Mit „The Dead Don’t Hurt” legt Viggo Mortensen seine zweite Regiarbeit vor. Der Western mit Vicky Krieps feierte Deutschlandpremiere auf dem 41. Filmfest München und kommt am Donnerstag im Verleih von Alamode in die deutschen Kinos. Wir nutzten die Gelegenheit zu einem Gespräch über Western, starke Frauen und das Regieführen.
Wie schön, dass Sie einen Western gedreht haben. Wir deutschen Kids sind mit Western im Fernsehen aufgewachsen und konnten erst einmal nicht unterscheiden, ob es ein amerikanischer oder ein deutscher Western war – alles war synchronisiert.
Viggo Mortensen: Ich erinnere mich, als ich deutsches Fernsehen zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe einen Anschlussflug verpasst und hing in Frankfurt fest, so vor 30 Jahren oder so, man brachte mich in einem Flughafenhotel unter. Ich bin früh aufgestanden und habe den Fernseher eingeschaltet. Es lief ein Western mit John Wayne, vielleicht „Rio Bravo“, wahrscheinlich „Der schwarze Falke“. Alles auf Deutsch! Die Siedler, die Indianer… Ich war völlig baff. Verrückt.
Vieles ergibt gar keinen Sinn mehr in der Synchro. Aber der Film funktioniert trotzdem, er ist majestätisch und emotional. Aber viel wichtiger als meine Sozialisierung mit dem Western ist die Frage, welche Rolle der Western in Ihrem Leben gespielt hat?
Viggo Mortensen: Ich bin ein bisschen älter als Sie und bin ebenso großgeworden mit Western im Fernsehen. Sehnsuchtsfernsehen, wissen Sie? Ich habe meine Kindheit in Argentinien verbracht, wo all die amerikanischen Westernserien der Zeit ausgestrahlt wurden, aber auch Filme. Jeden Tag lief eine der Serien oder ein Film, am Wochenende waren es gleich mehrere. Viele waren nicht besonders gut, es waren oft eher billigere Produktionen, die für die Sender wohl weniger teuer waren als die Qualitätswestern. Wo ich auch war, in Mexiko, in Spanien, überall liefen immer Western. Selbst in den Kinos gab es immer noch regelmäßig neue Western, die man anschauen konnte. Das hat sich natürlich geändert. In diesem Jahr gibt es ein paar, aber insgesamt ist es ein ausgestorbenes Genre. Western ist heutzutage retro. Aber ich habe Western im Blut, er ist ein Teil von mir, ob ich will oder nicht.
Und jetzt haben Sie selbst einen gemacht, einen sehr ungewöhnlichen noch dazu.
Viggo Mortensen: Als ich angefangen habe, habe ich einfach über eine Frau geschrieben, eine unabhängige, psychologisch starke Frau. Das war der Anfang. Dann dachte ich mir, wie es wäre, wenn ich diese Frau in den Westen des 19. Jahrhunderts verpflanze, das Leben wäre dann schwerer für sie, es gäbe mehr Hindernisse, man würde ihr mit mehr Argwohn begegnen. Deshalb wurde es ein Western. Wie gesagt, ich mag das Genre. Ich habe in mehreren Western mitgespielt, ich schaue sie mir gern an, ich mag Pferde, reite sie, seitdem ich ein Kind war. Mir gefallen die Landschaften, ich mag die Topographie. Ich dachte mir: Das könnte Spaß machen. Zur Vorbereitung habe ich mir all die alten Western angesehen, die ich als Junge gemocht hatte, und dann noch hunderte mehr in den zweieinhalb bis drei Jahren, die es dauerte, genug Geld beisammenzuhaben und das Projekt wirklich vom Boden zu bekommen.
Gab es neue Erkenntnisse?
