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Herausfordernde Fläche

Am Rande des Filmfestes München trafen sich Kino und Verleih auch in diesem Jahr zum offenen Austausch im Rahmen eines Innovation Lab. Bei dem vor allem „Klassiker“ der Branche zur Sprache kamen – darunter die Notwendigkeit, (noch) stärker auf Kooperationen zu setzen.

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Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Innovation Lab am Rande des Filmfestes München (Credit: Jan Runge)

Man sei „mit einem blauen Auge davongekommen“. So die Einschätzung von Constantin-Geschäftsführer Oliver Koppert zu einem Halbjahr, das programmatisch nicht gerade herausragend aufgestellt war – und in dem man im deutschen Kinomarkt am Ende um gut acht Prozent unter dem Besuchsniveau des Vorjahres blieb. Keine völlig unerwartete Entwicklung – aber eine, die nicht zufriedenstellend sei. Schließlich stünden im Hintergrund „riesige Investitionen“. Von Kino- wie Verleihseite gleichermaßen.

Abgegeben hat Koppert diese Einschätzung bei einem offenen und lebhaften Austausch im Rahmen der jüngsten Auflage des während der Pandemie aus der Taufe gehobenen Innovation Labs Kino-Verleih, einer federführend von der AG Kino-Gilde verantworteten und von Kinoberater Jan Runge organisierten Veranstaltungsreihe, die dank Förderung durch die FFA auch nach dem Auslaufen von „Neustart Kino“ fortgeführt werden kann. Als Gastgeber am Rande des Filmfestes München fungierte (wie schon im Vorjahr) am Nachmittag der Rio Filmpalast, nachdem es zuvor im geschlossenen Rahmen zum Austausch bei Leonine und Disney gegangen war.

Dass nicht zuletzt das (insgesamt eher maue) Halbjahresergebnis für den deutschen Film nicht schwächer ausfiel, ist vor allem einer mutigen Entscheidung der Constantin zu verdanken: „Chantal im Märchenland“ wurde trotz denkbar knapper Frist zur Fertigstellung (dass das DCP erst am Tag der Premiere fertig war, wurde schon dort verraten) auf das Osterwochenende vorverlegt. Der Wettergott dankte dies zwar nicht gerade, trotzdem avancierte der Film zum zweitstärksten Titel des ersten Halbjahres und stand nach Comscore-Zahlen für über 40 Prozent aller Besuche deutscher (Ko-)Produktionen während der ersten sechs Monate.

Auch wenn die mit diesem Film verknüpften Erwartungen angesichts des bisherigen Track-Records von Bora Dagtekin und Lena Schömann vielleicht noch ein wenig höher waren: Mit der Herausbringung zeigten sich die Kinovertreterinnen und -vertreter im Saal sehr zufrieden. Die Kernzielgruppe sei jedenfalls bestens erreicht worden, so die Einschätzung. Was nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass die Ansprache des Publikums insgesamt immer schwieriger wird.

Koppert verwies dabei auf Besonderheiten des deutschen Kinomarktes, der überdurchschnittlich stark flächengeprägt sei. Während Filme in den Hauptstädten Großbritanniens, Frankreichs oder Österreichs gut 30 Prozent ihrer Gesamtbesuche machen könnten, läge man in Berlin bei nur etwa 6,5 Prozent, in einer Stadt wie München bei gut drei Prozent. Das mache die Bewerbung ungleich aufwändiger, zumal es im linearen TV an althergebrachten „Leuchttürmen“ wie einem „Wetten, dass…?“ fehle, ohne die man über diese Schiene hohe Streuverluste in Kauf nehmen müsse; (bundesweite) Plakatierung wiederum sei ausgesprochen teuer.

Gleichzeitig sei die Arbeit mit Einzelkinos eine Herausforderung, zumal dort der Personalmangel mitunter besonders stark durchschlage. Verbünde begrüße man daher ausdrücklich. Dem mit weitem Abstand größten (der Cineplex-Gruppe) bescheinigte Gastgeber Christian Pfeil, die „beste Idee der letzten zwei Jahrzehnte“ zu sein, gleichzeitig kündigte er verstärkte Bemühungen der Pro-Arthouse-Gruppe und des Landkino-Netzwerkes an. Sein klarer Appell: Setzt auf Kooperationen!

