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REVIEW KINO: „The Dead Don’t Hurt”

Eigenwilliger Western von Viggo Mortensen über eine selbstbewusste Frau, die von ihrem Mann alleingelassen der feindseligen Männerwelt einer kleinen Gemeinde begegnen muss. 

CREDITS:
Land / Jahr: USA / Dänemark / Mexiko / Großbritannien / Kanada 2023; Laufzeit: 129 Min.; Regie & Drehbuch: Viggo Mortensen; Besetzung: Vicky Krieps, Viggo Mortensen, Solly McLeod, Danny Huston, Garret Dillahunt, Ray McKinnon; Verleih: Alamode; Start: 8. August 2024

REVIEW:
Nach seinem sehr intensiven Regiedebüt „Falling“ vor vier Jahren über eine schwierige Vater-Sohn-Beziehung, in dem er neben Lance Henriksen selbst auch die Hauptrolle übernommen hatte, ist auch der neue Film von Viggo Mortensen wieder autobiographisch geprägt: Er habe es einfach nicht aus dem Kopf bekommen, berichtet er, als ihm seine Mutter davon erzählt hatte, als Mädchen ganz allein im Wald gespielt und von der Begegnung mit edlen Rittern geträumt zu haben. Diese Bilder bilden den Ursprung von „The Dead Don’t Hurt“, ein ungewöhnlicher Western mit einer eigenwilligen Frau im Mittelpunkt, die auf der Mutter des Filmemachers basiert, aber als frankokanadische Immigrantin ins San Francisco der frühen 1860er-Jahre verlegt wurde. Vicky Krieps spielt sie, wie nur Vicky Krieps sie spielen könnte. Eine Frau, die wie ein Fremdkörper wirkt, weil sie nicht bereit ist, sich in ein Rollenbild zu fügen, und das in einer Zeit, in der den meisten Frauen wenig Spielraum geboten war. 

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Vicky Krieps und Viggo Mortensen in „The Dead Don’t Hurt“ (Credit: Marcel Zyskind Alamode)

Vivienne Le Coudy nimmt ihn sich dennoch. Die Avancen der Männer aus der besseren Gesellschaft wehrt sie ab in San Francisco, wo sie an der Fisherman’s Wharf Blumen verkauft, Fremde in einer fremden Welt: kein Korsett für sie, vielen Dank! Bis sie den dänischen Auswanderer Holger Olsen kennenlernt, gespielt von Viggo Mortensen selbst, der lieber schweigt als schwätzt und ein Einzelgänger ist, der die Eigenwilligkeit anderer Einzelgänger nicht als Manko sondern als Qualität begreift und keine vorbestimmte Rolle für Frauen sieht, weil er selbst kein vorbestimmtes Leben führt. Ihm folgt Vivienne. Weg aus der Großstadt in die Diaspora, in eine winzige Gemeinde in Nevada namens Elk Flats, wo sich Holger außerhalb in einer Schlucht eine Hütte gebaut hat, deren Schlichtheit selbst der Hemdsärmeligkeit gewöhnten Vivienne den Atem raubt. Was sie nicht abhält, Holger zu heiraten und sich an die Arbeit zu machen, ihr Zuhause nach ihrer Vorstellung zu gestalten. Es Idylle zu nennen, wäre übertrieben. Aber es ist ein Leben auf Augenhöhe immerhin. Bis Holger, ein Kriegsveteran, der im heimischen Dänemark jahrelang als Soldat für seinen König gekämpft hat, den Beschluss fasst, auf Seite der Union im Sezessionskrieg zu kämpfen, Elks Flat verlässt und seiner Frau den Rücken zukehrt, die sich auf sich alleingestellt unversehens mit der Männerwelt von Elks Flat konfrontiert sieht, insbesondere mit dem unberechenbaren Weston, Sohn des Großgrundbesitzers Alfred Jeffries, der die Gemeinde nach Belieben kontrolliert. 

„The Dead Don’t Hurt“ ist als große Rückblende mit ein paar Rückblenden in der Rückblende erzählt, wo wir Vivienne als kleines Mädchen erleben. Die Klammer bildet der Tod von Vivienne, die ein letztes Mal von dem Ritter geträumt hat, dem sie als Mädchen im Wald begegnet zu haben glaubt, bis ihr Holger ein letztes Mal die Augen schließt, sie beerdigt und dann mit seinem Sohn wegreitet, ein letztes Mal. Was der Film dann zeigt, ist seine Erinnerung, zurückgehend zum Kennenlernen von Vivienne, ihrer Zeit in Elks Flat, seinen Entschluss, in den Krieg zu ziehen, und dann, und das ist wichtig, seine Rückkehr und was in der Zeit seiner Abwesenheit passiert war. Das ist es, was ihn beschäftigt und in ihm rumort und ihn schließlich doch wieder umdrehen lässt, weil es noch offene Rechnungen zu begleichen gilt. 

Viggo Mortensen nutzt die klassischen Konventionen des amerikanischsten aller Genres, um sich ihnen gleich wieder zu widersetzen. Klar kennt man das Personal, den korrupten Bürgermeister, den schwachen Sheriff, den machtgeilen Rancher, den heißspornigen Sohn, den bemitleidenswerten Dorftrottel. Aber „The Dead Don’t Hurt“ sieht so aus einem anderen Winkel, mit einem anderen Blick, dem sehr weiblichen Blick einer Typ Frau, wie er in den Western von John Ford oder Howard Hawks bestenfalls angedeutet wird, aber definitiv niemals im Mittelpunkt steht. Dieser Film aber gehört Vicky Krieps, die die Frontier auf ihre Weise erobert, auch wenn sie der Gewalt der Männer nicht immer etwas entgegenzusetzen hat: Was ihr auch widerfahren mag, bleibt sie aufrecht und selbstbewusst, eine Fremde in einer ihr fremden Welt, eine Frau in der falschen Zeit. 

Thomas Schultze