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REVIEW KINO: „Thelma“

Hinreißende „Actionkomödie“ über eine 90-Jährige, die sich an Online-Betrügern rächen will.

CREDITS:
Land / Jahr: USA 2024; Laufzeit: 98 Minuten; Regie & Drehbuch: Josh Margolin; Besetzung: June Squibb, Fred Hechinger, Richard Roundtree, Parker Posey, Clark Gregg; Verleih;: Universal; Start: 10. Oktober 2024

REVIEW:
Als Richard Farnsworth sich in „The Straight Story” auf die Reise begibt und mit seinem Rasenmäher die Landstraße im Schritttempo entlangtuckert, lässt David Lynch die Kamera nach oben schwenken in den wolkenverhangenen Himmel, verweilt kurz dort und schwenkt wieder herab: Mehr als ein paar Meter ist Farnsworth nicht weitergekommen, die Fahrt kann noch eine ganze Weile dauern. Der Weg ist das Ziel. Farnsworth war bei den Dreharbeiten 78 Jahre alt. Ein junger Hüpfer also im Vergleich zu June Squibb, die 92 Jahre alt war, als sie für Josh Margolin in „Thelma“ vor der Kamera stand. Es ist, man will es nicht fassen, ihre erste Hauptrolle in einer Karriere, die sie überhaupt erst mit Mitte 50 begonnen hatte, und sie ist mindestens ebenso gut wie in Alexander Paynes „Nebraska“, für den sie eine Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin erhalten hatte. 

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Josh Margolins „Thelma“ mit June Squibb und Fred Hechinger (Credit: Universal)

Wie „The Straight Story“ ist auch „Thelma” ein Film über das Altern, über das Altsein. Anders als „The Straight Story“ ist es kein Film, der seine Kraft aus der Ruhe bezieht: Er legt nicht gerade einmal 50 Meter in fünf Minuten zurück, sieht das Leben nicht als langen ruhigen Fluss. Das ist der eigentliche Clou, der besondere Witz dieses zwar in den USA entwickelten und entstandenen, aber majoritär aus der Schweiz heraus produzierten Films der Zurich Avenue von Karl Spoerri und Viviana Vezzani ist genau, dass Josh Margolin inszeniert hat wie einen Actionfilm, mit den entsprechenden Beats und Einstellungen und einer Musik wie aus einer amerikanischen Copshow. Nur dass in den Verfolgungsjagden, und von denen gibt es einige in „Thelma“, keine Reifen quietschen, keine Powerslides hingelegt werden und keine Radkappen von den Reifen springen, weil diese Verfolgungsjagden hier nicht mit Autos veranstaltet werden, sondern in Scootern, also fahrbare Gehhilfen für Senioren.

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Josh Margolins „Thelma“ mit Richard Roundtree und June Squibb (Credit: Universal)

Das ist witzig und originell, aber auch anrührend und ein bisschen bewegend, weil Margolin keine Nummernrevue im Sinn hat, sondern die erfrischende Weirdness wie aus einem der originellen amerikanischen Indiefilme der Achtzigerjahre nutzt, um eine durchaus profunde Geschichte zu erzählen. Die zunächst einmal die Form eines Rachethrillers verwendet: Die rüstige Thelma will nicht zum alten Eisen zählen, lässt sich von ihrem um seine Oma bemühten Enkel einweisen in die Errungenschaften moderne digitaler Kommunikation. Internet! Email! Facebook! Sie ist wissbegierig und interessiert, fällt aber trotzdem auf einen Trick professioneller Betrüger herein, die ihr vorgaukeln, ihr Neffe sei im Krankenhaus und müsse ins Gefängnis, wenn sie nicht 10.000 Dollar Cash an eine bestimmte Adresse schickt. Natürlich lässt sie sich ungern für dumm verkaufen und setzt sich in den Kopf, die Verbrecher ausfindig zu machen und ihr Geld zurückzuholen. Was die unerschrockene Heldin gemeinsam mit ihrem besten Freund Ben, dem im vergangenen Jahr verstorbenen „Shaft“-Darsteller Richard Roundtree, auf eine Reise ans Ende der Nacht schickt und ihre Familie (Parker Posey,  auf eine skurrile Suche nach der verschwundenen Seniorin schickt. 

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Josh Margolins „Thelma“ mit June Squibb (Credit: Universal)

Es ist eine amüsante Tour de Force, voller liebenswerter Betrachtungen und Gespräche, merkwürdiger Treffen mit anderen älteren Herrschaften, eine von ihnen, Bunny Levine, sogar noch ein Jahr älter als June Squibb, und am Schluss ein Standoff zwischen Squibb und Malcolm McDowell, mittlerweile auch schon 81 Jahre alt, der gleich mehrere überraschende Wendungen nimmt. Und immer wieder geht es um eine Welt, die nicht nur den Alten mehr und mehr zu entgleiten droht, in der die Technologie sich so sehr ins Leben der Menschen gedrängt hat, dass man sich kaum mehr darin zurechtfinden kann. Aber „Thelma“ macht keine schwere Sache draus, hält den Ton beschwingt und belustigt und das Tempo hoch, wie es sich für die Imitation eines Actionfilms gehört: Nicht ist hier packender und spannender als Thelmas Versuche, auf einem ihr fremden Comouter in den Account eines Kontos zu kommen – die Entsprechung für eine der Actionsequenzen mit Tom Cruise, die sich Thelma mit ihrem Enkel zu Beginn des Films ansieht: „Er läuft sehr schnell.“ In den USA hat die Sache gefunzt. Da war „Thelma“ Gesprächsthema auf dem Sundance Film Festival und spielte im Verleih von Magnolia Pictures 9,0 Mio. Dollar ein. Geht doch.

Thomas Schultze