Im Rahmen einer eigenen Kolumne beleuchten Rechtsexperten von Fieldfisher für SPOT media & film wichtige Branchenthemen aus juristischer Sicht. In der aktuellen Folge wirft Dr. Gerd Hansen, auf Media & Entertainment Law spezialisierter Rechtsanwalt und Partner bei Fieldfisher, einen Blick auf KI-Trends des kommenden Jahres.
Dr. Gerd Hansen ist auf Urheber- und Medienrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus München. Ein besonderer Schwerpunkt seiner Arbeit liegt in der umfassenden juristischen Begleitung von nationalen und internationalen Film-, TV- und Streamingproduktionen über sämtliche Stadien hinweg; von der Entwicklung und Finanzierung über die Produktion bis hin zum Vertrieb. Seit April 2024 ist Dr. Gerd Hansen Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Fieldfisher und dort Teil der Practice Group Media & Entertainment Law. Zuvor war er lange Jahre als Head of Legal Affairs Sky Studios Germany sowie als Legal Director Content Production bei ProSiebenSat.1 sowie in einer anderen größeren Medienkanzlei tätig. Dr. Gerd Hansen ist ausgewiesener Experte bei rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit generativer Künstlicher Intelligenz (KI) und veröffentlicht regelmäßig zu aktuellen, für die Film- und Fernsehbranche relevanten Rechtsfragen.
Hier sind meine 10 Thesen, wie generative KI die Film- und Fernsehbranche im Jahr 2025 prägen wird – mit einem besonderen Fokus auf den rechtlichen Herausforderungen, die auf uns zukommen. Mein ganz persönlicher Blick in die Glaskugel:
1. Kennzeichnung von KI-generierten Inhalten
Die Verbreitung von txt2img- und txt2video-Generatoren wird für den mitunter hitzigen und immer häufiger eskalationsbereiten öffentlichen Diskurs wie ein Brandbeschleuniger wirken. Es würde daher nicht überraschen, wenn gerade die Endphase des BT-Wahlkampfs die Rufe nach einer Kennzeichnung von Deep Fakes lauter werden lassen dürfte – die Diskussion über eine praxistaugliche Ausgestaltung der KI-Kennzeichnung wird in 2025 jedenfalls weiter Fahrt aufnehmen. Die Zeit bis zum Inkrafttreten der Deep-Fake-Kennzeichnungspflicht gemäß Art. 50 Abs. 4 KI-Verordnung (am 02. August 2026) sollte dabei sinnvoll genutzt werden.
Die good news aus Verwertersicht: bei offensichtlich künstlerischen, kreativen, satirischen oder fiktionalen Programmen dürfte dabei auch künftig im Regelfall eine Kennzeichnung im Abspann (und nicht in der jeweiligen KI-generierten Einzelszene) genügen. Bei künstlerisch gestalteten dokumentarischen Formaten mit offensichtlich künstlich erzeugten Handlungspassagen/Szenen ist demgegenüber eine abgestufte kontextbezogene Kennzeichnung anhand des dem Zuschauer jeweils nahegelegten Wirklichkeitsbezuges und damit Wahrheitsanspruchs zu erwägen. D.h., wenn per KI nachgestellte Spielszenen des Programms aufgrund des Kontexts für den mündigen Zuschauer offensichtlich als fiktiv bzw. künstlich erzeugt erkennbar sind (dabei hilft, wenn sie als solche visuell unterscheidbar sind oder ein Disclaimer im Vor- oder Abspann eine Klarstellung enthält), dann sollte meines Erachtens auch bei diesen dokumentarischen Formaten eine Kennzeichnung bzw. ein Hinweis auf das Vorhandensein dieser künstlich erzeugten Elemente im Abspann genügen und auf eine (aus inhaltlich-redaktioneller Sicht zumeist als störend empfundene) Texteinblendung in der Szene verzichtet werden können. Letztlich kommt es hier aber immer auf den Einzelfall an.
