Surreale Komödie über ein Kanada, in dem Farsi die Amtssprache und die persische Kultur die Leitkultur des Landes ist.
FAST FACTS:
• Gefeiert und ausgezeichnet bei seiner Premiere in der Quinzaine in Cannes
• Kanadas Vorschlag für die internationalen Oscars
• Außergewöhnliche und eindrucksvolle visuelle Gestaltung
• Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München
CREDITS:
Land / Jahr: Kanada 2024; Laufzeit: 89 Minuten; Regie: Matthew Rankin; Drehbuch: Ila Firouzabadi, Pirouz Nemati, Matthew Rankin; Besetzung: Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Sobhan Javadi, Pirouz Nemati, Mani Soleymanlou, Danielle Fichaud; Verleih: Rapid Eye Movies; Start: 23. Januar 2025
REVIEW:
Im Namen der Freundschaft. Der neue Film des kanadischen Filmemachers Matthew Rankin ist eine Arbeit, die man an der Oberfläche betrachten kann und die einem dann ein Schmunzeln abringt, weil man den Versuch erkennt, das iranische Kino eines Abbas Kiarostami mit den streng kadrierten und immer leicht stilisierten Bilderwelten eines Wes Anderson oder Jacques Tati zu einer surrealen Komödie vereinen, den Osten mit dem Westen zu versöhnen, in dem gleichen Maße, wie „Universal Language“ die persische Lebensweise als kanadische Leitkultur anzudienen. Da winkt dann schon eher Godard, was zur zweiten Lesart des Films führt, wenn man bereit ist, unter die augenzwinkernde Oberfläche zu dringen und sich in den zahllosen Anspielungen und historischen Verweisen zu verlieren, die offenkundig werden, je mehr man sich mit dem Film beschäftigt und bereit ist, sich mit kanadischer Geschichte zu befassen.
Rankin hat sich bislang einen Ruf vornehmlich gemacht als experimenteller Filmemacher, für den die Leinwand eine Art Testlabor ist, eine Petrischale, eine Versuchsanordnung, die er beliebig befüllt und dann mit scharfem intellektuellen Verstand zusieht, was herauskommen könnte. Siehe „The Twentieth Century“, die bislang bekannteste Arbeit des Filmemachers aus Winnipeg. Wenn man „Universal Language“ als seine zugänglichste Arbeit bezeichnet, als einen vorsichtigen Schritt in Richtung Mainstream-Akzeptanz, dann liegt man nicht falsch. Seine ganz besondere Andersartigkeit und Eigenheit, seine Vorliebe für konzeptionelles Filmemachen ist ihm dabei aber nicht abhandengekommen. Was „Universal Language“ zum Hit der diesjährigen Quinzaine des Cinéastes in Cannes hat werden lassen und zum kanadischen Oscarvorschlag in diesem Jahr mit seiner Mischung aus Dialogen in wahlweise Französisch oder Farsi. Und obwohl man es einem so originellen Film, der in Deutschland bereits im Sommer beim Filmfest München im Rahmen seines kanadischen Schwerpunkts erstmals zu sehen gewesen war, jeden Erfolg wünschen würde, wird Rankin damit nur bei einer eingeschworenen Gemeinde Cinephiler wirklich punkten können.
Seine wilde Off-Beat-Comedy spielt in einem der Realität entrückten Kanada, das indes geprägt ist von realen unschmucken Ziegelbauten und grauen Parkhäusern: Alles eine Frage der Perspektive, das Draufschauens, des eigenen Blicks, den Matthew Rankin hier hinterfragt, wie er sich selbst hinterfragt und neu erfindet: als Schauspieler in seinem Film, der auf den Namen Mathieu Rankin hört und Französisch spricht, auch wenn das Land am meisten geprägt ist vom Einfluss des persischen Kunstkinos. Wenn Kiarostamis „Close-Up“ eine Nation sein könnte, dann wäre sie „Universal Language“, dessen Titel auf Farsi übersetzt – so heißt es – „Lied des Truthahns“ bedeutet, was zumindest die vielen Truthähne erklären würde, die sich immer wieder in die Mise en Scene schleichen, während sich die Wege einer Gruppe von Figuren kreuzen und bisweilen wieder verlieren. Zwei Kinder finden im Eis des Sees einen Geldschein, den sie mit einer Axt freihämmern wollen, um einem Freund eine neue Brille zu kaufen, nachdem seine alte von einem Truthahn kaputtgemacht wurde. Ihr Vater führt Touristen auf einer nicht enden wollenden Tour durch Winnipeg, um ihnen Nebensächlichkeiten zu zeigen als seien sie kulturelle Artefakte. Ihr Lehrer indes verlässt die Stadt zur gleichen Zeit wie Mathieu, der loszieht, um seine kranke Mutter zu besuchen, dabei aber nur eine Gegend findet, die ihm fremd geworden ist.
„Universal Language“ ist ein Film über das entwurzelt Sein, über die vielen Dinge, die uns trennen, ob es Sprache, Kultur oder Weltanschauung sind, ein Meisterwerk der Disorientierung. Aber dann geht es ihm eben auch um die gemeinsame Sprache, das zutiefst menschliche Bedürfnis um Kommunikation, Dialog und Austausch. Und dass es wie beim Filmemachen darum geht, den eigenen Blick zu schärfen, das Vertraute im Fremden zu finden, ein Anker zu sein, im Namen der Freundschaft. Matthew Rankin gelingt das mit ungewöhnlichen filmischen Mitteln und einem ebenso genauen wie mitfühlenden Ansatz: Wenn es nur gelingt, das Eis zu schmelzen, werden wertvolle Dinge zum Vorschein kommen.
Thomas Schultze