Virginie Efira hat nach dem wunderbaren „Les enfants des autres“ unlängst wieder mit Rebecca Zlotowski gedreht – dieses Mal an der Seite von Jodie Foster. SPOT bat den belgischen Star beim 21. Marrakech International Film Festival zum Interview.
Wie gefällt Ihnen die Jurytätigkeit bei einem Festival? Wie gefällt sie Ihnen speziell hier in Marrakesch?
Virginie Efira: Ich liebe diese Aufgabe, speziell hier in Marrakesch. Es ist eine Möglichkeit, andere Leute aus der Filmbranche zu treffen, man bringt seine eigenen Gedanken ein, man hört den anderen zu. All das findet in einem sehr intimen Rahmen statt. Kürzlich hatten wir das erste Jury-Mittagessen und wir sprachen über die Filme, jeder auf seine Art und Weise. Wir sind alle sehr unterschiedlich, sind alle unterschiedlich alt, kommen aus verschiedenen Kulturen, sprechen verschiedene Sprachen, kommen aus verschiedenen Bereichen der Branche… Das ist sehr interessant. Ein Glück ist natürlich auch, dass man viele Filme angucken darf, auch Filme, die es später vielleicht nie ins Kino schaffen werden, nie eine große Verbreitung finden werden.
Sie arbeiten nach „Les enfants des autres“ wieder mit Rebecca Zlotowski, bei „Vie privée“. Sie stehen dieses Mal mit Jodie Foster vor der Kamera. Erzählen Sie!
Virginie Efira: Ja! Es ist super, neben Jodie Foster vor der Kamera stehen zu dürfen! Sie spricht hervorragendes Französisch! Mein Englisch hingegen ist so schlecht! Zum Cast gehören auch Mathieu Amalric, Daniel Auteuil und Vincent Lacoste… Das Drehbuch ist umwerfend. Rebecca ist meine Freundin, sie schreibt immer tolle Drehbücher. Ich verehre sie einfach. Sie ist ein toller Mensch, eine große Cineastin, Regisseurin. Der Film ist ein lustiger, aber gleichzeitig tiefgründiger Thriller. Rebecca macht immer tiefgründige Geschichten. Ich habe gar nicht so viele Szenen diesmal. Aber sobald ich an einem Set von Rebecca bin, fühle ich mich zuhause. Ich weiß einfach, was sie will, was sie erwartet…
„Amerikanische Schauspieler sind wesentlich besser vorbereitet.“
Wie haben Sie Jodie Foster in der Zusammenarbeit erlebt?
Virginie Efira: Sie ist toll, ich konnte mir ihr sprechen, als wäre sie meine Nachbarin, sie hat keinerlei Starallüren. Und auf gewisse Weise ist sie natürlich sehr amerikanisch. Damit will ich sagen, dass amerikanische Schauspieler wesentlich fokussierter, besser vorbereitet sind als französische Schauspieler. Amerikaner kommen einfach aus einer anders geprägten Filmindustrie, in der es viel mehr ums Business geht.
Neben Rebecca Zlotowski haben Sie auch mehr als einmal mit Justine Triet gearbeitet. Beides sind tolle, starke Regie-Stimmen, wenn man das Wort „stark“ bemühen will, die wiederum mit tollen, starken Schauspielerinnen wie Ihnen arbeiten. Ist denn der Boden für weibliche Stimmen in der französischen Filmindustrie mittlerweile ein anderer, ein besserer?
Virginie Efira: Auf jeden Fall! Der Wechsel im System begann vor einigen Jahren. Aber machen wir uns nichts vor: Wenn es nicht um große Marken geht und wenn die Budgets niedrig sind, gibt es viele Frauen in der Regie. Gerade im Autorenfilm sind bei uns viele Regisseurinnen zu finden, mehr als in den meisten anderen Ländern. Und das Wort „stark“ finde ich schon ok, auch wenn es nicht wirklich treffend ist. Ich finde Regisseurinnen wie Rebecca oder Justine stehen für komplexe, facettenreiche Figuren, weibliche Figuren, die auch verletzliche Seiten haben. In diese Liga gehören auch Kolleginnen wie Alice Winocour, Catherine Corsini… Ich arbeite häufig mit Frauen, das stimmt. Bezeichnend ist bei mir auch, dass ich erst 40 werden musste, um in so guten Filmen mitzuspielen… Menschen wie Rebecca schreiben über Dinge, die wir Frauen ab einem gewissen Alter kennen, die wissen, was es bedeutet, eine Frau zwischen 40 und 50 zu sein.
Nicole Kidman sagte unlängst in einem Interview, dass sie ein Zeichen setzen will, indem sie mittlerweile mit so vielen weiblichen Regisseuren wie möglich arbeitet. Plädieren Sie auch für einen Zusammenhalt zwischen Frauen in der Branche, setzen Sie sich gezielt dafür einsetzen?
