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Vincenzo Bugno zum 37. Film Festival Bozen: „Eine starke Identität“

Am Freitag startet das 37. Bolzano Film Festival Bozen (BFFB), die zweite Ausgabe unter der künstlerischen Leitung von Vincenzo Bugno. Wir sprachen mit dem Leiter des World Cinema Fund der Berlinale über das Programm und die Herausforderungen.

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Vincenzo Bugno drückt dem Bolzano Film Festival Bozen bereits seinen Stempel auf (Credit: Manuela Tessaro)

Wenn Sie auf Ihr erstes Jahr zurückblicken, was waren die Erfahrungswerte und was bedeuten Sie für das Festival in diesem Jahr?

Vincenzo Bugno: Es war eine spannende und gleichzeitig herausfordernde Erfahrung. Ich wurde erst vier Monate vor Beginn des Festivals in das Amt berufen, da blieb wenig Zeit, um erste eigene Ideen einzubringen. Doch mit Hilfe der bereits bestehende Strukturen konnten wir ein wunderbares Festival auf die Beine stellen. Ich würde das erste Jahr also als ein Jahr des Übergangs beschreiben. Bei der jetzigen Festivalausgabe gab es mehr Vorlauf, um Neues umzusetzen und meinen Weg als Festivaldirektor einzuschlagen. 

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Das Bolzano Film Festival Bozen ist ein kulturelles Highlight in Südtirol (Credit: Bolzano Film Festival Bozen)

Wie sind Sie vorgegangen?

Vincenzo Bugno: Es ging für mich erst einmal darum, die Identität des Festivals zu verstehen und zu identifizieren, dann für mich zu interpretieren. Ein kleineres Festival bedarf einer starken Identität. Und die wiederum hängt eng zusammen mit dem Ort, an dem es stattfindet. Südtirol, das bedeutet Grenzregion, Widersprüchlichkeit, Konflikte, enormes kulturelles Potenzial. Wenn ich an das Festival denke, denke ich also schon auch an den Filmstandort Südtirol. In Bozen wie auch in den anderen Zentren der Region gibt es eine ganze Anzahl von Film- und Kulturinstitutionen. Da ist zunächst einmal die IDM Filmcommission Südtirol, es gibt eine Filmschule, eine sehr engagierte Uni. Es gibt Netzwerke, mit denen man arbeiten muss. Das war für mich die Grundlage, einerseits eine starke Filmstruktur, andererseits diese kulturpolitische Identität, die für mich auch Modell für die Weiterentwicklung des Festivals ist, sowohl auf lokaler aber auch internationaler Ebene. 

Inwiefern international?

Vincenzo Bugno: International gibt es eine Menge Widerspruch in den Grenzgebieten, die auch kulturell sehr, sehr lebendig sind. Daher das Interesse des Festivals an allem, was mit Minderheiten, Konflikten und Sprachen zu tun hat. Die Grenze soll dabei nicht unbedingt als Hürde und Begrenzung zu verstehen sein, sondern als Möglichkeit, den Blick weiter zu fassen: Außerhalb gibt es auf der anderen Seite der Berge auch eine Menge zu entdecken. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir beim 37. Bolzano Film Festival Bozen zehn Jahre nach dessen Tod eine Hommage dem unvergessenen Produzenten Karl Baumgartner widmen, den alle nur als „Baumi“ kannten und der ein echter Pionier war. Baumi verkörpert die von mir angesprochene Haltung. Einerseits hatte er eine sehr starke Beziehung zu Herkunft und Heimat – er selbst wurde in Südtirol geboren. Andererseits war er immer offen für neue Einflüsse, für Entdeckungen. Auch persönlich hat er mich stark geprägt, weil er als einer der ersten Europäer in der vermeintlichen filmischen Diaspora gedreht hat, in Ländern wie Tadschikistan oder Äthiopien, es hat ihn immer ins Ausland getrieben, in alle Richtungen. Seine Neugier und Offenheit verkörpern eine Haltung, die auch unserem Festival innewohnt. 

(Credit: Adrian Campean)

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Es heißt, dass es mindestens drei Ausgaben eines Festivals braucht, bis sich die Handschrift eines Leiters wirklich entfalten kann. Wie weit sind Sie bei der Umsetzung in diesem zweiten Jahr?

