Geschehen von der Villa in Grunewald in den Berliner Tiergarten verlagert, aber dem generell beschwingten Eindruck von „Spieleabend“ tut das keinen Abbruch. Was Marco Petry in der Produktion von Wiedemann & Berg abgeliefert hat, sichert ihm die Garantie: Gehen Sie über Los und ziehen Sie eine verdiente Euro-Summe ein.
Thomas Schultze