Virginie Efira: Wenn man die Wahl hat – und die hat Nicole Kidman –, hat man eine gewisse Verantwortung. Sie ist ein tolles Beispiel: Sie hat Freiheit im Spiel, in der Wahl der Filme, in denen sie mitspielt oder die sie mit produziert. Sie kann ihren Weg gehen. „Babygirl“ von Halina Reijn ist toll – wie sie hier mit den Themen #metoo und weiblicher Libido umgeht, ist sehr interessant. Es gibt aber dennoch eine große Differenz zwischen dem französischen und dem amerikanischen System. Wir haben nicht die gleiche Kultur. In Frankreich gibt es viel mehr Autorenfilme. Das ist gut so. Und die Person, die am wichtigsten ist, ist der Regisseur/die Regisseurin. In den USA spielen Schauspieler:innen im Package eine viel größere Rolle, haben mehr Gewicht. Klar ist die Zusammenarbeit mit jemand wie Rebecca Zlotowski immer etwas Gemeinschaftliches, ein gemeinschaftliches Miteinander. Aber Rebecca hat das Sagen. Ich bin auch eine viel zu schlechte Businessfrau, um mich da größer aufzuspielen… Damit ein Film gut wird, muss es eine Vision geben. Und die kommt vom Regisseur.
„Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mal mit Paul Verhoeven arbeiten darf, hätte ich dem den Vogel gezeigt.“
Welche Rolle, würden Sie sagen, hat Sie am meisten verändert?
Virginie Efira: Das war nicht so sehr eine Rolle, eine Figur, sondern ein Film. Genauer gesagt das Treffen und Kennenlernen von Justine Triet bei „Victoria“. Davor war ich viel zu schüchtern, habe mich nichts getraut. Es ist ja so: Ist ein Schauspieler zu sehr überzeugt von sich, hat das keinen Wert. Ist ein Schauspieler voller Zweifel, bringt das ebenso wenig. Mit Justine habe ich mich gefunden. Ich war nicht besonders an mir selbst interessiert. Der Punkt ist, dass man an ein Projekt glauben muss, ein Projekt zusammen auf den Weg bringen muss, als Team. Darum geht es. Darum geht es mir seither, bei jedem Projekt. Als ich Justine kennenlernte, ist der Funke übergesprungen! Ich sage nicht: Ah, ich bin die große Schauspielerin. Nein, mich interessieren die Filme.
Sie wussten also nicht von Anfang an, dass Sie einmal Schauspielerin werden wollen?
Virginie Efira: Nein! Wissen Sie, ich war ja mal Moderatorin der belgischen Hitparade. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, Schauspielerin zu werden. Klar, als Kind hatte ich schon den Wunsch… Ich weiß noch, wie ich mir irgendwann einmal ein Kinomagazin kaufte mit Sharon Stone auf dem Titel, die gerade mit „Basic Instinct“ in Cannes war. Hätte mir jemand gesagt, dass ich zehn oder 15 Jahre später ebenfalls mit Paul Verhoeven drehe, hätte ich dem den Vogel gezeigt. Ich hatte lange nicht das nötige Selbstbewusstsein. Beziehungsweise erst, als ich meine Angst abgelegt habe, ich mir dachte, wer nicht wagt, der nicht gewinnt, zog meine Karriere an.
Welche Filme haben Sie geprägt?
Virginie Efira: Da gibt es einige. Als Kind sicher „Mary Poppins“. Aber genauso Martin Scorseses „Wie ein wilder Stier“ oder Zhang Yimous „Leb wohl, meine Konkubine“, in den mich meine Tante und mein Onkel einst mitschleppten, obwohl ich nicht wollte. Die Welt wird durch Kino so groß! Kino vergrößert den eigenen Horizont!
Gibt es etwas auf Ihrer Bucket List? Einen Regisseur/eine Regisseurin, mit dem oder der Sie unbedingt noch zusammenarbeiten wollen?
Virginie Efira: Die Anzahl an tollen Regisseuren, die allein hier in Marrakesch gerade ist, ist unglaublich. Da wäre zum Beispiel definitiv David Cronenberg. Seine Filme haben mich ebenfalls beeinflusst. Aber auch Walter Salles oder Alfonso Cuarón. Aber ich würde auch gerne mit François Ozon arbeiten, der ebenfalls in Marrakesch war. Und jederzeit und immer wieder mit Rebecca Zlotowski und Justine Triet. Das Wichtigste ist der Regisseur/die Regisseurin. Und die Art und Weise, wie ein Film produziert wird. Ich brauche eine gewisse Freiheit! In Frankreich haben wir Glück, weil hier nicht alles nach Schema F läuft, so standardisiert ist.
Das Gespräch führte Barbara Schuster