Als Deutscher geht man davon aus, dass die Deutschschweizer automatisch auch Französisch und Italienisch sprechen. Dem ist gar nicht so…
Peter Luisi: Nein, das ist nicht so. Ich kann überhaupt kein Französisch und nur ein bisschen Italienisch. Aber unser Hauptdarsteller Beat Schlatter kann auch kein Französisch. Darum fanden wir die Idee mit den in „Bon Schuur Ticino“ verhandelten Sprachbarrieren auch so lustig.
Sie waren bereits mit anderen Filmen erfolgreich in den Schweizer Kinos, aber keiner war so erfolgreich wie „Bon Schuur Ticino“. Waren Sie überrascht vom Ausmaß dieses Erfolgs?
Peter Luisi: Wir dachten zwar von Anfang an, dass wir damit Chancen haben könnten, weil die Idee sehr gut ist. Das Ziel war, einen Film für die ganze Schweiz zu machen, der in der Romandie genauso ankommt wie im Tessin und der Deutschschweiz. Rückenwind gab uns dann das Feedback auf eine Schnittfassung, die ich gezeigt hatte. Auch die Reaktion im Testscreening war super. Aber man weiß es nie. Einen gewissen Erfolg habe ich dem Film zugetraut, aber sicherlich niemals in dem Ausmaß. Mein vorheriger Film mit Beat Schlatter, „Flitzer“, war mindestens ebenso gut. Er war auch erfolgreich, aber eben nicht so. „Bon Schuur Ticino“ hat einfach in der Breite die Menschen abgeholt mit einem Thema, das Lust macht, sich eine Kinokarte zu kaufen. Es hat einfach alles gepasst, der Film, die Werbekampagne, das Plakat, der Titel, der Trailer… Es hat mich am Anfang meiner Karriere sehr ernüchtert, als ich feststellte, dass ein guter Film allein nicht reicht. Die Performance im Kino hängt von vielen anderen Faktoren ab.
Wie war die Zusammenarbeit mit DCM bei der Auswertung? Welche Strategien gab es? Ging man in den 3 verschiedenen Sprachregionen unterschiedlich vor?
Peter Luisi: Es war eine Bemühung des Verleihs und von uns, genau zu überlegen, was in den verschiedenen Landesregionen funktionieren könnte. Wir haben auch auf unseren Hauptdarsteller, Vincent Kucholl, gehört. Der sagte von Anfang an, dass der Titel „Bon Schuur Ticino“ in der Romandie nicht funktionieren würde. Ich hätte das nicht einschätzen können, also habe ich ihn nach einer besseren Idee gefragt. Er kam dann mit „Ciao-ciao bourbine“ um die Ecke. „Bourbine“ ist ein abschätziges Wort für die Deutschschweizer, es bedeutet so viel wie „Buchhalter“. Das kam gut an! Das war genau richtig. Und im Tessin haben wir den Titel ebenfalls geändert, weil in der italienischsprachigen Region der Witz des falschgeschriebenen „Bon Schuur“, wie die Deutschschweizer es eben aussprechen würden, nicht rüberkommen würde. Hier heißt der Film „Bonjour Ticino“, mit dem korrekt geschriebenen „Bonjour“. Es ist eine große Seltenheit, dass ein Schweizer Kinofilm in allen Landesregionen funktioniert!
Peter Luisi und sein Hauptdarsteller Beat Schlatter beim Schweizer Filmpreis 2024; „Bon Schuur Ticino“ ist nach „Der Sandmann“ und „Flitzer“ bereits die dritte Zusammenarbeit von Schlatter und Luisi (Credit: eduard meltzer photography)
Sprache ist mehr als ein Kommunikationsmittel, sie ist immer auch Teil unserer Identität. Ist die Sprachvielfalt in der Schweiz Thema?
Peter Luisi: Für uns Schweizer sind die Landessprachen immer ein Riesenthema. Das fängt schon im Schulunterricht an. Ich musste natürlich Französisch lernen und war einfach nicht begabt. Ich kann auch kein Chinesisch. Das ist kein Problem. Aber wenn man als Schweizer kein Französisch kann, ist es eben doch ein Problem. Das Thema Sprache ist den Schweizern sehr wichtig. In der Romandie oder im Tessin ist die Auseinandersetzung mit Sprache noch stärker. Während die Deutschschweizer die Platzhirsche sind, sind sie die Underdogs, weil sie immer überstimmt werden und in einem Land leben, in dem ihre Sprache nicht die Hauptsprache ist. Und die Deutschschweizer sind die Platzhirsche.
