Starkes Drama mit großen Darstellerleistungen über eine Glaubensdebatte zwischen Sigmund Freud und C.S. Lewis in London unmittelbar nach Beginn des Zweiten Weltkriegs.
FAST FACTS:
• Die Zuverlässigkeit in Person: Anthony Hopkins ist einmal mehr großartig
• Liv Lisa Fries als Tochter von Freud in dieser britischen Produktion
• Basierend auf dem Theaterstück von Mark St. Germain
• Weltpremiere auf dem AFI Fest 2023 in Los Angeles
CREDITS:
O-Titel: Freud’s Last Session; Land / Jahr Großbritannien 2023; Laufzeit: 110 Minuten; Regie: Matt Brown; Drehbuch: Mark St. Germain, Matt Brown; Besetzung: Anthony Hopkins, Matthew Goode, Liv Lisa Fries, Jodi Balfour, Jeremy Northam, Orla Brady; Verleih: X Verleih; Start: 19. Dezember 2024
REVIEW:
So richtig will man es nicht wahrhaben: Am 31. Dezember wird Anthony Hopkins 87 Jahre alt. Weder seiner unverändert unstillbaren Spiellust merkt man das an, noch der unverändert hohen Qualität einer Auftritte. Nach „One Life“, der im März in die deutschen Kinos gekommen war, sieht man den zweifachen Oscargewinner zum zweiten Mal in diesem Jahr, wieder in der Rolle einer real existierenden Figur, wenngleich Sigmund Freud als Persönlichkeit gewiss einen deutlich klingenderen Namen hat als Nicholas Winton. Am Ende sieht man beiden zu, weil sie von Anthony Hopkins gespielt werden, der so wunderbar in Kontrolle seiner darstellerischen Fähigkeiten ist, dass man auch „Freud – Jenseits des Glaubens“ jederzeit fasziniert folgt, wenn Regisseur Matt Brown wenig mehr macht, als die die langen Gespräche im Zentrum des Films adäquat zu bebildern.
Der Film macht kein Hehl daraus, dass er auf einem Theaterstück basiert, verfasst von Mark St. Germain, der das Drehbuch auch gemeinsam mit Regisseur Brown schrieb: Sieht man von einigen öffnenden Rückblenden in die Jugend der beiden Protagonisten ab, bleibt die Kamera fixiert auf Siegmund Freud und C.S. Lewis, die sich unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und nur drei Wochen vor dem Tod des Wiener Psychoanalysten im September 1939 in London buchstäblich über Gott und die Welt unterhalten. Ein fiktives Aufeinandertreffen im Übrigen: Belegt ist lediglich, dass Freud Besuch von einem Gelehrten aus Oxford hatte, nicht aber, ob es wirklich Lewis war, der spätere Autor von „Die Chroniken von Narnia“. Für die Zwecke der Erzählung ist Lewis als verbaler Sparringspartner indes ideal: Als einer der prominentesten christlichen Apologeten steht er am anderen Ende des Glaubensspektrums wie der Atheist Freud.
Es ist eine anregende Zeit, die man in der Anwesenheit der beiden Männer verbringt, zumal Matthew Goode– unlängst erst so großartig als Produzentenlegende Robert Evans in der Miniserie „The Offer“ – als C.S. Lewis seinem Gegenüber ebenbürtig ist und ebenso entschlossen austeilt wie er einstecken kann. Denn tatsächlich ist das Treffen der beiden Männer ein Kräftemessen ebenso wie Ringen mit dem anderen und sich selbst, eine Konfrontation mit dem, wer man ist, wo man herkommt, wovor man Angst hat und was einen zu dem gemacht hat, was man geworden ist, um eine Basis dafür zu haben, im Dialog tiefer zu gehen, die elementaren Dinge des Lebens zu besprechen. Der Krieg und der nahende Tod sind stetige Begleiter ebenso wie die Geschichte von Freuds Tochter Anna, gespielt von der immer beeindruckenden Liv Lisa Fries aus „Babylon Berlin“ und „In Liebe, Eure Hilde“, die ihren Vater als ebenfalls anerkannte Psychoanalytikerin nach Kräften unterstützt, aber nicht den Mut aufbringt, ihm zu gestehen, dass sie Frauen liebt und mit ihrer Kollegin Dorothy Burlingham, gespielt von Jodi Balfour aus „For All Mankind“, längst eine Partnerin hat: Bevor die Freuds Wien verlassen können, durchlebt sie in einer Rückblende eine schockierende Episode in Gefangenschaft der Nazis, die dem Film noch einmal eine zusätzliche Ebene gibt.
Die Gespräche sind anregend, nicht ohne Witz, eine gute Grundlage für eigenen Austausch. Es ist immer ein interessanter Film, aber nicht immer ein aufregender Film. Es ließe sich argumentieren, dass er für Regisseur Matt Brown eine direkte Fortsetzung seiner jüngsten Filmarbeit davor ist, „Die Poesie des Unendlichen“ aus dem Jahr 2015 mit Dev Patel und Jeremy Irons, indem es zu einem Aufeinandertreffen und Kräftemessen zwischen dem indischen Mathematiker Srinivasa Ramanujan und seinem Mentor, Professor G. H. Hardy, kommt. Wieder darf man als Zuschauer Fiege an der Wand spielen. Ob das, was in Freuds letzter Sitzung erzählt wird, tatsächlich gesprochen wurde, spielt dabei keine Rolle. Dass man knapp zwei Stunden in der Gegenwart von Anthony Hopkins verbringen durfte, dagegen schon.
Thomas Schultze