79 Preisträger, 800.000 Euro Preisgeld, strahlende Gewinner, eine kalorienreiche Wette auf das Kinojahr und ein sehr emotionaler, da leider trauriger Moment: Im Nürnberger Cinecittà wurden die Bayerischen Kinoprogrammprämien verliehen, von denen die höchste nach Regensburg ging.
Die Orte wechseln – getreu der seit 1999 gelebten Tradition, alljährlich einen anderen Regierungsbezirk aufzusuchen – ebenso wie die begleitenden Rahmenbedingungen. Aber was der Verleihung der Bayerischen Kinoprogrammprämien seit jeher gemein ist: Sie fühlen sich an wie ein großes Familientreffen der besten Art. Persönlich, herzlich, mit viel Zeit, um sich auf den Neuesten Stand zu bringen, Freuden und Sorgen zu teilen.
Dass letztere diesmal durchaus präsent waren – auch wenn man keineswegs von schlechter Stimmung sprechen konnte – überrascht nach einem Jahr wie dem zurückliegenden natürlich nicht. Einem Jahr, in dem sich nicht nur die eine oder andere Boxoffice-Erwartung nicht so recht erfüllen wollte (dass es trotzdem einige veritable Überperformer gab, sei nicht nur nebenbei erwähnt), sondern in dem vor allem manche Hoffnung in die Reform der Filmförderung enttäuscht wurde. Nun war schon vor dem Ampelcrash offen, wo das Kino vor allem in den abschließenden Haushaltsberatungen gelandet wäre. Aber es ist ja durchaus nicht so, als habe es nicht positive Signale in Richtung einer Neuauflage des Zukunftsprogramms Kino gegeben. Ob es die 40 Mio. Euro geworden wären, die seitens des HDF Kino als (nicht aus der Luft gegriffene, sondern auf konkreten Studien zum Investitionsbedarf basierende) Forderung im Raum standen, mag man unterschiedlich beurteilen. Dass der jetzige Stand ein kompletter Schuss in den Ofen ist, vielleicht eher nicht so sehr.
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Christine Berg machte als Schlussrednerin bei der Verleihung keinen Hehl aus der Enttäuschung, mit der Kinos auf den Status Quo blicken müssen. Zahlreiche Politiker hätten in den vergangenen Monaten das Kino immer wieder öffentlich hochgehalten, nun stehe man vor erhöhter Abgabenlast aus einem neuen FFG und blicke bei der Förderung in die Röhre. Lippenbekenntnisse allein würden nicht ausreichen. Erst recht nicht, wenn man ein Kernziel der Reform erreichen wolle: 35 Mio. Besuche für den deutschen Film – pro Jahr. Davon sei man momentan sehr weit entfernt: Trotz der Erfolge der jüngeren Vergangenheit habe der deutsche Film leider nur in Einzelfällen gut dagestanden. Gefragt seien Taten, nicht nur Worte. Eine Botschaft, die sich an Claudia Roth wie auch eine potenzielle Nachfolge gleichermaßen richtete.
Lob hatte Christine Berg hingegen für Bayern übrig, wobei ad hoc nicht klar wurde, ob damit nur die engagierte Kinoförderung gemeint war – oder auch das, was (an Bejahendem) man aus der Staatskanzlei im Lauf des Jahres immer wieder in Sachen Förderreform zu hören bekam. Bayerns Staatskanzleichef und Medienminister Florian Herrmann jedenfalls bot sie eine Wette auf das Gesamtergebnis für das Kinojahr 2024 an, von dem sie erwartet, dass es nicht ganz so weit von 2023 entfernt sein wird, wie es über weite Strecken den Anschein hatte. Sollte der Rückstand im maximal einstelligen Bereich bleiben, darf sie sich nun auf Pralinen aus Freising freuen – und auch wenn Pralinen aus Berlin sicherlich nicht zu verachten sind, bekräftige Herrmann seine Hoffnung, dass die HDF-Vorsitzende ihre Wette gewinnen werde.
Zuvor hatte sich der Medienminister in seiner Begrüßung dem Kino überaus zugewandt und gleichzeitig augenzwinkernd gezeigt. Er dankte Gastgeber Wolfram Weber für das „kleine, aber feine Heim“, dass er für diesen Anlass zur Verfügung stellte (es war nicht etwa die Meisengeige, sondern Saal 4 mit angeschlossener Gastro-Fläche im riesigen Kinotempel Cinecittà) – und er illustrierte auf unterschiedlichste Weise, was das Leinwanderlebnis aus seiner Sicht so einzigartig macht. An den ersten Kinobesuch (in einem leider nicht mehr existierenden Haus in Kelheim) könne er sich trotz der vielen dazwischenliegenden Jahrzehnte noch genau erinnern, an das erste Streamingerlebnis nicht. Und sein Vergleich „‘Horizon‘ auf dem iPhone anzusehen ist so, als würde man in die Badewanne steigen, um sich wie am Mittelmeer zu fühlen“, erntete Applaus.