„Beim Schweizer Filmpreis wurden wir ebenfalls nicht berücksichtigt, weil es kein ‚kulturell wertvoller‘ Film ist.”
Peter Luisi
Gab es denn besondere Erlebnisse auf Ihrer Reise mit dem Film?
Peter Luisi: Als Filmemacher von Komödien kommt man immer schnell ins Schwitzen. Komödie ist einfach brutal. Wenn im Kinosaal nicht gelacht wird, weiß man sofort, dass der Film nicht gut ist. Da gibt es kein Geheimnis. Umso schöner ist es, wenn gelacht wird. Wenn vor allem kollektiv gelacht wird. Das Lachen ist ja dann auch ansteckend im Kinosaal. Und bei „Bon Schuur Ticino“ habe ich viele volle Kinosäle erlebt, die gebebt haben vor Lachen. Das fand ich toll zu erleben. Ich bekomme selbst heute noch viel Feedback, dass nach einer ganz normalen Vorführung applaudiert wird, auch wenn keiner der Schauspieler anwesend ist, einfach so, als Reaktion. Das wünscht sich jeder Filmemacher.
Sie sind gemeinsam mit Ihrem Bruder David über die Firma Spotlight Media Productions auch Produzent des Films. War der Stoff leicht vom Boden zu bekommen?
Peter Luisi: Eben nicht. SRF und SRG/SSR, die Zürcher Filmstiftung und blue haben uns gefördert, die fanden das Projekt super. Am Bundesamt für Kultur BAK sind wir gescheitert, was ein großes Problem für die Finanzierung darstellte. Schlussendlich ist es wohl Glückssache, ob Leute, die Humor haben, in der Auswahlkommission sitzen. Grundsätzlich herrscht die Meinung, wenn etwas lustig ist, kann es keine Kultur sein. Es ist ja „nur“ Komödie. Der Auftrag ist, Stoffe mit mehr Substanz zu fördern. Beim Schweizer Filmpreis wurden wir ebenfalls nicht berücksichtigt, weil es kein „kulturell wertvoller“ Film ist. Ich finde es eine Anmaßung zu sagen, ein lustiger Film kann nicht kulturell wertvoll sein. Aber das ist eben die Meinung, damit muss man sich abfinden. Dennoch finde ich diese Sichtweise etwas gefährlich.
Warum?
Peter Luisi: Wir hatten in der Schweiz vor nicht allzu langer Zeit die Volksabstimmung zu „Lex Netflix“. Das Gesetz zur Investitionsverpflichtung der Streamingplattformen ist nur ganz knapp durchgekommen. Wie kann man denn dagegen sein, das ist doch ein No-Brainer? Warum sollte es den Streamern erlaubt sein, 100 Prozent ihrer Einnahmen in der Schweiz behalten zu dürfen? In Frankreich gibt es eine Investitionsverpflichtung von 20 Prozent, wir haben jetzt läppische vier Prozent. Wir haben nämlich ein Problem: Der normale Schweizer findet die Schweizer Filme langweilig, weil es viele Filme sind, die nicht kommerziell, eher im Arthousebereich angesiedelt sind. Die wenigen, die diese schauen – ich zähle mich dazu –, sind dann eben zu wenig, um für ein solches Gesetz abzustimmen. Wenn man gar keine populären Stoffe fördert, riskiert man eine schlechte Meinung vom Schweizer Film, der dann nur als „Verschwendung von Steuergeldern“ abgestempelt wird.
Die „Lex Netflix“ ist am 1. Januar in Kraft getreten. Kann man schon sagen, wie das läuft?
Peter Luisi: Die Streamer müssen die vier Prozent nicht abgeben, sie müssen einfach hier produzieren. Entweder kaufen sie Schweizer Filme ein oder sie produzieren im Schulterschluss mit einer Schweizer Produktionsfirma. Ich behaupte mal, gäbe es das Gesetz nicht, würde keine dieser großen Firmen freiwillig hier investieren. Sie müssen dieses Geld auch nur alle vier Jahre ausgeben. Wahrscheinlich gibt es irgendwann eine Riesenproduktion, von der dann eine Produktionsfirma profitiert. Die anderen werden leer ausgehen. Aber immerhin.
Ihre in Zürich beheimatete Spotlight Media Productions existiert seit dem Jahr 2000. Was hat Sie damals bewogen, auch in die Produktion einzusteigen? Und wie würden Sie das Firmen-Motto beschreiben?