2. KI-Kompetenzpflicht
Bereits zum 02. Februar 2025 tritt mit Art. 4 der KI-Verordnung eine neuartige KI-Kompetenzpflicht in Kraft. Unternehmen müssen also schon in Kürze sicherstellen, dass ihre Mitarbeitenden über ausreichende KI-Kompetenz verfügen. Betroffen sind alle Anbieter und Betreiber („Deployer“) von KI-Systemen. Für Medienunternehmen bedeutet das: Schon der Einsatz von KI-Tools wie ChatGPT im Unternehmen reicht aus, um unter die neue Vorschrift zu fallen. Abhilfe schaffen kann u.a. die Beauftragung eines (ggf. auch externen) AI Officers sowie die Inanspruchnahme von KI-Schulungsangeboten (siehe hierzu auch Pflicht ab dem Februar: Was Medienunternehmen in Sachen „KI-Kompetenz“ abverlangt wird – SPOT media & film).
3. KI-Tarifvertrag
Das Frühjahr dürfte bestimmt sein vom Roll-Out des ersten KI-Tarifvertrags, der aktuell zwischen der Produktionsallianz und BFFS und ver.di verhandelt wird (Transparenzhinweis: der Verfasser ist an diesen Verhandlungen auf Seiten der Produktionsallianz beteiligt). Verstärkt durch die Leitbildfunktion der kollektivvertraglichen Regelungen mit den US-Gewerkschaften (WGA & SAG-AFTRA), die zunehmend in die Vertragspraxis einsickern, steht der Branche auch in individualvertraglicher Hinsicht ein Transformationsprozess bevor. Es ist absehbar, dass zahlreiche Standardvertragsmuster etwa für Schauspieler:innen & Autor:innen sowie die üblichen Rechtekataloge eines „KI-Updates“ bedürfen. Die Diskussion über KI-relevante Regelungen in den Verträgen dürfte weiter intensiv bleiben. Die zuletzt vom VDS, dem Verband Deutscher Sprecher:innen, propagierte „KI-Ausschlussklausel“ liefert hier einen Vorgeschmack.
4. KI-Regulierung
Zugleich ist mit einer weiteren Verdichtung der KI-Regulierung zu rechnen (und auch mit einem wachsenden Frust darüber, dass bestimmte KI-Tools in Europa aus regulatorischen Gründen nicht verfügbar sind – Sora von OpenAI ist hier nur das jüngste Beispiel). So müssen zum Beispiel gemäß Artikel 56 Abs. 9 KI-Verordnung vom neuen AI Office auf europäischer Ebene spätestens am 2. Mai 2025 die Praxisleitfäden in Ergänzung zur KI-Verordnung vorgelegt werden. Es geht dabei u.a. um Leitlinien für die Detailgenauigkeit bei der Zusammenfassung der für das Training verwendeten Inhalte. Es ist davon auszugehen, dass diese Praxisleitfäden weitere Auslegungsfragen auslösen werden. Als sog. „Independent Expert“ begleite ich auf europäischer Ebene die entsprechende „Working Group“ bei der Erarbeitung des „Code of Practice“. Ich werde zu gegebener Zeit berichten.
5. KI-Urheberrechtsstreitigkeiten
Die Klagen gegen KI-Anbieter werden auch in Deutschland vermutlich weiter zunehmen, die Klage der GEMA gegen OpenAI dürfte nur der Anfang sein. Bei diesen Rechtsstreitigkeiten wird wenig überraschend v.a. die Reichweite der urheberrechtlichen Text- & Data-Mining-Schranken im Zentrum stehen sowie die Einzelheiten des Opt-Outs gemäß § 44b Abs. 3 UrhG (ob, wo, wie, durch wen etc.). Durch die weitverbreitete KI-Nutzung trotz rechtlicher Unsicherheiten werden sich die Klagen auch nicht mehr allein gegen die KI-Anbieter richten, sondern verstärkt auch gegen Verwerter. Der eine oder andere risikofreudige Produzent wird sich beim Experimentieren mit den neuen technischen Möglichkeiten möglicherweise eine „blutige Nase“ holen. Die Versuchung dürfte (nicht zuletzt auch wegen der Einsparpotenziale in wirtschaftlich angespannten Zeiten) schlicht zu groß sein. Abgesehen davon hat die Filmbranche technologische Innovationen stets als „first mover“ aufgegriffen und vorangetrieben.
