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Tiina Lokk zu den 28. Black Nights: „Gute Nachrichten in nicht ganz einfachen Zeiten“

Ein Tag noch, dann ist auch das 28. Tallinn Black Nights Film Festival wieder Geschichte. Festivalgründerin und -chefin Tiina Lokk zieht kurz vor Abschluss schon einmal eine positive Bilanz.

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Tiina Lokk, Festivalchefin Tallinn Black Nights Film Festival

Die Stimmung auf dem 28. Tallinn Black Nights Film Festival ist ausgezeichnet. Ist bei Ihnen als Festivalleiterin die Stimmung ebenso gut – das Festival befindet sich nun ja bereits auf der Zielgeraden?

Tiina Lokk: In der Tat, meine Stimmung ist ausgezeichnet. Die Kinosäle sind gut gefüllt, besser als im vergangenen Jahr. Ich habe den Eindruck, dass das Publikum nach der Corona-Delle endgültig zurück ist. Genauso gefällt mir, was ich in unserem Industrie-Programm sehe. Der Andrang war gewaltig. Tatsächlich mussten wir an einem gewissen Punkt Anfragen abweisen, weil unsere Kapazität erreicht ist. Die Hotels sind komplett ausgebucht. Mehr wäre nicht gegangen. Also, ich bin sehr zufrieden. Aber auch sehr müde. Das waren zwei verrückte Wochen bisher. 

Was waren Ihrer Ansicht nach die Höhepunkte des Festivals?

Tiina Lokk: Das kann ich nur schwer beantworten. Für mich als Festivaldirektorin sind die Höhepunkte immer die Screenings oder Veranstaltungen, bei denen ich Befürchtungen hatte, sie könnten nicht gut besucht sein – um dann festzustellen, dass der Zuspruch auch bei ihnen groß war. Das war in diesem Jahr immer wieder der Fall. Zum Beispiel gerade die TV Beats Screenings. Da war ich mir nicht sicher. 9 Uhr morgens, ein Kino, das nicht so fußläufig ist wie die meisten Vorführungen. Aber alles war gut. Das macht mich glücklich. Wir haben lange an dieser Sektion gearbeitet, da steckt viel Leidenschaft und Herzblut drin. Oder der Dokumentarfilm-Wettbewerb. Noch ein Highlight für mich, bei dem ich nicht sicher war: Wird es angenommen? Auch hier waren die ersten Vorführungen der Filme durch die Bank ausverkauft. Das sind gute Nachrichten in nicht ganz einfachen Zeiten. 

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David Dietl und Tallinn-Festivalchefin Tiina Lokk bei der Eröffnung des 28. Tallinn Black Nights Film Festival (Credit: PÖFF)

Und gibt es auch einen persönlichen Lieblingsfilm?

Tiina Lokk: Ich bin da vorsichtig. Als Festivalchefin muss ich unparteiisch sein, ich will niemand beeinflussen. Das ist wichtig. Aber jetzt ist das Festival fast vorbei, ich kann niemand mehr beeinflussen, also bin ich mal ganz offen: Ein Film, der mich persönlich wahnsinnig bewegt hat, war die indische Produktion „Pyre“ von Vinod Kapri, die im Internationalen Wettbewerb läuft. Die beiden Darsteller Padam Singh und Heera Devi, die keine Schauspieler sind und im Himalaya leben, haben erstmals ihre Heimat verlassen und waren bei uns auf dem Festival. Das hat mir Tränen in die Augen getrieben – und vielen anderen ging es bei der Premiere ebenso. Wir konnten uns nicht unterhalten, weil sie kein Englisch sprechen, aber dennoch fühlte ich mich auf einer Wellenlänge mit ihnen. Wir verstanden uns. Das war wunderbar. Wissen Sie, in meinen Wettbewerben verstecke ich immer kleine Kostbarkeiten. Und wenn sie dann wahrgenommen werden, die Menschen beim Sehen der Filme ähnlich berührt sind, wie ich es war, dann macht mich das sehr glücklich. 

Damit bringen Sie auf den Punkt, was ein Filmfestival wie die Black Nights leisten kann, um was es geht.

Tiina Lokk: Darum mache ich das seit 28 Jahren. Und wegen der wunderbaren Menschen, die mich jeden Tag unterstützen und dabei helfen, dass wir dieses Event in Tallinn auf die Beine stellen können. Aber ich will noch betonen, dass ich die anderen Filme im Programm ebenso liebe. Jeder von ihnen hat etwas Besonderes, und deshalb werden sie von meinem Team ausgewählt. Die haben ein sehr gutes Auge dafür, bringen viel filmisches Wissen mit, wissen, was sie tun. Sie sind keine Narren! Ich schätze mich glücklich, dass ich mit ihnen und ihrem offenen Blick auf die Welt arbeiten kann. Ich lerne jeden Tag dazu. Unser Ziel ist es, ein Angebot zu schaffen, das zum Dialog einlädt. Wir wollen Menschen zusammenbringen, in einer konstruktiven und angenehmen Atmosphäre. Das gilt auch für unsere Gäste, ob sie nun bekannte Namen haben oder gerade erst anfangen. Für uns sind alle gleich wichtig, Festivalgäste wie Industriegäste. Das ist Prinzip bei den Black Nights. 

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Tiina Lokk mit dem exilrussischen Regiseur Boris Guds (Credit: PÖFF)

Können Sie sagen, was in diesem Jahr anders ist als in den Jahren davor?