Peter Luisi: Am Anfang war ich allein, habe vor allem im Werbefilmbereich gearbeitet. Mein Bruder ebenso, aber noch mit einer anderen Firma. Meine ersten Versuche, Spielfilme als Autor und Regisseur vom Boden zu bekommen, waren hart, weil es nie gekappt hat mit der Förderung. Also begann ich, sie mit meiner Werbefilmproduktionsfirma low budget selbst zu produzieren. Irgendwann hatte ich dann den Dreh raus, mein Bruder kam zu mir und wir haben Spotlight Media gegründet. Die Gründung ist aber nicht nur aus der Not heraus entstanden, sondern weil wir finden, dass der Produzent oder die Produzentin eine wichtige Funktion hat, auch kreativ. Er oder sie entscheidet, wofür das Geld ausgegeben wird, was einen großen Einfluss auf das Endergebnis hat und darauf, was die Regie bewirken kann.
Sie haben sich 2023 mit Maja Sanchez in der Produktion verstärkt. Um welche Bereiche kümmert sie sich?
Peter Luisi: Wir wollten uns produzentisch einfach breiter aufstellen. Ich mache fast ausschließlich meine eigenen Projekte. Maja verantwortet wiederum ihre eigenen Stoffe. Unlängst haben wir Förderung für ein Projekt bekommen, das Maja und David federführend entwickeln. Wir wollen nicht nur meine Filme produzieren. Ich bin auch viel zu langsam, weil ich auch die Drehbücher selbst schreibe. Für eine Firma ist das wirtschaftlich wenig rentabel.
Blickt man auf Ihre Filmographie, scheint Ihr Herz fürs Kino zu schlagen. Wird das auch der Schwerpunkt von Spotlight Media bleiben?
Peter Luisi: Kino ist nach wie vor immer mein Ziel, wobei ich nicht ausschließe, auch einmal wieder Fernsehen zu machen. Aktuell entwickeln wir sogar eine Serie. Und wenn Netflix mit dem richtigen Projekt anklopft, würde ich auch nicht nein sagen.
Auf was dürfen wir uns als nächstes von Ihnen freuen?
Peter Luisi: Ich habe bereits einen neuen Film gedreht. Der heißt „The Last Screenwriter“. Das Drehbuch hat mir zu 100 Prozent ChatGPT geschrieben. Das hat mich als Autor fasziniert, das ist einfach zu gut. Ich verstehe nicht, wie KI so gut schreiben kann. Und das ist erst der Anfang. Denn wie man so schön sagt: Die Technologie wird in Zukunft nie so schlecht sein wie jetzt. Ess ist jetzt schon möglich, einen Spielfilm schreiben zu lassen, der meiner Meinung nach funktioniert. Ich wollte natürlich nicht irgendeine Geschichte erzählen, sondern es sollte um einen Drehbuchautor gehen, der feststellt, dass sein Computer besser schreibt als er, und den Auftrag erhält, sich ein Drehbuch von seinem Computer schreiben zu lassen. Ich spiele hier also auch mit Meta-Ebenen.
Und Sie haben nichts verändert?
Peter Luisi: Das war meine Vorgabe. Natürlich hätte ich das ausgespuckte Drehbuch verbessern können. Ich habe mir das aber selbst verboten. Ich habe lediglich etwas gekürzt und es im Anschluss so gut ich konnte inszeniert. Ich habe das Drehbuch so behandelt, wie die, die ich selbst geschrieben habe. Ich bin der Meinung, man muss sich mit dem Thema KI auseinandersetzen, man kann sich dem nicht verschließen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster
Spotlight:
Peter Luisi
Peter Luisi wurde 1975 in der Schweiz geboren. Er studierte Film an der University of California, Santa Cruz. Sein erster Spielfilm war „Verflixt verliebt“ von 2004, der den Zürcher Filmpreis gewann und u.a. auf dem Max-Ophüls-Filmfestival ausgezeichnet wurde. Luisi zeichnete als Ko-Autor von „Vitus“ (2006) verantwortlich, der ein Kassenerfolg war und es auf die Oscar-Shortlist schaffte. Seine Filme „Der Sandmann“ (2011) und „Schweizer Helden“ (2014) gewannen zahlreiche Preise, darunter den Publikumspreis des Filmfestival Locarno. Vor „Bon Schuur Ticino“ relisierte er „Prinzessin“ (2021), der u.a. auf den Solothurner Filmtagen und dem ZFF lief, sowie „Flitzer“ (2017), der ein kommerzieller Erfolg war und in über 50 Territorien verkauft wurde. Mit seinem Bruder David führt er die in Zürich beheimatete Spotlight Media Productions.