6. KI-Leitlinien
In 2025 wird es immer weniger um das Ob, sondern immer mehr um das richtige Wie des KI-Einsatzes gehen. Die verantwortungsvolle Implementierung wird noch stärker in den Fokus rücken. KI-Leitlinien, die sich Unternehmen und Verbände selber geben – sofern nicht bereits geschehen-, werden zunehmend an Bedeutung gewinnen.
7. KI-Tools werden „erwachsen“
Gleichzeitig werden die KI-Tools immer ausgereifter. Indem die technisch ohnehin unerwünschten Memorisierungseffekte weiter zurückgehen und weniger Reproduktionen im KI-Output auftauchen, verringert sich die rechtliche Angriffsfläche deutlich. Die schon jetzt zu beobachtende Legalisierungstendenz setzt sich fort im Trend zu immer urheberrechtssensitiveren KIs. Immer ausgefeiltere Mechanismen kommen zum Einsatz, um Risiken im Umgang mit urheberrechtlich geschützten Werken zu minimieren. So finden z.B. Filter Anwendung, die sowohl in der Inputphase (durch Erschwerung von Urheberrechtsverletzungen provozierenden Prompts), als auch in der KI-Outputphase das Risiko von Urheberrechtsverletzungen reduzieren.
8. Kooperationen mit KI-Anbietern – AI needs content
Anders als in anderen Branchen ist die große Klagewelle der etablierten Entertainmentindustrie gegen aggressiv auftretende KI-Unternehmen bislang ausgeblieben. Rechteinhaber stehen offensichtlich vor einer schwierigen Entscheidung:
• Kooperieren mit KI-Anbietern, indem man Inhalte zum KI-Training gegen Entgelt (und anderweitige Vorteile) zur Verfügung stellt? Mit anderen Worten: die KI-Welle reiten und die IP-Library „versilbern“, solange das noch geht, oder
• KI-Anbieter wegen Urheberrechtsverletzungen verklagen oder
• abwarten und versuchen, Inhalte gegen Scraping durch Opt-outs zu schützen.
Viel spricht dafür, dass sich getreu dem Motto „If you can’t beat them, join them“ der Trend zur Kooperation mit den KI-Anbietern (dem Beispiel der Verlagsbranche folgend) in 2025 fortsetzen wird. Hierbei geht es nicht nur darum, mit dem „KI-Hype“ Geld zu verdienen, sondern auch um frühestmögliche Zugänge zu neuen KI-Tools, die Nachfrage nach Finetuning bzw. Customized Modellen, vergünstigte Lizenzen für die KI-Anwendungen sowie um Auffindbarkeit/ Markensichtbarkeit etc. Es lässt sich beobachten, dass auch im deutschen Markt zunehmend mehr Medienhäuser Kooperationen mit den großen KI-Anbietern prüfen (lassen) oder zum Teil bereits verhandeln.
Der Lizenzmarkt für KI-Trainingsdaten wird durch den immer größeren Datendurst der Anbieter weiter wachsen. Es zeichnet sich ab, dass KI-Anbieter angesichts rechtlicher Unwägbarkeiten verstärkt darauf setzen, ihre (Geschäfts-) Modelle durch den gezielten Erwerb von KI-Trainingsdaten nach und nach vertraglich abzusichern. Es ist ein bißchen „history repeating“. Erinnert die Dynamik doch an die Anfänge von Plattformen wie YouTube & Co, die sich nach disruptiven Anfängen im zeitlichen Verlauf ebenfalls verstärkt um eine rechtliche Absicherung bemühten. So scheint sich ein vertrautes Muster zu wiederholen.