Ein wenig dem Frust ließ Herrmann beim Thema Förderreform freien Lauf. Das im Überschwang der Rede etwas ruppig gewählte Zitat, mit dem er die Infrastruktur in einem Land mit besserer und erfolgreicherer Anreizförderung aufs Korn nahm, wollen wir hier (trotz hörbaren Amüsements im Publikum) nicht wiedergeben, auch wenn es natürlich ironisch gemeint war. Aber darauf kam es auch nicht an. Sondern darauf, dass Herrmann – wie er es schon wenige Tage zuvor beim Mediengespräch des Creative Europe Desk München deutlich gemacht hatte – eine konsequente Fortsetzung der Reformbemühungen auch als Auftrag an eine neue Regierung sieht, an der die Union womöglich nicht gänzlich unbeteiligt sein könnte.
Noch vor dem Staatsminister sprachen unterdessen Andere: Martin Hartung, der als stellvertretender FFF-Geschäftsführer tatsächlich die Stellvertretung für die leider verhinderte Geschäftsführerin Dorothee Erpenstein übernahm und der der Branche im absoluten Brustton der Überzeugung Mut am Ende eines Jahres zusprach, das es zwar nicht mit dem Vorjahr werde aufnehmen können, das aber dennoch gezeigt habe, wie sehr sich Innovationen und Investitionen auszahlten – und bei letzteren half der FFF im vergangenen Jahr mit immerhin 1,4 Mio. Euro (ohne Berücksichtigung der Programmprämien in Höhe von 800.000 Euro). Zum Stichtag 30. Juni 2024 hatten für das Investitionsförderprogramm übrigens 33 Anträge mit einem Investitionsvolumen von 5,4 Mio. Euro vorgelegen.
Dank sprach Hartung – und damit kommen wir (leider) zu einem emotionalen, aber traurigen Höhepunkt der Verleihung – nicht zuletzt einer Betreiberfamilie aus: Klarer hätte der (weniger als 200 Meter davon entfernt angesiedelte) FFF Bayern nicht machen können, welcher Stellenwert dem Filmtheater Sendlinger Tor im Münchner Kinogeschehen zukam, als damit, Fritz und Evi Preßmar noch vor der Ministerrede die Bühne für einen Abschied zu überlassen. Einen Abschied, bei dem Fritz Preßmar am Ende gerade so die Tränen unterdrücken konnte, bei dem er aber nicht nur seiner festen Überzeugung Ausdruck verlieh, dass das Kinoerlebnis nie sterben werde – sondern auch der Hoffnung, dass der „schweren Herzens angetretene“ Abschied aus der Kinobranche kein dauerhafter Abschied vom Filmtheater Sendlinger Tor als Kino sei. Die versammelte Branche wiederum bekundete ihren Respekt mit tosenden, anhaltenden Standing Ovations.
Damit aber nun zum Hauptpreisträger: Einem echten Traditionshaus, das im vergangenen Februar seinen 75. Geburtstag feierte. Einem Haus, das Doris Lerchl-Goldermann anno 1986 als damals vermutlich jüngste Betreiberin Bayerns übernommen hatte – und in dem die Liebe zum Kino und zum Film seither alltäglich mustergültig unter Beweis gestellt worden sei. Einem „Programmkino auf höchstem Niveau“, das 2023 fast die Hälfte seiner Vorstellungen mit deutschen Filmen bestritt – und fast 40 Prozent mit (oftmals auch medienpädagogisch begleiteten) Kinderfilmen: das Regina Filmtheater in Regensburg, bis heute von Doris Lerchl-Goldermann und ihrem Mann Oliver Goldermann geführt.
Dass Doris Lerchl-Goldermann schon in diversen Kinopreis-Jurys saß und es versteht, Laudationes zu verfassen, merkte man einer Dankesrede an, die nicht nur voll von Anerkennung für die Leistung von Kolleginnen und Kollegen war (die Preßmars etwa seien ihr über fast vier Jahrzehnte hinweg eine Inspiration gewesen). Die nicht nur augenzwinkernd den eigenen Werdegang – inklusive eines den Eltern nur sehr schonend beigebrachten Sprungs von einer bevorstehenden Bank-Karriere hin zum Kinogeschäft – umfasste; die eine Lanze für die sachkundige Arbeit der Programmkinomacherinnen und -macher brach, der Politik ins Stammbuch schrieb, (weiter) Vertrauen in die Zukunft zu schaffen – und die sich kritisch mit dem neuen FFG auseinandersetzte. Sondern die auch eine (nicht zuletzt dank des Vorbilds Frankreich) sehr naheliegende und mit viel Applaus quittierte Frage in den Raum stellte: Warum gibt es für unzählige Gewerke der Filmwirtschaft eigene Studiengänge – aber keinen für den Kinobetrieb? Sollte man das nicht ändern?
Und Doris Lerchl-Goldermann konnte, passend zum Veranstaltungsort Nürnberg, noch auf das sogenannte Rieplsche Gesetz verweisen, das auf den einstigen Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten (bzw. seine Dissertation) zurückgeht. Dass neue Medien die alten nie ganz verdrängen werden, wie man Riepls Aussagen heute deutet: Dazu passte ein ganz besonderes Highlight am Vorabend. Denn zum traditionellen Warm-Up, für den es ins Nürnberger Casablanca (den Spitzenpreisträger des Vorjahres) ging, winkte diesmal ein wahres Schmankerl: Der Stummfilm „Sherlock Junior“ von und mit Buster Keaton mit musikalischer Live-Untermalung. Gutes Kino ist eben zeitlos.