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REVIEW KINO: „Wicked“

Prequel-Musical mit Motiven aus „The Wizard of Oz“ über zwei unterschiedliche junge Frauen im Land Oz, die von schicksalhaften Ereignissen zusammengeschweißt werden.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 160 Minuten; Regie: Jon M. Chu; Drehbuch: Winnie Holzman, Dana Fox; Besetzung: Cynthia Erivo, Ariana Grande, Michelle Yeoh, Jonathan Bailey, Marissa Bode, Ethan Slater, Jeff Goldblum; Verleih: Universal; Start: 12. Dezember 2024

REVIEW:
Belegen kann ich es nicht, aber mir gefällt der Gedanke, dass der peinliche Flop von „Cats“ im Jahr 2019 (250.000 Tickets in Deutschland; 75 Mio. Dollar weltweit; Produktionskosten 100 Mio. Dollar), über Jahre verhöhnt von der kindischen elitären Kritikergarde, die Saat für „Wicked“ gelegt haben könnte. Dass Universal-Chefin Donna Langley nach dem Debakel der Andrew-Lloyd-Webber-Adaption von Tom Hooper nicht den Schwanz eingezogen und die Finger von Musicals gelassen (BLOSS KEINE MUSICALS MEHR!!!), sondern die Ärmel hochgekrempelt hat und entschlossen war, es beim nächsten Mal besser zu machen, es richtig zu machen, koste es, was es wolle. Jetzt erst recht. Aber was auch immer der Grund gewesen war, die Entscheidung zu treffen, mehr als 300 Mio. Dollar in die Produktion von zwei knapp dreistündigen Filmen zu stecken, von Regisseur Jon M. Chu back to back gedreht wie einst die „Der Herr der Ringe“-Trilogie, die man im Jahresabstand in die Kinos schicken würde, Thanksgiving 2024 und 2025, volles Risiko, all or nothing, nichts geht mehr, es war die richtige Entscheidung. 

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Jon M. Chus „Wicked“ mit Cynthia Erivo und Ariana Grande (Credit: UPI)

Grundsätzlich haben natürlich auch die Voraussetzungen gepasst. Das Musical „Wicked – Die Hexen von Oz“, basierend auf Gregory Maguires Erfolgsroman von 1995, läuft am Broadway ununterbrochen seit Oktober 2003, hat zahllose Preise und Auszeichnungen gewonnen – und ist auch in Deutschland zu sehen; Premiere war im November 2007 in Stuttgart. Der Trailer, überbordend vor Farben, Designs und Eindrücken, versprach auch den Uninitiierten ein episches Fantasy-Spektakel, das die legendäre Welt von „The Wizard of Oz“ noch einmal größer und aufregender sein lässt. Überhaupt „The Wizard of Oz“, in Deutschland unter dem Titel „Das zauberhafte Land“ im Kino zu sehen, dieses Technicolor-Wunder aus dem Jahr 1939 und Teil des UNESCO-Kulturerbes, laut Credits dem Regisseur Victor Fleming zugeschrieben, aber seinerzeit für MGM mit einer ganzen Phalanx großer Regienamen aus dem Boden gestampft, Inbegriff für überbordende Fantasie und die Magie des Kinos, Teil der DNS der Popkultur: There’s no place like homeFollow the yellow brick roadDing-dong the witch is dead. Auf ewig ein Versprechen. „Wicked“ hat es eingelöst. 

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„Wicked“ wird in den USA um eine Woche nach vorne gezogen (Credit: Universal Studios)

Zuviel ist nicht genug: Um dieses revisionistische Prequel erzählen zu können, das anders als Sam Raimis für Disney gedrehter „Die fantastische Welt von Oz“ aus dem Jahr 2013, der die Geschichte des Zauberers selbst retrofittete, nunmehr die Vorgeschichte der beiden verfeindeten Hexen aus „The Wizard of Oz“ standesgemäß in den Mittelpunkt rückt, sparte Universal keine Kosten und Mühen, im absoluten Wortsinne. „Wicked“, wie es von Regisseur Jon M. Chu, Mastermind hinter dem Überraschungshit „Crazy Rich Asians“ und dem an den Kinokassen enttäuschenden Musicaln„In the Heights“ (45 Mio. Dollar Umsatz weltweit), ersonnen wurde, ist Füllhorn pur, Edelkonfekt, Eye-Candy deluxe, ein bis in die letzte Haarspitze aufs Erlesenste ausgestatteter Weltenbau, der zunächst erstaunt und dann zwangsläufig irgendwann erschlägt: Wie viel kann Film kann man in einem Film schauen? Und doch entspricht das dem Ansatz des Originalfilms, nur dass Chu und sein Team von über sich selbst hinauswachsenden Künstlern (Kamera: Alice Brooks, Szenenbild: Nathan Crowley, Kostümbild: Paul Tazewell, Schnitt: Myron Kerstein, ein Heer von Maskenbildnern) in bester Wizard-of-Oz-Manier den Vorhang öffnen und eine Welt offenbaren, die größer und prächtiger ist, als man es 1939 auf einer Studiobühne, und sei sie noch so groß gewesen, hätte umsetzen können. Es ist die Erfüllung einer Fantasie, das Einlösen eines Versprechens, immersives Filmerleben immer am obersten Anschlag.

