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REVIEW KINO: „Die Witwe Clicquot“

Zeitgeschichtliches Frauenporträt der „Grande Dame“ des Champagners basierend auf dem Sachbuch-Bestseller der Kunsthistorikerin Tilar J. Mazzeo.

CREDITS: 
O-Titel: Widow Clicquot; Land/Jahr: Frankreich/UK 2023; Laufzeit: 90 Minuten; Drehbuch: Erin Dignam, Christopher Monger; Regie: Thomas Napper; Besetzung: Haley Bennett, Tom Sturridge, Sam Riley, Ben Miles, Natasha O’Keeffe, Paul Rhys, Nicholas Farrell; Verleih: Capelight Pictures; Start: 7. November 2024

REVIEW:
In ihrem 2008 veröffentlichten Sachbuch-Bestseller „Veuve Clicquot“ erzählt die amerikanische Kulturhistorikerin und „professionelle Weinkennerin“ Tilar J. Mazzeo die Erfolgsstory einer Marke, die heute für Glamour, Stil und Luxus steht – und die einer Pionierin, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit nur 27 Jahren in die Fußstapfen ihres früh verstorbenen Mannes trat, um die Champagnerherstellung zu revolutionieren. Vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung Frankreichs porträtiert die Autorin eine Frau, die dem damaligen „Code civil“ entsprechend ihre Unabhängigkeit letztlich ihrem Witwenstatus verdankte. Dementsprechend fokussiert der britische Filmemacher Thomas Napper, der als Second Unit Director bei Joe Wrights „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ bereits Kostümdrama-Erfahrungen sammeln konnte, den möglicherweise wichtigsten Abschnitt in Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardins Leben: vom Tod des geliebten François, der an seinen eigenen Ambitionen als Leiter des Weinguts seines Vaters Philippe scheiterte, über die hart erkämpfte Übernahme der Geschäftsführung bis hin zur selbstbewussten Entscheidung gegen eine Wiederverheiratung, um sich ihre rechtliche Autonomie zu sichern.

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Thomas Nappers „Die Witwe Clicquot“ mit Haley Bennett (Credit: Capelight)

Das Drehbuch von Christopher Monger („Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam“) und Erin Dignam, die vor allem durch ihre Zusammenarbeit mit Robin Wright bekannt ist und das Skript zu deren Regiedebüt „Abseits des Lebens“ schrieb, endet in genau diesem Moment, mit einer Gerichtsszene, in der im Grunde genommen die Karriere der ersten Geschäftsfrau von Rang erst begann. Rückblenden enthüllen nach und nach die Geschichte ihrer (arrangierten) Ehe, füllen die Lücken in der Biografie ihres psychisch labilen Mannes (Tom Sturridge), dessen Träume sie posthum zu erfüllen versucht. Immer stärker kristallisiert sich ihr eigenes Interesse heraus, als sie damit beginnt, an einer neuen Champagnersorte zu arbeiten und dafür alles aufs Spiel setzt, was François hinterlassen hat. Sie setzt sich gegen ihren Schwiegervater (Ben Miles) durch, der „ihre“ Reben zunächst an den Konkurrenten Moët (Nicholas Farrell) verkaufen will. Sie lernt, dass Hierarchien, die Anpassung an patriarchalische Strukturen notwendig sind, weil sich männliche Arbeiter sonst „unwohl“ fühlen. Das hindert sie nicht daran, sich sogar mit Napoleon anzulegen, in dem sie gemeinsam mit dem Weinhändler Louis Bohne (Sam Riley) das herrschende Handelsembargo umgeht und ins Ausland exportiert.

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Thomas Nappers „Die Witwe Clicquot“ mit Haley Bennett (Credit: Capelight)

Es ist ein ständiger Zwiespalt, der den Ton des Films bestimmt, wie das Zwiegespräch, das offscreen die Erzählung begleitet und die zwei Zeitebenen verbindet, poetische, von Barbe-Nicole und François vorgetragene Tagebucheinträge und Liebeserklärungen und ein späterer Briefwechsel mit Louis Bohne. Die männliche Stimme und der Geist ihres Mannes sind ständig präsent, lassen die Witwe, die von der amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Haley Bennett(„Hillbilly Elegy“, „Girl on the Train“) mit zeitgemäßer Zurückhaltung verkörpert wird, nicht zur Ruhe kommen, sie steckt in Beziehungen fest wie in psychologischer Gefangenschaft, und Thomas Napper lässt die Handlung zwar aus Budgetgründen, aber auch künstlerisch effizient im begrenzten Rahmen spielen, in den kühlen Räumen des Gutshofs und in den umliegenden Weinbergen. Es sind Gegensätze, die die französische Kameraveteranin Caroline Champetierbrillant einfängt, die karge, düstere Strenge und die lichtdurchflutete Sinnlichkeit; hier die „schwarze Witwe“ im strengen Kostüm, da die leidenschaftliche Geliebte in Weiß. Die Inszenierung vermittelt das Gefühl einer intensiven, naturalistischen Wahrnehmung der Welt (in der ständig das Brummen einer Fliege zu hören ist), sie ist besonnen, nicht prickelnd, eher rotweinschwer, mit einem Kammermusik-artigen Score von Bryce Dessner, sie schafft das Stimmungsbild einer Epoche des Umbruchs, in der sich eine Frau bewegt, die ihrer Zeit weit voraus ist, die das fortschrittliche und rationale Denken, das pragmatische und analytische Handeln der Aufklärung verinnerlicht hat. Das Drehbuch lässt sie Voltaire zitieren und rückt zugleich ihre romantische Naturverbundenheit in den Vordergrund. Es ist eine Ära, in der emanzipatorische Bestrebungen, erste Schritte in Richtung Gleichberechtigung unternommen, andererseits traditionelle Rollenverteilungen gefestigt werden – das ist die Ambivalenz, die das Leben von Barbe-Nicole Clicquot-Ponsardin und auch Thomas Nappers Film widerspiegelt. 

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Thomas Nappers „Die Witwe Clicquot“ mit Haley Bennett (Credit: Capelight)

Auf diese Weise lernt man viel über die Anfänge des Winzergeschäfts, wie eine Kellerei aufgrund der Nachgärung in der Sektflasche „explodiert“, wie zwischen den Rebstöcken Brände zum Schutz vor Frost gelegt werden, wie Madame Clicquot das „Rüttelverfahren“ erfindet, um erstmals einen klaren Champagner anbieten zu können. Der Film betrachtet die Weinherstellung als Kunst, die die Hingabe und Kreativität, die Eigenschaften einer Frau erfordert, die tatsächlich in erster Linie eine brillante Unternehmerin war. Nicht immer liegt im Wein die Wahrheit, die angedeutete Geistes- und Suchtkrankheit des Ehemanns trifft wohl, wie man nachlesen kann, ebenso wenig den Geschmack des Hauses Clicquot wie die Tatsache, dass der Legende im Stil eines Hollywood-Biopics nicht nur Drogen, sondern auch Sex untergemischt und den Hauptfiguren eine romantische Dreiecksbeziehung angedichtet wird – wobei eine Affäre mit Sam Riley jedem und jeder vergönnt sei. Dass eine Liebesszene zum Moment der Selbstbehauptung wird, illustriert den quasifeministischen Aktivismus der Heldin vermutlich anschaulicher, als es die Realität vermocht hätte. Der sensorische Gesamteindruck ist am Ende der einer sehr sehenswerten Produktwerbung mit einer nicht ganz ausgewogenen Geschichte, die aber mit kühler Eleganz äußerst delikat serviert wird.

Corinna Götz