Tiina Lokk: Alles ist anders! Weil in diesem Jahr wieder ganz andere Filme spielen. Aber ich verstehe schon, was Sie meinen. Es gibt gewisse Grundlagen, Prinzipien, auf denen das Festival aufbaut, die unverrückbar sind. Von Anfang an sind die Black Nights ein Festival der Regisseure. Sie stehen im Mittelpunkt. Wir sind realistisch: Tallinn ist nicht das Festival, bei dem große Stars zu erwarten sind. Aber das brauchen wir auch nicht. Wir legen den Fokus auf die Filme und ihre Macher, die Regisseure, Produzenten und Autoren. Um sie dreht sich die Industrie. Wenn die Schauspieler auch kommen, freuen wir uns. Alle sind eingeladen. Und doch liegen uns die Macher besonders am Herzen. Das war unser Gesicht, als wir das Festival etabliert haben, als wir noch ein russisches Festival waren. Das ist unser Gesicht nach 28 Jahren – als jüngstes von 15 A-Festivals! Natürlich hat sich alles verändert, es ist ein stetiger Wandel. Das ist gut so. Wir blicken nach vorn, wir heißen Veränderung willkommen. Große Hoffnungen verbinde ich mit dem Ausbau der Industrie-Aktivitäten. Die Industrie ist der Motor. Wir hoffen mit diesem internationalen Engagement auch Bewegung in die estonische und lettische Filmindustrie zu bringen. 

Wie Sie bereits sagten, sieht die Entwicklung gut aus…

Tiina Lokk: Als wir angefangen haben, hatten wir 6000 Gäste. Im letzten Jahr waren es mehr als 80.000 Gäste, in diesem Jahr gehe ich davon aus, dass es einen weiteren Zuwachs gegeben hat. Bei den Akkreditierungen ist es ähnlich. Jedes Jahr verzeichnen wir größeren Andrang. Natürlich weichen wir nicht von unserem Erfolgskonzept ab. Die Struktur ist grundsolide, sie bleibt unberührt. Wir drehen nur jedes Jahr an den Stellschrauben, verfeinern unseren Ansatz, versuchen die Programmierung immer noch klarer zu gestalten. Vielleicht gibt es im kommenden Jahr ein paar grundlegendere Änderungen, aber das will gut bedacht sein und braucht bei einem so großen Schiff, wie es das Festival nun einmal ist, seine Zeit. Dabei legen wir es nicht unbedingt auf Wachstum an, die Größe ist perfekt, wie es jetzt ist.

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Tiina Lokk (Credit: PÖFF)

In diesem Jahr gab es großen Wirbel um „Deaf Lovers“ des Exil-Russen Boris Guts, ein Beitrag im Internationalen Wettbewerb, der Sie sogar zu einer eigenen Pressemitteilung und einer spontan einberufenen Pressekonferenz veranlasst hat.

Tiina Lokk: Es ist eine serbisch-estonische Koproduktion. Boris Guts ist ein seit Jahren im Exil lebender russischer Filmemacher, der sich immer klar und eindeutig gegen Putin und Putins Krieg positioniert hat und dafür mit dem Leben bedroht wird und damit rechnen muss, dass man ihn ins Gefängnis stecken würde, wenn er wieder nach Russland reiste. „Deaf Lovers“ und mit dem Film auch wir als Festival wurden sowohl von ukrainischer wie auch russischer Seite attackiert, bevor irgendjemand den Film hatte sehen können. Es wurden anonyme Mails von vielen verschiedenen Absenden nicht nur an uns geschickt, sondern an die Regierung, unsere Sponsoren, die Jury-Mitglieder, die Medien. Eine konzertierte Kampagne, um uns zum Einknicken zu bringen. Wie Spam! Wir wurden beschuldigt, Boris Guts wurde bedroht. Irgendwann habe ich das dann einfach gelöscht. Wir haben den Film im Programm behalten, und wir haben ihn gezeigt. Selbstverständlich. Niemand muss den Film mögen, jeder darf nach dem Screening sagen, was ihm nicht daran gefallen hat. Aber keiner soll anderen vorschreiben, ob sie sich einen Film ansehen können oder nicht. Jeder darf sich eine eigene Meinung bilden. So ist das in einer offenen Gesellschaft mit demokratischen Prinzipien. Das ist auch das Fundament des Festivals. Und davon werden wir nicht abweichen. Ein Festival muss freie Entscheidungen treffen können, welche Filme es zeigen will und welche nicht. Für jeden Film, den wir zeigen, gibt es einen Grund. Das lassen wir uns nicht von außen diktieren. Wir sind ein Forum des Dialogs und der freien Meinungsbildung. So wird das auch bleiben.

Gut so. Lassen wir uns über angenehmere Dinge reden – den Fokus auf das deutsche Kino in diesem Jahr zum Beispiel und ihre Entscheidung, „Feste & Freunde“ von David Dietls als Eröffnungsfilm zu zeigen.

Tiina Lokk: „Feste & Freunde“ war ein weiteres meiner Highlights! Ein wirklich toller Film. Vielleicht auf den ersten Blick nicht ein Film, wie man ihn sich bei uns erwarten würde. Aber er ist meisterlich gemacht und hat viel zu erzählen, auch wenn er es auf sehr unterhaltsame und einnehmende Weise tut. Ich bin stolz, dass wir ihn als Weltpremiere zeigen konnten. Das Publikum war begeistert. Überhaupt bin ich sehr glücklich mit der Auswahl an deutschen Filmen. Es war nicht ganz einfach, aber wir haben schöne Filme gefunden. Ich kann nicht über die Reaktion auf alle Filme sprechen, aber generell waren die Vorführungen sehr gut besucht. Und wir haben gute Rückmeldungen erhalten.

Letzte Frage: Was können Sie zur Zukunft des Tallinn Black Nights Film Festival sagen?

Tiina Lokk: Wir leben in schwierigen Zeiten. Aber wir überleben und werden weitermachen!

Das Gespräch führte Thomas Schultze.