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Jon M. Chus „Wicked“ mit Ariana Grande (Credit: UPI)

Cynthia Erivo und Popsuperstar Ariana Grande (in ihrer ersten Filmrolle) spielen Elphaba und Galinda. Beide sind perfekt besetzt und perfekt in ihren Rollen, die personifizierten Gegensätze: das Zeit seines Lebens untergebutterte und ungeliebte Mauerblümchen mit der grünen Haut, dessen wacher Blick stets signalisiert, dass man auch dieses Buch nicht nach dem Umschlag bewerten sollte, auf der einen Seite, die privilegierte Schönheit mit der Pergamenthaut, die durchs Leben schwebt, als würde sie sich stets und immer auf Wolke 7 befinden, auf der anderen. Dass sie sich zunächst nicht ausstehen können, weil sie sich nichts zu sagen und keinerlei Gemeinsamkeiten haben, wird in einer langen Rückblende erzählt, nachdem das Intro in dem Moment in Munchkinland einsetzt, als Dorothy wieder gen Kansas entschwebt: Stimmt es denn, wollen die Munchkins von der strahlenden Glinda, der guten Hexe des Nordens, wissen, dass sie einst mit der im Wasser zu Tode geschrumpelten bösen Hexe des Westens befreundet war? Die gemeinsame Zeit der beiden ungleichen jungen Frauen in der Shiz Academy durchstreift der Film wie eine „Harry Potter“-Adaption mit der von Fans verehrten Musik von Stephen Schwartz und trifft dabei immer punktgenau den Ton.

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Jon M. Chus „Wicked“ mit Ariana Grande und Cynthia Erivo (Credit: UPI)

Von der Annäherung und Freundschaft von Elphaba und Galinda, wie sie sich zunächst nennt, erzählt „Wicked“, von der Verfolgung vermeintlich unbequemer Lehrer, vom Verrat einer geschätzten Vertrauensperson, von einer Reise zum Zauberer von Oz, von einem Kaiser, der ohne Kleider dasteht, und schließlich, wie am Ende des ersten Teils des Musicals von Winnie Holzman, die zusammen mit Dana Foxauch das Drehbuch der Filme geschrieben hat, von der Emanzipation und Selbstfindung Elphabas und in einem herausragenden Showdown, filmisch komplex und atemberaubend umgesetzt, von einer Kampfansage, die sich dann wohl in Film 2 erfüllen wird. Ist es eine tolle Adaption des Bühnenmusicals geworden? Ein emphatisches Ja. Ist es ein grandioses Kinomusical geworden? Ein empathisches Ja. Aber ist es auch ein großartiger Film? Jein. Ziemlich exakt in der Mitte der Handlung (Stichpunkt: Midpoint-Scene) gibt es eine Szene, die darauf hinweist, dass „Wicked“ noch mehr hätte sein können: Da tanzt die einsame Elphaba allein mitten auf der Tanzfläche, müde belächelt oder höhnisch ausgelacht von den anderen Anwesenden. Bis Galinda einstimmt in Elphabas Bewegungen, sie erstmals eins ist mit dem Mädchen, mit dem sie sich zur Strafe ihre geräumigen Gemächer teilen muss. Es ist ein wunderbarer, transzendenter Moment, der beste des Films, elektrisierend und bewegend, ein Solitär selbst in diesem wohlgemerkt immer gelungenen Filmabenteuer, der darauf verweist, zu welcher Größe „Wicked“ fähig ist. Jetzt muss man sich erst einmal damit abfinden, es lediglich mit einem glanzvollen Mainstreamabenteuer zu tun zu haben. Alles Weitere kann dann in „Wicked 2“ kommen. Auf den sich Kinogänger weltweit schon jetzt freuen. Und womit? Mit Recht. 

Thomas Schultze