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Ngo The Chau zu „Der Buchspazierer“: „Bewusste Suche nach einem positiven Stoff“

Am Donnerstag startet „Der Buchspazierer“ mit Christoph Maria Herbst und Yuna Bennett in den Hauptrollen im Verleih von STUDIOCANAL in den deutschen Kinos. Wir haben uns mit Ngo The Chau über sein Debüt als Kinoregisseur unterhalten.

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Ngo The Chau und sein Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst bei der Premiere von „Der Buchspazierer“ beim Filmfest Hamburg (Credit: Martin Kunze)

Sie sind nicht neu auf dem Regiestuhl, haben in den letzten Jahren mehr und mehr inszeniert. Jetzt markiert „Der Buchspazierer“ Ihr Debüt als Kinoregisseur. Warum musste es dieser Stoff sein?

Ngo The Chau: Ich halte mich für einen sehr vielfältigen Regisseur, will mich nicht auf eine bestimmte Spielart festlegen, inszeniere verschiedene Genres. Mir war klar, dass ich unbedingt auch Kino machen will, hatte aber nie einen klar ausformulierten Plan, habe es nicht forciert. In der aktuellen Situation ist es nicht so, dass man allzu freie Wahl hätte bei Kinostoffen. Ich habe also nicht gesagt, mein Kinodebüt muss „Der Buchspazierer“ sein. Ich kann aber sagen, dass ich bewusst nach einem positiven Stoff gesucht habe. Das war bei diesem Projekt unbedingt gegeben. Mir gefällt, dass mein erster Kinofilm ein Feelgood-Movie ist. Es hat letztlich aber auch damit zu tun, dass die Voraussetzungen schnell geschaffen waren, ihn machen zu können. Finanzierung und Vorbereitung liefern sehr glatt. Es war dann ein Angebot, das ich einfach nicht abschlagen konnte. 

Was haben Sie bei der Umsetzung als die besonderen Herausforderungen, was für eine Art von Film schwebte Ihnen vor? 

Ngo The Chau: Viele verschiedene Dinge waren mir wichtig. Wenn ich etwas herausgreifen darf, dann ist es das Bestreben, eine generationsübergreifende Geschichte zu erzählen. Mir gefällt, dass „Der Buchspazierer“ auf seine Weise etwas sympathisch Altmodisches ausstrahlt, ein Festhalten an Werten, die ich als wichtig erachte. Wir müssen das diskutieren, welchen Stellenwert Bücher noch haben in unserer Gesellschaft, was wir verlieren würden, wenn wir keine Bücher mehr lesen würden. Wissen Kinder mit dem Einzug des E-Books überhaupt noch, wie viel Freude es macht, sich durch einen Roman zu arbeiten, Seiten umzublättern? Ein Buch bei sich zu tragen, ein Buch aufzuschlagen? Oder eine Taschenlampe zu haben, um ein Buch im Geheimen bei sich zu lesen? Ich habe selbst Kinder und fühlte mich ganz unmittelbar angesprochen: Wie gehen wir als Menschen, als Gesellschaft in die Zukunft? Sind wir pessimistisch, sind wir optimistisch?

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Ngo The Chau und sein Hauptdarsteller Christoph Maria Herbst bei der Premiere von „Der Buchspazierer“ beim Filmfest Hamburg (Credit: Martin Kunze)

Auf welcher Seite stehen Sie?

Ngo The Chau: Ich bin ein positiv denkender Mensch. Es liegt in der Hand jedes Einzelnen, eine Entscheidung für sich zu treffen. Soll alles nur noch über immer leistungsstärkere Computer abgewickelt werden? Oder vertrauen wir auf uns, auf unseren Verstand, unser Vermögen, auf unsere Aufmerksamkeit? Ich verteufle Computer nicht, auch mein Leben wird von ihnen bereichert. Aber ich denke, wir sollten uns nicht zu Sklaven der Technologie machen lassen. Und vor allem müssen wir über unseren Umgang miteinander nachdenken, wir müssen Achtgeben, dass uns das nicht entgleitet und wir nicht verlernen, einander zuzuhören und Verständnis für andere aufzubringen. 

Davon erzählt Ihr Film, und er macht es spielerisch und unterhaltsam. 

Ngo The Chau: Sollte das gelungen sein, würde ich mich sehr freuen. „Der Buchspazierer“ ist ja kein Lehrstück. Mir gefällt seine Menschlichkeit, ich mag die skurril anmutenden Figuren, die uns ein bisschen die Augen dafür öffnen, wie unterschiedlich wir alle sind. Hinter all den verschlossenen Türen und leuchtende Fenstern in der Nacht finden wir Schicksale, Wünsche, Träume, Sehnsüchte, Hoffnungen, all das, was uns als Menschen ausmacht. Manche dieser Menschen mögen klischeehaft wirken, aber so können wir auch sein. Es war mir wichtig, sie in unserem modernen Märchen so glaubwürdig wie möglich darzustellen. 

Ist bei Ihren Regiearbeiten für Sie gesetzt, dass Sie auch stets auch die Bildgestaltung übernehmen?

