Im dritten Film Gender Report des Österreichischen Filminstituts wird ersichtlich, dass die Gleichstellung nur im Schneckentempo voranschreitet. Besonders der TV-Bereich ist weiterhin ein von Männern dominierter Sektor. Und Kamerafrauen sind extrem unterrepräsentiert.
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Für den dritten österreichischen Film Gender Report wurden Förderdaten elf österreichischer Förderstellen analysiert, darunter auch das ÖFI. Im Zeitraum von 2020 bis 2021 sind das 105 Mio. Euro, die an insgesamt 1139 Projekte in Kino und TV gingen. Neben den Förderdaten wurden 401 fertiggestellte Kinofilme mit einem österreichischen Kinostart im Zeitraum von 2012 bis 2021untersucht.
•Förderdaten: 2020–2021
•Kinospielfilme: 2012–2021
•Kinodokumentarfilme: 2012–2021
Zum dritten Mal fand im Rahmen der Diagonale Meetings die Diskussionsrunde „Feminist Perspectives“ statt, bei der die brandaktuellen Ergebnisse des neuen Gender Reports des Österreichischen Filminstituts präsentiert wurden. Die Veranstaltung von FC Gloria und dem Verband die regisseur*innen fand am 6. April statt unter der souveränen Moderation der Filmemacherin Elisabeth Scharang statt. „Der erste und zweite Gender Report war maßgeblich, dass wir mit Geschlechterquote was bewegen konnten“, so Scharang eingangs. Das stimmt zuversichtlich. Beim Filmfonds Wien wurde für 2023 bereits ein 50:50-Verhältnis erzielt. Dennoch ist der Weg zu Gender-Ausgeglichenheit noch ein weiter, noch längst nicht alles im grünen Bereich, die Bewegung in Sachen Gleichstellung gehe nur „Slow Motion“, voran. Und der Blick richtet sich ja weiter, über die Gender-Debatte hinaus. Die Forderung nach Intersektionalität über alle Bereiche, das Aufbrechen patriarchalisch geprägter Strukturen, das Mitdenken von Inklusion und Diversity stand im Fokus der nach der Präsentation der Zahlen abgehaltenen Podiumsdiskussion, bei der sich Kamerafrau Judith Benedikt, Filmemacherin Katharina Mückstein, ORF-Fernsehfilmchefin Katharina Schenk und Soziologin Laura Wiesböck austauschten. „Der Gender Report zeigt sehr anschaulich, wie langsam Maßnahmen zur Förderung von Geschlechteregalität und Diversität greifen“, konstatiert Iris Zappe-Heller, stv. ÖFI-Direktorin und Beauftragte für Gender & Diversity „Film ist ein hervorragendes Medium, um gesellschaftliche Veränderungen zu beschleunigen oder zu verhindern. Die Erkenntnisse zum Status quo in Sachen Geschlechtergleichstellung im österreichischen Filmschaffen weisen darum über den Tellerrand der Filmbranche weit hinaus.“
Beim Blick auf die Zahlen des dritten Gender Reports, dessen Kernerkenntnisse von Birgit Moldaschl vom ÖFI und Paul Scheibelhofer, wissenschaftlicher Leiter des Reports, beleuchtet wurden, machte sich – zumindest in einigen Bereichen – Ernüchterung bei der fast ausschließlich weiblichen Zuhörerschaft breit. Laut Wisböck „sind die Themen immer die gleichen“. Ohne abgesichertes Wissen keine Veränderung, steter Tropfen höhlt den Stein. „Auch die Einführung der Förderquote beim ÖFI haben wir über viele Jahre erkämpft“, erzählte Katharina Mückstein. Und gerade bei der Fördervergabe zeichnet sich ja auch schon eine positive Entwicklung ab. Wenn da nicht ein großes Aber käme. Denn, wie der dritte Gender Report belegt, zeigen sich nur durchwachsene Fortschritte, wenn man die Kinofilme aufs Geschlechterverhältnis abklopft: Nur 35 Prozent der Filme in den Jahren 2020-2021 lagen in weiblicher Verantwortung (im Kernteam Regie, Drehbuch, Produktion), d.h. dass sie mehrheitlich oder exklusiv weibliche Kernteams hatten. Dagegen waren 55 Prozent männlich verantwortet. Im Spielfilm war das Verhältnis noch unausgeglichener: Nur jeder fünfte Spielfilm (20 Prozent) wurde von Frauen verantwortet, während im Dokumentarfilmbereich fast die Hälfte der Filme (48 Prozent) weiblich verantwortet waren. Hier kam es seit dem letzten Bericht zu einer Verdopplung des Anteils von Filmen mit weiblichem Kernteam.
