Abgründige Komödie über einen Mann, der sich beruflich als Charakter für jede erdenkliche Situation anbietet und dabei sich selbst aus den Augen verliert.
FAST FACTS:
• Ausgezeichnetes Regiedebüt des österreichischen Filmemachers Bernhard Wenger
• Paraderolle für den großartigen Albrecht Schuch
• Gefeierte Weltpremiere in Venedig in der Settimana della Critica
CREDITS:
Land / Jahr: Österreich / Deutschland 2024; Laufzeit: 102 Minuten; Regie & Drehbuch: Bernhard Wenger; Besetzung: Albrecht Schuch, Julia Franz Richter, Maria Höfstätter, Anton Noori; Verleih: Wild Bunch; Start: Anfang 2025
REVIEW:
Kann ein Mann mit 1000 Eigenschaften eine eigene Identität haben? Spielfilm-Regiedebütant Bernhard Wenger geht dieser existenziellen Frage nach in einer originellen, hinreißenden und augenzwinkernden Satire „Pfau (Bin ich echt?)“ (in Österreich und international: „Peacock“) und findet zwar nicht unbedingt Antworten. Aber er nutzt seine komische Prämisse als Sprungbrett für eine Abfolge verblüffend-absurder Situationen und gibt Dauer-Deutscher-Filmpreis-Gewinner Albrecht Schuch eine neue Bühne, sein wirklich erstaunliches Talent zur Schau zu stellen und sich auf hintergründige Weise selbst über seine große Wandelbarkeit lustig zu machen. Oft muss man zweimal hinsehen, ob das wirklich immer ein und derselbe Schauspieler ist: der mitfühlende Sozialarbeiter in „Systemsprenger“, der gezeichnete Soldat in „Im Westen nichts Neues“, der zunächst regelrecht Funken schlagende Thomas Brasch in „Lieber Thomas“, der windige Neonazi Uwe Mundlos in „NSU: Mitten in Deutschland“, der verschlagene Reinhold in „Berlin Alexanderplatz“. Liste könnte man bequem fortsetzen. Aber worum es geht, ist Folgendes: Schuch schlüpft in seine Figuren wie eine zweite Haut, verschwindet in ihnen, bis nichts mehr von ihm übrigbleibt.
Genau das ist das Dilemma der Hauptfigur von „Pfau / Peacock“: Matthias schlüpft mühelos von Rolle zu Rolle. Das ist das Erfolgsgeheimnis der Rent-a-Begleiter-Agentur, die er mit einem Freund betreibt. Wer Eindruck schinden will auf einer Party mit einem schlagfertigen, belesenen Sohn – Matthias ist der Mann! Er kann auch ein attraktiver Partner sein, weil man nicht allein in einer sozialen Situation auftreten will. Er ist auch ein prima guter Freund. Oder der Richtige, wenn man Streitgespräche üben will. Matthias ist genial. Er verlangt kein Trinkgeld, eine positive Bewertung reicht aus. Aber wenn man unentwegt eine andere Meinung überzeugt vertritt, hat man selbst bald keine eigene mehr. Wenn man ständig perfekt jemand anders ist, bleibt von einem selbst nicht mehr viel übrig. So stellt Matthias mehr und mehr fest, dass er eingeübte Sätze für seinen Job auch in seinem Privatleben ausprobiert, um zu sehen, wie sie ankommen, wie er mehr und mehr den Zugang zu sich selbst zu verlieren beginnt, sehr zur Frustration seiner Freundin Sophia, gespielt von Julia Franz Richter aus „Ein ganzes Leben“, und schließlich auch zur eigenen Frustration.
Wie real bin ich? Wie real ist ein Leben in einer perfekt und stilvoll eingerichteten Wohnung? Was sagt eine Garderobe über einen aus, die aussieht, als wäre sie von einem Stilberater zusammengestellt worden. Für Matthias beginnt eine Reise, in der all die Dinge, die er immer als gegeben gesehen hat, sich aufzulösen zu beginnen und sich die Existenzkrise auch auf seine Arbeit zu übertragen beginnt: Sind die klugen Sätze, die intelligenten Zitate, die brillanten Verweise wirklich so klug, so intelligent, so brillant? Ein Leben im freien Fall beschreibt Bernhard Wenger, seine Szenen sind wie Versuchsanordnungen, durch die er Albrecht Schuch schickt. Ergebnis offen. Nachvollziehbar sind die Vergleiche mit dem Kino eines Yorgos Lanthimos oder Ruben Östlund. Gerecht wird man dem österreichischen Filmemacher und seiner von Nikolaus Geyrhalter Filmproduktion produzierten Arbeit (deutscher Koproduzent: CALA Filmproduktion) damit nicht. Er ist nicht so chirurgisch, nicht so grausam, weniger analytisch und schon gar nicht so bösartig. Der Blick ist liebevoll, der Umgang mit den Situationen verspielt und neugierig, eher vergleichbar mit den frühen Arbeiten von Spike Jonze oder wie ein Christos Nikou die Welt sieht.
Und mittendrin ist Albrecht Schuch, der auch dann stets hinreißend und begehrenswert aussieht, wenn er mit den Untiefen und Abgründen der Wohlstandsgesellschaft konfrontiert wird oder gar den Boden unter den Füßen verliert. Was tun, wenn’s brennt, fragt der Film (in der herrlichen allerersten Szene ganz buchstäblich sogar). Ruhe bewahren, war die Antwort von Hans-A-Plast vor 44 Jahren. Heute, erzählt uns „Pfau / Peacock“, reicht das nicht mehr aus. Weil der moderne Mann (um bei den NDW-Referenzen zu bleiben) selbst bereits beginnt in Flammen aufzugehen.
Thomas Schultze