Ngo The Chau: Es ist nicht gesetzt, es gibt keinen Vorsatz oder eine Absichtserklärung. Aber ich habe für mich festgestellt, dass ich mit mir als Regisseur und DP in Personalunion aktuell am besten fahre. Einfach deshalb, weil ich noch keinen anderen Kameramann gefunden habe, mit dem ich mir die nötige vertrauensvolle und partnerschaftliche Arbeit vorstellen könnte. Es gibt indes bereits ein neues Projekt für Netflix, bei dem ich Regie geführt habe, aber nicht der DP war. Das war aber nicht so von mir geplant, sondern es war ein in der Vorbereitung bereits weit fortgeschrittener Stoff, den ich als Regisseur übernommen habe und damit auch ein bestehendes Team. Eine interessante und spannendes Erfahrung für mich, die ich mochte, aber es fühlte sich auch ungewohnt an. Den optimalen DP an meiner Seite suche ich weiterhin. Ich bin auf der Suche, aber es kann noch ein bisschen dauern. 

Empfinden Sie Ihre Art des Inszenierens als eine Fortführung dessen, wie Sie als Bildgestalter arbeiten?

Ngo The Chau: Auf jeden Fall. Auch in meiner Karriere als Kameramann habe ich mich immer schon mehr als Filmemacher und weniger als Fotograf begriffen. Ich war immer schon in alle Prozesse involviert, habe mich sehr eingebracht in das Erzählen der Geschichte, arbeite eng mit den Schauspieler:innen. Ich habe es immer öfter gemerkt, dass die Schauspieler:innen unmittelbar nach einem Take den Blickkontakt mit mir gesucht haben, um Feedback zu bekommen. Dieser Dialog war mir sehr wichtig. Und ich habe mehr und mehr gespürt, dass ich mich als mehr gesehen habe als nur der Bildgestalter. Der Schritt zur Regie war eigentlich zwingend, es war kein gewaltiger Sprung ins Ungewisse, sondern eine logische Entwicklung. Tatsächlich war es so, dass das auch Produzenten aufgefallen war. Ich wurde von ihnen gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte, selbst auch Regie zu führen. Für mich spüre ich, dass ich mich zunehmend primär als Regisseur empfinde – ohne den Job des Kameramanns an den Haken hängen zu wollen.  

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Daniel Hartmann (Wüste Film), Andi Rogenhagen (Drehbuch), Ngo The Chau (Regie & Kamera), Christoph Maria Herbst als Carl Kollhoff, Yuna Bennett als Schascha, Annegret Weitkämper-Krug (Gretchenfilm) und Björn Vosgerau (Wüste Film) (Credit: Wolfgang Ennenbach)

Wenn Sie als Regisseur und Bildgestalter in Personalunion auftreten, kommen Sie dann auch mit klaren und festen Vorstellungen zum Dreh, wie die Dinge aussehen und ausgestaltet werden sollen? Haben Sie ein festes Konzept?

Ngo The Chau: Ich sehe mich als Teamplayer, schätze und genieße die Arbeit mit einem guten Team. Ich hole mir selbstverständlich die Meinungen und Ansichten der Kollegen, schätze die verschiedenen Einflüsse. Jedes Feedback, jede Frage, jede Idee hilft. Aber am Ende ist es mir schon wichtig, dass die Fäden bei mir zusammenlaufen, dass ich die Entscheidungen treffe. Das ist wichtig, damit ein Projekt sich nicht in endlosen Diskussionen verliert oder im Kreis dreht, wie ich das auch schon erlebt habe. Ich hole mir die Anregungen, mache nicht alles selbst mit mir aus, bin sehr offen. Weil es mir natürlich ein Anliegen ist, den bestmöglichen Film zu machen. Ich brauche meine Heads-of, um mich dem Film nähern zu können, seiner Kunst nähern zu können. Die Umsetzung ist mit der Vision allein nicht getan, sie wird in jeder Phase der Arbeit auf den Prüfstand gestellt, bis hin zum Feinschnitt und der Abmischung. 

Wie sieht es mit der Vision zu „Der Buchspazierer“ aus? Ist es der Film geworden, der Ihnen vorgeschwebt war?

Ngo The Chau: Gestalterisch haben wir eine klare Linie verfolgt. Der sind wir auch treu geblieben. Sofern mir dieses Urteil zusteht, würde ich schon sagen, dass wir die Welt zu Leben erweckt haben, die wir zu Leben erwecken wollten – ohne dass es eins zu eins die Welt geworden wäre, die ich mir am Anfang vorgestellt hatte. Das ist auch zu theoretisch. Das ist dann nicht ehrlich. Ich erstelle keine Storyboards und male sie Zuhause mit Farben aus und sage dann: Das wird der Film. Der Film entsteht beim Entstehen. Dieser Prozess ist entscheidend für den kreativen Vorgang, ich brauche die Situation, die Darsteller, die Stimmung – und auch meine Auseinandersetzung mit dem Stoff, die ausgelöst wird beim Dreh, wenn man sich fokussiert und konzentriert und arbeitet. Man muss das kreative Potenzial nutzen und aufbauen, dann entsteht mit jeder Woche ein neues Ergebnis. Ich hatte schon das Gefühl, dass ich mit der Konsequenz der Farbgebung und der Vielfalt der Abbildungen etwas geschaffen habe, das sich stark mit meiner ursprünglichen Vision deckt. Ich bin mir aber auch sehr treu und stelle nicht alles unentwegt wieder in Frage.

Sie sind also zufrieden?

Ngo The Chau: Sehr zufrieden. Vielleicht wäre meine absolute Idealfassung noch einmal vier oder fünf Minuten länger. Aber ich bin stolz, was wir in diesem großen Kinogebilde mit STUDIOCANAL und der Degeto im Team erreicht haben. Es war ein harmonisches Arbeiten immer auf Augenhöhe. 

Das Gespräch führte Thomas Schultze.