Vincenzo Bugno: Ich will nicht vermessen klingen, aber ich denke schon, dass sich meine Handschrift jetzt schon entdecken lässt. Ich wollte eine Festivalkultur entwickeln mit einer starken Identität, wie gesagt. Ich wollte auch unbedingt, dass die verschiedenen Initiativen und Sektionen des Festivals miteinander im Dialog stehen. Wir haben einen Wettbewerb mit Dokumentarfilmen, Fiction und allem, was dazwischen ist. Er umfasst Produktionen aus dem erweiterten Alpengebiet, aus Italien, Österreich, der Schweiz, Deutschland und nunmehr auch, neu von mir eingeführt, Slowenien – und auch Koproduktionen aus diesen Ländern, weil die Identität und nationale Bezeichnung der Filme sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat. 

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Vincenzo Bugno: Im letzten Jahr hatten wir mit „The Klezmer Project“ einen Film zweier argentinischer Regisseurinnen, der von einem österreichischen Produzenten ermöglicht und in der Ukraine und Moldawien gedreht wurde. So sieht die Gegenwart des Filmemachens aus. Damit muss man sich auseinandersetzen. Es gibt eine besondere Aufmerksamkeit von unserer Seite für diese Art von Koproduktion. Außerdem bieten wir Minderheiten auf allen Ebenen eine Bühne. Wir hatten letztes Jahr einen Fokus auf die spanische Region Galizien. In diesem Jahr wollte ich noch weiter gehen, und wir sind tatsächlich in Brasilien gelandet, um das brasilianische indigene Kino zu präsentieren. Der eine oder andere wird sich fragen, wie ein Filmfestival in Bozen und das brasilianische Filmschaffen zusammenpassen. Für mich ist ganz klar: It makes sense.Es geht um Sprachen, Minderheiten, Geschichte. Umbequeme Geschichte.  Unsere Welt ist groß, damit muss man sich befassen. Aber es ist nicht so fremd, wie es vielleicht erscheinen mag.

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Eine Hommage gilt dem unvergessenen Karl „Baumi“ Baumgartner (Credit: Karl-Theo Stammer)

Aber Sie richten einen Fokus schon auch gezielt auf das Filmschaffen in der Region.

Vincenzo Bugno: Wir nennen  die Sektion „Local Heroes“, da gibt es die Filme aus Tirol, Südtirol,oder eben dem Grenzgebiet nach Italien. Diese Filme funktionieren aber nicht anders als gerade schon beschrieben. Im letzten Jahr hatten wir im Wettbewerb beispielsweise eine Produktion einer Firma aus Bozen, die aber in Lettland gedreht wurde. Ich finde diese Formen der positiven Kontamination sehr spannend und bin überzeugt, dass wir künftig noch viel mehr in dieser Art erleben werden. Nicht zufällig werden in diesem Jahr die Preise für das Lebenswerk des BFFB in Zusammenarbeit mit dem Verkehrsamt der Stadt Bozen zwei Paaren überreicht, dem Regieduo Yervant Gianikian und Angela Ricci Lucchi und der Produktionsfirma Vivo film von Marta Donzelli und Gregorio Paonessa. Gianikian und Lucchi haben für die innovative Filmkunst in den letzten 40 Jahren eine enorme Rolle gespielt – interessanterweise habe ich entdeckt, dass Gianikian in Meran geboren wurde und seine Mutter gebürtige Südtirolerin war, wenngleich sein Name auf armenische Wurzeln verweist. Für mich war es ein Must, ihn einzuladen. 

Nach welchen Gesichtspunkten gehen Sie bei der Auswahl der Filme vor?

Vincenzo Bugno: Es gibt zwei Reihen, die direkt von mir kuratiert werden, der Wettbewerb und die Sektion „RealeNonReale“, die ein weiteres Dokumentarfilmprogramm anbietet. Die weiteren Sektionen entstehen in Zusammenarbeit mit den anderen Kollegen. Ich habe mich immer schon für innovative Filmsprachen interessiert. Das spielt gewiss eine Rolle bei der Auswahl für die Titel im Wettbewerb. Ich will die Zuschauer auch nicht unterschätzen. Ich möchte, dass auf dem Festival Filme laufen, die man nicht anderweitig regulär im Kino zu sehen bekommt, es soll ein Ort der Entdeckungen und des Austauschs sein. In Bozen gibt es eine sehr interessante Filmkultur, ein kulturell interessiertes Kinopublikum. Man will etwas erleben! Diese Haltung spielt eine wichtige Rolle bei der Auswahl. 

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Erich von Stroheims Debüt „Blind Hubands“ eröffnet das Festival (Credit: Bolzano Film Festival Bozen)

Es geht nicht um selbstverständliche Filme. 

