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REVIEW HOF: „Nawi – Dear Future Me“

Bewegende Geschichte um ein junges Mädchen im kenianischen Turkana, das als Klassenbeste auf die weiterführende Schule nach Nairobi will, dann aber durch die Zwangsverheiratung vor dem Trümmerhaufen ihrer Träume steht.

CREDITS:
Land / Jahr: Kenia 2023; Laufzeit: 103 Minuten; Regie Vallentine Chelluget, Apuu Mourine, Kevin Schmutzler und Tobias Schmutzler; Drehbuch: Milcah Cherotich, Kevin Schmutzler und Tobias Schmutzler; Besetzung: Michelle Lemuya Ikeny, Joel Liwan, Nyokabi Macharia

REVIEW:
Die beiden Brüder Tobias und Kevin Schmutzler produzieren mit ihrer Filmcrew Media in erster Linie Social-Impact-Filme, die kein primär kommerzielles Ziel verfolgen. Im Falle von „Nawi – Dear Future Me“ ist das ein wenig anders: Erstens abendfüllendes Kino, also teurer, deshalb nicht allein als Produzenten stemmbar, zweitens im Verbund mit den beiden aus Kenia stammenden Regisseurinnen Vallentine Chelluget und Apuu Mourine entstanden. Neben der Inszenierung im Quartett schrieben die Schmutzlers, die in München und Kapstadt leben, gemeinsam mit Milcah Cherotich auch das Drehbuch (Script Consultant war Tyron Ricketts) und Tobias übernahm noch den Job des Editors. Für die Produktion fand sich eine große Gruppe leidenschaftlicher Unterstützer:innen zusammen, zu der als Initiator des Ganzen Ludwig von Bayern (er hat auch die NGO Learing Lions gegründet, deren Programm Apuu Mourine durchlaufen hat) gehört sowie Katja Eichinger als die beiden wahrscheinlich prominentesten Persönlichkeiten im Produzentenpool. Premiere feierte der Film bereits im August in Nairobi. In Deutschland wurde er erstmals bei den 58. Internationalen Hofer Filmtagen vor Publikum vorgestellt. 

Für Apuu Mourine erzählt „Nawi  -Dear Future Me“ eine sehr persönliche Geschichte, sind Kindheirat und Bildung für junge Mädchen nach wie vor konfliktbeladene Themen in ihrer Heimat Turkana, wo eines von vier Mädchen minderjährig verheiratet wird (und viele nach der Geburt des ersten Kindes aufgrund des jungen Alters sterben). Mit dem Untertitel „Dear Future Me“ beginnt auch die Geschichte, die auf wahren Begebenheiten basiert. „60 Schafe, 8 Kamele, 100 Ziegen. Das bin ich“, hört man ein junges Mädchen aus dem Off. Es ist die tragische Geschichte von Nawi, die von ihren Freunden auch „Brainy“ genannt, weil sie super ist in der Schule. Die Abschlussprüfungen der Grundschule hat sie nicht nur mit Bravour, sondern als mit Abstand Beste bestanden. Ihr Traum: auf die weiterführende Schule für Mädchen nach Nairobi. Ihr noch größerer Traum: Chirurgin werden, oder vielleicht Architektin, oder Pilotin… Und am allerwichtigsten: eine Stimme haben, in der großen Welt. Ihre Mutter, eine von mehreren Frauen ihres Vaters, die als Großfamilie ein bescheidenes Leben führen in einer sehr armen ländlichen Region, unterstützt sie, schützt sie. Auch ihr Bruder ist auf ihrer Seite. Zunächst. Doch gegen die patriarchalen Strukturen, in denen Frauen und Kinder, die gerne noch mit dem Stock gezüchtigt werden, kein Mitspracherecht haben, kommt auch ihre Mutter nicht an. Als der Vater Geld verspielt, muss er von seinen Kumpels nicht lange überredet werden, Nawi, seine einzige Tochter, als Braut zu verkaufen. Im Gegenzug gibt es neue Ziegen und Kamele. Mensch gegen Vieh. Nawi ist geknickt, was bringt es jetzt noch, in das Heft, das sie von ihrer Lehrerin geschenkt bekommen hat, all ihre Träume aufzuschreiben? „Man ist hier allein aufgrund der Tatsache, als Mädchen geboren worden zu sein, schuldig“, schreibt sie. Die Heirat ist unausweichlich. Zwar gelingt ihr die Flucht, als die Springflut das Flussbett mit Wasser füllt – doch Nawi kehrt zurück, nachdem sie erfahren hat, dass ihr Vater ihrem Ehemann die neugeborene Schwester als Ersatz überlassen muss. 

„Nawi“ zeigt, wie verkrustete Traditionen den Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und Emanzipation ersticken, prangert die Zwangsverheiratung von Kinder in Kenia (aber nicht nur dort) und Gewalt gegen Kinder an in einer von Männern dominierten Welt. Es ist ein Film mit klarer Botschaft und politischer Haltung, der sich mit dem dazugehörenden „Nawi“-Fonds auch einsetzt für gefährdete Mädchen, für das Recht auf Bildung und den Bau von mehr Schulen in der Region Turkana im nördlichen Kenia. Beeindruckend ist die junge Hauptdarstellerin, die 14-jährige Michelle Lemuya Ikeny, die ihr Leinwanddebüt gibt und verblüfft und packt mit ihrem sicheren Spiel. Ob es der Film, der in Deutschland erstmals bei den 58. Hofer Filmtagen zu sehen war, auf die Oscar-Shortlist schafft, wissen wir am 17. Dezember. Es ist die erst neunte Entsendung eines kenianischen Films. Bislang wurde noch keiner nominiert. Eine Stimme in der Kinowelt sollte „Nawi“ auf alle Fälle bekommen. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Nicht umsonst wurde Nawis kleine Schwester mit diesem Namen versehen. Hope.

Barbara Schuster