9. AI eats Content?
Das Jahr 2025 könnte zum Wendepunkt für die Content-Branche werden, da KI-generierter Content zunehmend den Markt flutet. Schon heute beobachten wir, wie KI-generierte Bewegtbildinhalte in Werbung und sozialen Medien eine Welle von „good enough content“ schaffen – Inhalte, die massentauglich sind und vor allem schnell und kostengünstig produziert sind. Mit der fortschreitenden Leistungsfähigkeit und Zugänglichkeit von KI-Tools wird sich dieser Trend weiter beschleunigen.
Die wachsende Masse an KI-generierten Inhalten droht den Wettbewerb um die begrenzte Aufmerksamkeit der Rezipienten drastisch zu verschärfen. Der „Kampf um die Eyeball Time“ wird härter denn je; es dürfte in diesem Umfeld eine immer größere Herausforderung werden, mit kostenintensiven Inhalten herauszustechen.
Doch diese Disruption birgt auch Chancen. Anbieter, die es mit Hilfe von KI schaffen, sich durch Qualität, Originalität und emotionale Resonanz von der Masse abzuheben (etwa indem sie die neuen erzählerischen Möglichkeiten kreativ ausschöpfen), könnten langfristig profitieren. Die zentrale Frage bleibt jedoch: Wie werden sich die Wertschätzung für Inhalte und das Konsumverhalten der Nutzer verändern, wenn „good enough“ durch ständige Verfügbarkeit und Gewöhnung zur neuen Norm wird? Die Antwort darauf wird die Zukunft der Content-Branche maßgeblich prägen.
10. KI-generierter Langfilm
Ich rechne damit, dass wir 2025 einen „Toy-Story-Moment“ erleben werden. Zur Erinnerung: „Toy Story“ war 1995 der erste komplett computergenerierte Animationsfilm, hergestellt nicht von den großen Studios, sondern von Pixar. Vielleicht ist 30 Jahre später nach „Toy Story“ die Zeit reif dafür, dass nun ein komplett mit Hilfe von KI erstellter Langfilm zum Hit wird – es wäre nicht verwunderlich, wenn er von einem Newcomer käme. Für Verantwortliche in etablierten Medienunternehmen kann es daher sinnvoll sein, über den Jahreswechsel mal wieder einen Blick in den Managementklassiker „The Innovator’s Dilemma. When New Technologies Cause Great Firms to Fail“ von Clayton M. Christensen zu werfen.
Natürlich kann auch alles ganz anders kommen. Die „KI-Blase“ kann platzen (auch wenn ich davon überzeugt bin, dass KI gekommen ist, um zu bleiben), die KI-Unternehmen könnten unter dem erheblichen Kostendruck und den Auswirkungen der Rechtsstreitigkeiten v.a. in den USA in die Knie gehen (die Big Tech-Unternehmen hinter den KI-Startups haben jedoch äußerst tiefe Taschen), womöglich erleben wir sogar schon einen überraschenden Moment der technologischen Singularität oder den Durchbruch der sog. „Artificial General Intelligence“ (AGI). Eines ist gewiss: es bleibt höchst spannend.
Dr. Gerd Hansen (zum LinkedIn-Profil)
Zu Teil I der KI-Kolumne (Development-Phase)
Zu Teil II der KI-Kolumne (Schauspielbereich)
Zu Teil III der KI-Kolumne (Synchrobereich)
Zu Teil IV der KI-Kolumne (Dokumentarbereich)
Zu Teil V der KI Kolumne (KI-Training und Opt-out)
Zu Teil VI der KI-Kolumne (KI-generierte Musik)
Zu Teil VII der KI-Kolumne (Kaliforniens KI-Gesetze)
Zu Teil VIII der KI-Kolumne (Regeln zur KI-Kompetenz)