Vincenzo Bugno: Richtig. Ich zeige beispielsweise sehr besondere deutsche Filme, einige davon liefen auch bereits auf der Berlinale. Eine Sache, die mir wichtig ist: Ich finde, die Aufgabe von kleineren und mittleren Festivals sollte auch sein, die Sichtbarkeit von ungewöhnlichen Filmproduktionen zu gewährleisten. Mit Bedauern stelle ich fest, dass sich viele Festivals immer noch im Wettbewerb zueinander sehen. Das ist eine Konkurrenz, die mir fremd ist, dieses Ringen um Weltpremieren. Wir sollten zusammenarbeiten und uns dafür einsetzen, Filme zu zeigen und den Zuschauer:innen näher zu bringen, die diese Unterstützung brauchen. Gleichwohl freue ich mich natürlich, dass im Wettbewerb von zwölf Titeln acht Filme ihre italienische Premiere feiern. Einige von ihnen sind außerhalb der großen Festivals nirgendwo gelaufen. Aus Deutschland zeigen wir „Touched“ von Claudia Rorarius, der in Locarno gezeigt worden war, „Ivo“ von Eva Trobisch, der gerade in Berlin Premiere feierte, „Ellbogen“ von Asli Özarslan, eine weitere Berlinale-Premiere, und „Südsee“ von Henrika Kull, den man bereits beim Filmfest München entdecken konnte. Es fällt auf, dass über diese vier Titel hinaus viele weitere Titel im Festival von Frauen stammen. Es ist ein sehr weibliches Festival. Der weibliche Körper spielt in vielen Filmen eine Rolle. 

Sie haben aber auch eine starke österreichische Auswahl!

Vincenzo Bugno: Ich freue mich, dass wir „Andrea lässt sich scheiden“ von Josef Hader zeigen können, etwas leichtere Kost mit der großartigen Birgit Minichmayr, die außerdem in „Mit einem Tiger schlafen“ von Anja Salomonowitz zu sehen sein wird – beides sind Berlinale-Premieren. In letzterem geht es um die mir davor nicht bekannte Kunstszene um Maria Lassnig, die selbst auch Kurzfilme gemacht hat, die wir ebenfalls zeigen werden. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie wir versuchen, die Beziehung zu bestimmten Autor:innen zu vertiefen und nicht einfach nur Filme im Wettbewerb zu zeigen. 

Sie sprechen davon, dass man das Publikum nicht unterschätzen darf. Gleichzeitig muss es in Zeiten wie diesen doch auch darum gehen, überhaupt ein Publikum anzusprechen und abzuholen.

Vincenzo Bugno: Da mache ich mir in Bozen keinerlei Sorgen. Es ist eine filmaffine, an Kultur interessierte Stadt. Wichtig ist mir, nicht nur das erwachsene Publikum abzuholen. Wenn das Kino eine Zukunft haben soll, dann muss man auch das junge Publikum ansprechen. Deshalb freue ich mich, dass wir eine Zusammenarbeit mit der Sektion „Generation“ der Berlinale haben und im Rahmen der Sektion „LiLi Little Lights“ in Zusammenarbeit mit den lokalen Schulen Filme für ein junges Publikum zeigen, die aus Berlin kommen. Schon letztes Jahr hatten wir ein Pilotprojekt mit einem Film, und ich war sehr begeistert, dass gleich am ersten Tag 200 regelrecht berauschte Kinder im Kino waren. Deshalb haben wir das Projekt jetzt erweitert. 

Klassische Frage zum Abschluss: Gibt es denn etwas, worauf Sie sich in diesem Jahr besonders freuen?

Vincenzo Bugno: Ich freue mich wahnsinnig, dass wir das Festival am 12. April mit der Vorführung des Stummfilms „Blind Husbands“ von Erich von Stroheim aus dem Jahr 1919 offiziell eröffnen können. So sehr ich mich mit der Zukunft befasse, was kommen wird für das Kino, so sehr begeistere ich mich natürlich auch für die Filmgeschichte. Es handelt sich um Stroheims Regiedebüt, das wir in den drei Sälen des Filmclubs in einer restaurierten Fassung des Österreichischen Filmmuseums in Wien und, dank der Zusammenarbeit mit dem Südtirol Jazz Festival Alto Adige, zum ersten Mal in Italien mit Live-Musikbegleitung zeigen können. Am zweiten Wochenende werden wir „Pepe“ von Nelson Carlo De Los Santos Arias zeigen, eine wahre Offenbarung der diesjährigen Berlinale und einer meiner Lieblingsfilme der letzten 20 Jahre. Besser könnte ich die Bandbreite des BFFB nicht zusammenfassen: Zwischen einem 105 Jahre alten Film von Stroheim, in Cortina d’Ampezzo gedreht, und einem Publikums-Highlight der diesjährigen Berlinale über ein Nilpferd ist alles möglich.

Das Gespräch führte Thomas Schultze.