Die Stabstellen sind generell noch von traditionellen Rollenbildern geprägt, es ist zum Beispiel immer noch so, dass in von Männern dominierten technischen Berufen wie Visual Effects, Ton oder Sounddesign nur sehr wenige Frauen anzutreffen sind. Dennoch hat sich der Frauenanteil in den meisten Stabstellen im Vergleich zum zweiten Gender Report erhöht. Die ÖFI-Zahlenexperten schätzen, dass es am neuen Gender Incentive von ÖFI+ liegt, der seit Einführung des neuen Anreizmodells im Januar 2023 greift. Eklatante Zahlen tauchen im Bereich Kamera auf: Hier ist der Frauenanteil lediglich um 1,5 Prozent gestiegen, gerade einmal 20 Prozent der 401 untersuchten Kinofilme (2012-2021) hatten eine Kamerafrau an Bord. Im genannten Zeitraum arbeiteten männliche Kernteams beinahe ausschließlich mit Kameramännern. Aber auch mehrheitlich weibliche Kernteams beschäftigten überwiegend Kameramänner. Nur knapp jede dritte Kameraperson in Filmen mit weiblicher Verantwortung war eine Frau. „Es gibt viel zu wenig Kamerafrauen in Österreich“, sagte Bildgestalterin und Podiumsgast Judith Benedikt. Natürlich würden Frauen an der Filmakademie Wien, wo auch sie studiert hat, im Fach Kamera studieren. Aber für Frauen sei es immer noch schwieriger, in der Branche Fuß zu fassen. Das sei bei ihr damals auch gewesen. „Die männlichen Kommilitonen haben alle früher Jobs bekommen. Es ist einfach nicht gut, wenn Filme zu 95 Prozent mit einem männlichen Blick gefilmt werden.“
Neben den „harten Fakten“ untersucht auch der dritte Gender Report mit Hilfe einer quantitativen Analyse den Bereich „Gender on screen“, wo Inhalte und Darstellungsweisen von Frauen in den Filmgeschichten bzw. auf der Leinwand beleuchtet werden. Die Verteilung der Hauptfiguren im österreichischen Kinofilm ist immerhin ausgeglichen. Bei der Frage allerdings, wie die Figuren dargestellt werden, ist es so, dass Frauen häufiger unabhängige Frauenfiguren zeigen und dass die weiblich verantworteten Spielfilme der Jahre 2020-2021 zu 80 Prozent den Bechdel-Wallace-Test bestanden haben, der bekanntermaßen kein wissenschaftlicher Test ist, jedoch herangezogen wird, um Stereotypisierungen weiblicher Figuren in Spielfilmen wahrzunehmen und zu beurteilen. Wie sieht es aber aus bei männlich verantworteten Filmen? Hier hat nur die Hälfte der Filme den Test in Bezug auf die Darstellung der weiblichen Figuren bestanden. Allgemein überrepräsentiert sind Reiche und Akademiker:innen in den Geschichten. Im österreichischen Film ist ein Hang zur Noblesse erkennbar, wie Paul Scheibelhofer anmerkte. Der Gesellschaft, wie sie in Realität ist, werde man überhaupt nicht gerecht, so das Fazit. Zum Beispiel hatten nur 13 Prozent der Hauptfiguren in Kinospielfilmen einen Migrationshintergrund. In der österreichischen Bevölkerung liegt dieser hingegen doppelt so hoch bei 26 Prozent.
Bei den erstmals inhaltlich untersuchten Kinodokumentarfilmen kommt der dritte Film Gender Report zu dem Schluss, dass Frauen zwar gesehen, aber nicht gehört werden. Weibliche Protagonisten machen zwar mehr als 50 Prozent der Personen aus im aktuellen österreichischen Dokumentarfilm, bei der Redezeit spiegelt sich das aber nicht wider, weil hier nur ein Drittel an die Protagonistinnen abfällt. „Männer erklären die Welt: Frauen werden seltener als Expert:innen dargestellt“, so der Gender Report.
