Eine im Rahmen des Kinokongresses vorgestellte GfK-Schätzung zum deutschen Ticketumsatz im kommenden Jahr fiel bekanntermaßen noch verhalten aus. Ein wesentlicher Grund für die konservative Prognose ist das potenzielle Besuchsverhalten in den untersten Einkommensgruppen.
Auf den ersten Blick waren die Kennzahlen, die der stellvertretende FFA-Vorstand Martin Michaelis und Norina Lin-Hi als Leiterin der Abteilung „Marktforschung und Statistik“ zum Kongress KINO 2024 in Form der Studie „Kinobesucher*innen 2023“ und einer ergänzenden Präsentation zum zurückliegenden Kinojahr (siehe dazu auch unsere Berichterstattung vom Kongress) nach Baden-Baden mitgebracht hatten, durchaus erfreulich – wie es im Prinzip auch das gesamte Kinojahr 2023 trotz der Einbrüche im vierten Quartal war.
So stieg die Kinoreichweite in der deutschen Bevölkerung nach Erhebungen der GfK erstmals seit dem Pandemiejahr 2020 wieder auf über 30 Prozent – und vor allem erreichte die Besuchsintensität des tatsächlichen Kinopublikums mit durchschnittlich 4,3 Kinobesuchen pro Jahr nahezu wieder das Niveau aus 2019 (4,4), nachdem sie 2022 noch bei 3,8 gelegen hatte.
Zur Präsentation „Das Kinojahr 2023“
Dennoch machten die Zahlen deutlich: Vor allem an der Reichweite (die schon vor Corona zu den wichtigsten Handlungsfeldern zählte, zumal sie gerade im internationalen Vergleich Luft nach oben signalisierte) muss weiter dringend gearbeitet werden. Denn trotz der grundsätzlich positiven Entwicklung lag sie selbst im vergangenen Jahr noch um sechs Prozentpunkte unter dem Niveau aus 2019 (38 Prozent) – und 40 Prozent galt schon damals als eine wenigstens wieder zu erreichende Messlatte.
Entwicklung Kinobesucher*innen, Reichweite und Besuchsintensität
Jahr | Kinobesucher*innen in Mio. | Reichweite | Besuchsintensität |
2019 | 25,7 | 38% | 4,4 |
2020 | 15,4 | 23% | 2,4 |
2021 | 15,2 | 23% | 2,6 |
2022 | 19,3 | 29% | 3,8 |
2023 | 21,0 | 32% | 4,3 |
Vgl. 19/23 | -18% | -6 PP | -1% |
Ein Kernproblem bei der Steigerung der Reichweite: Die Entwicklung des Kinobesuchsverhaltens korreliert stark mit dem verfügbaren Einkommen. So nahm die Zahl der aus Haushalten mit einem monatlichen Einkommen von unter 2000 Euro stammenden Kinobesucherinnen und -besucher laut der GfK-Erhebung zwischen 2019 und 2023 um ganze 43 Prozent ab. Nicht ganz so dramatisch, aber immer noch deutlich fiel der Rückgang in der Einkommensklasse zwischen 2000 und bis zu 4000 Euro aus: Dort waren es 22 Prozent weniger. Ausgesprochen positiv, aber für eine Reichweitensteigerung angesichts der anderweitigen Rückgänge nicht ausreichend: In der Einkommensgruppe ab 4000 Euro stieg die Zahl der Kinobesucherinnen und -besucher im vergangenen Jahr gegenüber 2019 tatsächlich an; um immerhin 13 Prozent. Per Saldo blieb laut GfK ein Minus von 18 Prozent.
Ebenso deutlich macht den Zusammenhang zwischen finanzieller Situation und Besuchsverhalten eine andere Betrachtungsweise: So lag die Kinoreichweite 2023 in der Gruppe jener Personen, die im Rahmen des GfK-Panels angaben, sich „fast nichts leisten“ zu können, nur bei 26 Prozent; die Besuchsintensität wiederum bei 4,0. In der Gruppe jener, die angaben sich „fast alles leisten“ zu können, lag die Reichweite hingegen bei 38 Prozent; begleitet von einer Besuchsintensität von 4,5.
Zwar entfällt laut GfK auf die Gruppe jener, die sich nach eigenem Bekunden „fast nichts leisten“ können, ein einigermaßen überschaubarer Anteil von 16 Prozent der Gesamtbevölkerung; dennoch ist von immerhin 2,8 Millionen die Rede, wenn die FFA mit Blick auf diese Personen von „gefährdeten Kinobesucher*innen“ spricht.
Einschätzung der finanziellen Situation
Bevölkerungsgruppe | Anteil Gesamtbevölkerung | Kino-Reichweite | Besuchsintensität |
„Können sich fast alles leisten“ | 41% | 38% | 4,5 |
„Kommen im Großen und Ganzen zurecht“ | 42% | 31% | 4,3 |
„Können sich fast nichts leisten“ | 16% | 26% | 4,0 |
Gesamt | 100% | 32% | 4,3 |
Ein Spiegel dieser Problematik ist auch die im Januar von der GfK durchgeführte Befragung nach dem (potenziellen) Besuchsverhalten innerhalb der kommenden sechs Monate: Demnach gaben zwar 73 Prozent der Befragten an, ebenso häufig ins Kino gehen zu wollen wie im zurückliegenden halben Jahr, neun Prozent planten sogar häufigere Kinobesuche. Aber 14 Prozent erklärten die Absicht, seltener ins Kino zu gehen; vier Prozent sogar, vorerst ganz darauf verzichten zu wollen. Die Zahlen der zurückliegenden (gut) vier Monate könnte man durchaus als Bestätigung dieser Einschätzung sehen.
Daraus resultiert letztlich auch die verhaltene GfK-Prognose für den Ticketumsatz in diesem sowie im kommenden Jahr: Für 2024 erwartet man rund 873 Mio. Euro Boxoffice. Das geht durchaus mit den Einschätzungen von HDF und AllScreens konform und würde – so man das FFA-Ergebnis für 2023 als Vergleichswert sieht – einen Rückgang um sechs Prozent bedeuten. Letzter Zwischenstand in der (an Spielwochen orientierten) FilmSource-Auswertung von Comscore war ein Umsatzminus von 13,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für 2025 erwartet die GfK wiederum einen leichten Anstieg im Bereich von knapp vier Prozent. Sowohl das, wie auch der prognostizierte Gesamtumsatz von 906 Mio. Euro, entsprächen den Erwartungen an einen deutlichen Aufschwung im kommenden Jahr aber wohl eher weniger. Schließlich ist Konsens, dass der Erholungskurs in diesem Jahr primär deswegen eine Pause einlegt, weil die Startsituation als Folge der monatelangen Streiks im vergangenen Jahr nicht zufriedenstellend ist.
Marc Mensch