Auf eher wenig Gegenliebe stieß der Vorschlag von Cine-Global-Geschäftsführer Daniel Ludwig, Ticketpreise erheblich dynamischer zu gestalten. Um auch jene abzuholen, denen zwölf Euro nach eigenem Bekunden schlicht zu viel seien (nicht, dass das der Durchschnittspreis wäre, der lag laut Comscore im ersten Halbjahr bei 9,80 Euro), solle man über eine Systematik nachdenken, bei der Tickets mit zunehmender Nachfrage teurer würden, beispielsweise etwa neun Euro für die ersten verfügbaren Plätze, 20 Euro für die letzten Tickets. Auch filmbezogen solle man (der relativ gängige „filmbezogene Zuschlag“ blieb dabei unerwähnt) stärker differenzieren, analog zur Wahl, die man im Supermarkt zwischen Markenprodukt und Discount-Ware habe. Anzumerken ist, dass es durchaus Versuche gab, mit einem echten „dynamic pricing“ für Kinotickets zu agieren – UCI hat die entsprechende Initiative aber längst wieder zu den Akten gelegt. Und man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass der gerne bemühte Vergleich mit Flugreisen ein wenig hinkt. Die sind schließlich in aller Regel nur Mittel zum Zweck, auch wenn der eine oder andere Trip durchaus durch besonders günstige Angebote incentiviert werden kann.

Dass es prinzipiell (absolut) Sinn macht, Anreize zu setzen, ist allerdings Konsens. Der Gedanke, ob ein echter bundesweiter Kinotag nicht doch einen Versuch wert sei, hält sich relativ hartnäckig – obwohl es am Rande der Veranstaltung diverse Stimmen gab, wonach der mit einer starken Rabattierung von Tickets an einem bestimmten Wochentag beabsichtigten Effekte, namentlich eine Stärkung eines besonders auslastungsschwachen Tages, in der Vergangenheit eher nicht in nennenswertem Umfang erzielt worden seien. Dennoch läge ein solcher Vorstoß keineswegs fernab von einer Praxis, in der nach Tagen (und Uhrzeiten) differenzierte Preise völlige Normalität sind. Der einheitliche „Kinotag“ wäre vor allem der Schlüssel zu flächendeckender Kommunikation eines solchen Angebotes.

Ein anderer Wunsch von Ludwig – jener nach langfristiger Planung von Vorstellungen – fand wiederum durchaus Befürworter, wobei man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass das Thema „Disposition“ in der Runde im Rio grundsätzlich intensiver besprochen worden wäre, wenn die Zeit ausgereicht hätte. Dass Koppert sich schon lange dafür ausspricht, Zahlen auf Vorstellungsbasis zu liefern, um die eine oder andere Diskussion auf eine faktenbasiertere Ebene hieven zu können, ist bekannt.

Und wie schätzt der Geschäftsführer eines Unternehmens, das mit dem Cinedom über viele Jahre hinweg einst selbst eines der erfolgreichsten Häuser der Republik unter seinem Dach hatte, den Kauf der US-Kinokette Alamo Drafthouse durch Sony ein? Auf alle Fälle als mutigen Schritt, als spannende Entwicklung. Auf beiden Hochzeiten zu tanzen, könne zwar schwierig sein – aber „vielleicht ist das auch genau der richtige Weg“. 

Für regionale Vernetzung von Verleih und Kino steht übrigens seit einem Jahr auch der Stammtisch der Münchner Kinobetreiberinnen und Verleiherinnen, aus dessen Reihen Lena Kettner (Pandora), Katherine Bradshaw (MUBI), Sofia Sklavou (Beta Cinema; Jelena Schryro, Vera Nikolai und Lisa Meier (Alamode) sowie Justine Kirschner (ASTOR Film Lounge im Arri) schilderten, wie ungezwungen der brancheninterne Austausch sein kann. Eine nachahmenswerte Initiative – auch wenn ein reiner Männerstammtisch auf der Bühne vielleicht wie ein wenig aus der Zeit gefallen angesehen würde…