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REVIEW CANNES: „Trei kilometri pana la capatul lumii“

Intensives Drama über einen 17-Jährigen, der beim Besuch der Eltern in einer Gemeinde im Donaudelta Opfer eines Hassverbrechens wird. 

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Emanuel Pârvus „Trei Kilometri Pana La Capatul Limii“ (Credit: Vlad Dumitrescu)

CREDITS:
Land/Jahr: Rumänien 2024; Laufzeit: 105 Minuten; Regie, Drehbuch: Emanuel Pârvu; Besetzung: Bogdan Dumitrache, Ciprian Chiujdea, Laura Vasiliu, Valeriu Andriuta, Ingrid Micu Berescu

REVIEW: 
Wie so viele andere Filme des Neuen Rumänischen Kinos ist auch Emanuel Pârvus erster Beitrag im Wettbewerb von Cannes in der Tiefe seines Herzens ein Procedural, nur dass es eben keine Polizeiermittlung ist, die im Mittelpunkt steht, sondern der Film selbst die Ermittlung unternimmt und sich ansieht, wie kleine Handlungen ungeahnte, fast zwingende Konsequenzen nach sich ziehen. In diesem Sinne ist Pârvus erster Film seit dem Gewinn des Regiepreises in San Sebastián für „Marocco“ vor drei Jahren durchaus den Geschichten ähnlich, wie ein Cristian Mungiu sie erzählt, und auch in der filmischen Ausgestaltung vergleichbar, eine Begleitarbeit zu „Bacalaureat“ und „.R.M.N.“, die tief hineinsticht in die rumänische Seele und Filz, Korruption, Vetternwirtschaft und Homophobie zu Tage fördert. 

Angesiedelt ist „Drei Kilometer bis zum Ende der Welt“, wie der Titel übersetzt heißt, in einer Kleinstgemeinde im Donaudelta ganz im Osten des Landes, nur wenige Kilometer entfernt vom Schwarzen Meer, nur mit der Fähre mit der Außenwelt verbunden. Ein äußerlich idyllischer Ort, an dem die Zeit stehen geblieben scheint. Es könnte schön dort sein, wenn es nicht so rückständig wäre. Zwar flimmern Fernseher in den Häusern, die etwas wohlhabenderen Einwohner besitzen Smartphones, an den Wänden der Kinderzimmer hängen neben Heiligenbildchen Fotos von U2. Im Kopf aber befinden sich die Menschen des Dorfes immer noch im Mittelalter, die Weltvorstellung ist geprägt von Aberglaube und Vorurteilen, Probleme werden intern gelöst, eine Hand wäscht die andere.

Weshalb es ein Problem ist, als der 17-jährige Adi seine Eltern besucht und eines Abends mit einem anderen Jungen anbandelt, ein „Tourist“, wie man ihn später immer nennen wird, aus Bukarest. Zwei Jungs in seinem Alter sind abgestoßen von den Zärtlichkeiten zwischen den beiden jungen Männern. Off camera werden sie Adi verprügeln, sein Handy mitnehmen und ihn seinem Schicksal überlassen. Die entsetzten Eltern erstatten Anzeige, die Mühlen der Bürokratie beginnen zu mahlen. Der Vater vermutet einen Denkzettel eines eigentlich gut bekannten reicheren Mannes, dem der einfache Fischer Geld schuldet. Noch könnten die Dinge gütlich gelöst werden, noch ist der Bericht nicht in die größere Bezirksstadt Tulcea geschickt. 

Als jedoch die Eltern erfahren, was der wahre Hintergrund der Gewalttat ist, bricht für sie eine Welt zusammen: Sie wissen nichts von der Homosexualität ihres Sohnes, fürchten um ihren guten Ruf und schalten den Priester ein, der einen Exorzismus durchführen soll. Was die Dinge endgültig eskalieren lässt und einen Keil auf einmal zwischen die Generationen treibt. In einer hitzigen Debatte kommen fast alle beteiligten Parteien im Büro des um Schlichtung bemühten Dorfpolizisten zusammen. Während die Argumente aufeinanderprallen, füllt im Hintergrund eine Landkarte von Rumänien die Leinwand aus: Pârvu erzählt vom rückständigen Donaudelta, aber er meint das ganze Land. Die Fronten sind klar: Es ist die junge Generation, die sich mit ihrer Weltoffenheit gegen den Status quo richtet, Konflikte provoziert. Am Schluss kehrt Adi seinem Heimatdorf den Rücken, verabschiedet sich nur von seiner einzigen Freundin, passiert wortlos seine Eltern und fährt mit dem Boot davon. Als Zuschauer ist man froh, an Bord mit ihm zu sein.

Thomas Schultze