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REVIEW KINO: „Sieger sein“

Mitreißender Jugendfilm von Soleen Yusef über ein elfjähriges Flüchtlingsmädchen aus Syrien, das sich an seiner neuen Schule im Berliner Wedding durchsetzen muss und sich als ausgezeichnete Torhüterin behauptet.

CREDITS: 
Land/Jahr: Deutschland 2024; Laufzeit: 119 Minuten; Regie & Drehbuch: Soleen Yusef; Besetzung: Dileyla Agirman, Andreas Döhler, Fatima Hamieh, Sherine Ciara Merai, Manasse Kiefer, Samira Hamieh, Dominic John Brandl; Verleih: DCM; Start: 11. April 2024

REVIEW:
Acht Jahre nach „Haus ohne Dach“ hat Soleen Yusef wieder einen Kinofilm gemacht, ebenso persönlich und leidenschaftlich wie das Filmdebüt von 2016, aber doch auch erkennbar und spürbar das Werk einer gereiften Filmemacherin, die Akzente gesetzt hat in den letzten Jahren als Regisseurin bahnbrechender deutscher Serien wie „Skylines“ (mit Maximilian Erlenwein), „Deutschland89“ (mit Randa Chahoud) und zuletzt „Sam – Ein Sachse“ (mit Sarah Blaßkiewitz). All das zwischenzeitlich Gelernte und sich neu Angeeignete und jede Menge Erfahrung und Professionalität lässt sie einfließen in diese neue Arbeit nach eigenem Drehbuch, ein Herzensprojekt, ein „Kick It Like Beckham“ aus dem Herzen des Wedding, den man, je nach Blickwinkel, als nahen Verwandten von „Das fliegende Klassenzimmer“, „Sonne und Beton“, „Das Lehrerzimmer“ oder „Bibi & Tina – Mädchen gegen Jungs“ sehen kann, der aber doch immer nur sich selbst und seiner Geschichte verpflichtet ist. 

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Fremde in einer fremden Welt: Die elfjährige Mona muss sich in „Sieger sein“ durchbeißen; Foto: DCM

Von dem syrischen Flüchtlingsmädchen Mona wird erzählt, das die kurdische Heimat in den Wirren des Bürgerkrieges mit ihrer Familie verlassen musste und nun in Berlin Fuß fassen muss. In ihrer neuen Schule wird sie erst einmal angefeindet und ausgelacht, bis es ihr gelingt, als begnadete Torhüterin den Respekt der anderen Mädchen zu gewinnen. Das klingt geradlinig und vielleicht einfach. Aber nichts ist einfach in „Sieger sein“. Wie den Figuren nichts geschenkt wird, schenkt sich auch der Film nichts. Wenn es voran geht, dann ist es verdient, hart erarbeitet. Ebenso oft gibt es aber auch Rückschläge. Soleen Yusef, die als Neunjährige mit ihrer Familie selbst aus politischen Gründen ihre kurdische Heimat verlassen musste, um sich in Berlin anzusiedeln und im Wedding in die Schule zu gehen, kennt die Welt, von der sie erzählt und für die sie mit ihrem angestammten Kameramann Stephan Burchardt („München: Im Angesicht des Krieges“) ganz unmittelbare und frische Bilder findet: Verbunden mit dem dynamischen, bisweilen assoziativen Schnitt von Marty Schenk („Nebenan“), entwickelt sich ein moderner, schneller, anspruchsvoller Film, der einen gewaltigen Sog entfaltet, narrativ wie emotional. 

Weil Yusef auch genau weiß, nie ihre Storyline aus den Augen zu verlieren, die Rückgrat und Nervenzentrum ist. Genau diese Geradlinigkeit ermöglicht es ihr aber auch, an dieser Story entlang viele weitere Geschichten zu erzählen, nötige Umwege zu gehen, assoziative Rückblenden einzustreuen, alles, um das Narrativ zu verdichten, zu erzählen und Wissen zu vermitteln, ohne zu belehren oder mühselig Botschaften aufzupacken. „Teamwork makes the dream work“, sagt Mona einmal in einem der vielen Momente, in denen sie die vierte Mauer durchbricht und direkt zum Publikum spricht, in perfektem, akzentfreiem Deutsch, wie sie es in ihrem Kopf hört, es ihr aber doch so schwerfällt, sich ihrer Umwelt im Gespräch mitzuteilen. So erlebt man als Zuschauer mit, wie die Mädchen und schließlich die ganze Klasse zusammenwachsen.

Aber eben noch viel mehr. Der Kämpferwille der ganzen Familie Monas, ihre faszinierende Dynamik. Der Einsatz eines Lehrers (großartig: Andreas Döhler als engagierter Herr Che, eher Fräulein Novak als Zecki Müller) für seine Schüler in einer vermeintlichen Problemschule. Das Ringen eines deutschen Jungen um Akzeptanz in einem Klassenverband, der ihn wegen seines Äußeren als „Anders“ ablehnt. Der Fußball als verbindende Größe, über alle Unterschiede hinweg. Aber egal, welchen Aspekt Soleen Yusef gerade in den Mittelpunkt rückt, immer ist der Film getragen von ihrem empathischen und liebevollen Blick, ihrer Hoffnung und Überzeugung, Dinge verändern zu können, wenn man nur selbst in der Lage ist, einmal vom eigenen hohen Ross herunterzukommen. Exemplarisch ist ihre Arbeit mit dem jungen Cast, der über sich selbst hinauswachsen darf, auch weil jedes der Mädchen und Jungen eine eigene Persönlichkeit sein und sich im Lauf des Films beweisen darf, nicht nur Filmdebütantin Dileyla Agirman als Mona. Jede:n von ihnen schließt man ins Herz.

Dass der Film schließlich mit einem toll inszenierten Fußballspiel endet, wo das Runde ins Eckige muss und dem Film die Quadratur des Kreises gelingt, schließt auch wunderbar einen Kreis in der Geschichte des Jugendfilms: Ein Fußballspiel war auch der denkwürdige Höhepunkt von Ken Loachs legendärem „Kes“ aus dem Jahr 1969, ein weiteres Beispiel für engagiertes und verständnisvolles Filmemachen, das das Kindsein und Jungsein beschreibt als ständigen Hindernisparcours in einer Welt, die einen einfach nicht verstehen will. Dabei muss man doch nur zuhören. Oder zusehen. Wie im Fall des wunderbaren „Sieger sein“, der gerade die Reihe „Generation Kplus“ auf der Berlinale unter großem Jubel eröffnete und nun – man drückt gerne die Daumen – hoffentlich auch bei der kommerziellen Auswertung einen Nerv bei der Zielgruppe trifft. 

Thomas Schultze