Interessant sind die Aufschlüsselungen hinsichtlich der Fördervergabe. Wo geht das Geld eigentlich hin? Unterstrichen wurde: Der Frauenanteil ist in der Filmförderung zwar gestiegen, ist aber weiterhin zu niedrig. Von den rund 105 Mio. Euro, die im Untersuchungszeitraum 2020-2021 insgesamt an Kino/TV vergeben wurden, ging nur ein Drittel aufs Frauenkonto, aber zwei Drittel aufs Männerkonto. Nur auf die Kinoförderung geblickt, fällt der Anstieg mit 38 Prozent höher aus, im Fernsehen gingen nach einer geringen Steigerung nur etwas mehr als ein Fünftel der Fördermittel an Frauen. Außerdem gab es kein einziges mehrheitlich weiblich verantwortetes TV-Serienprojekt, das eine Förderungszusage erhielt – nur annähernd jedes 20. TV-Spielfilmprojekt war weiblich verantwortet, das galt auch für jede vierte TV-Dokumentation. Dieses massive Ungleichgewicht im TV-Bereich hat sich seit dem letzten Report nicht verbessert, bei den TV-Spielfilmen mit einem Minus von sechs Prozentpunkten sogar verschlechtert. Und es ist auch kein Geheimnis, dass je höher die Förderbeträge allgemein ausgefallen sind, desto weniger Frauen im Lead waren. Der Frauenanteil sinkt also mit der Tendenz der Förderhöhe.
Katharina Mückstein, die „wenig überrascht“ war von den Ergebnissen der Studie, brachte zum Schluss einen wichtigen Vorschlag in die Runde: „Ich wünsche mir, mit dem Erfassen der Verhältnisse in unserer Arbeitswelt intersektionaler vorzugehen in der Erhebung. Wir müssen verstärkt verschiedene Ausschlusskriterien untersuchen, nicht nur auf das Geschlecht gemünzt, und dann deren Auswirkung auf Filme und Relevanz. Gender & Diversity müssen immer miteinander diskutiert werden.“ Etwas in die Mangel genommen wurde immer wieder ORF-Fernsehfilmchefin Katharina Schenk, auch deshalb, weil der ORF nach wie vor die Volumendaten seiner TV-Auftragsproduktionen für die Gender-Report-Analyse nicht zur Verfügung gestellt hat. Schenk stellte diesbezüglich fest, dass der ORF eine Selbstverpflichtung in Höhe von 100 Mio. Euro hätte. „Das ist das Vergabevolumen des ORF, es umfasst alle Genres. Das ist das Geld, das der ORF in die Filmwirtschaft hineingibt.“ Beim Gender Report findet sie besonders die Tatsache bedauerlich, dass das soziale Bild im Film und die Figuren in den erzählten Geschichten, nicht die Realität abbilden: „Wir machen Werke für ein Publikum. Es hat mich gerissen bei den Zahlen, weil sie nicht die Menschen in vollem Umfang spiegeln, für die wir produzieren.“ Auf Elisabeth Scharangs Frage, warum der ORF weiblichen Nachwuchsregiepersonen so wenig Chancen gibt (mit der Begründung, dass das Risiko zu hoch sei), antwortete Schenk: „Wir haben beim ORF große Lust, mit neuen Menschen zu arbeiten. Wir wollen neue Perspektiven erzählen, wollen in Kontakt mit der neuen Generation kommen. Man kann mir jederzeit eine Mail schreiben.“ Mückstein, die als Filmemacherin zwar nicht mehr zum Nachwuchs zählt, sondern bereits fest etabliert ist in der österreichischen Kino- und Fernsehbranche, Mitgründerin des Verbands dieregisseur*innen ist, der sich formiert hatte, weil der Regieverband laut Mückstein die Geschlechterquote verhindern wollte, und gemeinsam mit anderen Mitstreiterinnen in Österreich für diversere Figuren und Casts kämpft, monierte vor allem bei Auftragsproduktionen, dass man sich oft „wie ein Rennpferd fühlt, das abliefern muss. Je größer der kommerzielle Druck wird, je stärker der Machtunterschied zwischen mir und der Produktion ist, fällt mir auf, das meine Flexibilität, wie ich meine Filme zusammenstelle, immer geringer wird.“ Es sollte aber gerade um die Öffnung gehen, nicht nur hin zu diverseren Figuren, sondern auch hin zu diverseren Casts. „Wir müssen überlegen, unter welchen Umständen wir die Zusammenarbeit mit einer neuen Person wagen können.
Zum Schluss gab es noch eine gute Nachricht: Beim ÖFI lag die Geschlechterquote im Jahr 2023 bei 49 Prozent Frauenanteil vs. 51 Prozent Männeranteil. Steter Tropfen höhlt den Stein…