Viggo Mortensen: Die meisten Western sind schrecklich. Aber das ist eine Betrachtung, die sich nicht auf dieses eine Genre beschränkt. Die meisten Filme sind nicht übermäßig originell, sehen nicht besonders gut aus, sind eher bescheiden inszeniert und gespielt. Das ist einfach so. Und dann gibt es an der Spitze jene zwei oder drei Prozent, die Kunstwerke sind. So ist das auch beim Western. Man denkt nur, dass es mehr schlechte Western gibt, weil im Lauf der Jahrzehnte so viele Western gedreht wurden, wie am Fließband. Von den Zehner- bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts wurden mehr als 7000 Western gedreht. Da fällt es einfach auf, dass so viele schlecht sind. Eine Sache gibt es, die mir gut gefällt und die ich gerne mit dem Publikum teile in den ungefähr 70 oder 80 Q&As, die ich in den letzten Monaten überall auf der Welt gegeben habe, seitdem ich mit „The Dead Don’t Hurt“ unterwegs bin. Manchmal meldet sich jemand aus dem Publikum, meistens ist es eine Frau, und sagt: Western gefallen mir nicht besonders, sie interessieren mich nicht besonders, aber mir gefällt diese Geschichte. Das ist gut. Gut für meinen Film. Und gut für den Western.
„Man denkt nur, dass es mehr schlechte Western gibt, weil im Lauf der Jahrzehnte so viele Western gedreht wurden, wie am Fließband.“
Es gibt im Verlauf der Geschichte immer wieder starke Frauen in Western, aber keine ist so wie die Figur, die Vicky Krieps in Ihrem Film spielt.
Viggo Mortensen: Mir gefallen die starken Frauenfiguren in den Western von John Ford, aber natürlich sind sie völlig anders. Und sie stehen nie im Mittelpunkt. Sie spielen immer nur eine wichtige Rolle im Leben der Männer an ihrer Seite. Ein paar Western gibt es mit Frauen als Hauptfiguren. Aber es sind so wenige, dass sie herausstechen. Barbara Stanwyck in „40 Gewehre“ oder „Die Farm der Besessenen“, Joan Crawford in „Johnny Guitar“. Aber sie sind dann besonders, herausragend, auffällig, keine Durchschnittsfrauen. Claudia Cardinale in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Sie ist exotisch, sticht heraus und reich obendrein. Vivienne in meinem Film ist eine ganz normale Frau. Sie wird nicht irgendwann den Colt ziehen und die Bösewichte erschießen. Ihre Stärke ist ihre Psychologie, das macht sie stärker als die Männer in „The Dead Don’t Hurt“.
Der Look Ihres Films ist klassisch, die Handlung nicht.
Viggo Mortensen: Ich wollte einen Western machen, der auch wie ein Western aussieht. Die Musik, die Details, die Kleidung, die Waffen, die Sprache, die Architektur. Es ist ein klassischer Western. Aber ein guter! Allerdings wollte ich keine Geschichte erzählen, wie man sie aus Western kennt. Das liegt daran, dass ich versucht habe, die Figuren feiner zu zeichnen, ihnen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Es muss viele Viviennes gegeben haben damals, wenn man als Frau durchkommen wollte, den Kopf über Wasser halten wollte, musste man so sein wie wie. Man hat bislang nur in Filmen solche Frauen nicht gezeigt. Man war bisher nicht interessiert an ihren Geschichten.
Dabei ist man sofort fasziniert von ihr.
Viggo Mortensen: Ihrer Unabhängigkeit sind Grenzen gesetzt. Körperlich kann sie sich nicht gegen die Männer behaupten. Und doch ist sie ihnen in vielerlei Hinsicht überlegen, was natürlich zusätzliche Gefahren birgt.
Was war der Grund, warum Sie Vivienne eine Frankokanadierin sein ließen?
Viggo Mortensen: Meine Mutter ist das Vorbild für Vivienne. Sie war zwar keine Frankokanadierin, aber der Wald in meinem Film sieht genauso aus wie der Wald, in dem sie aufgewachsen ist. Für den Dreh habe ich ein entsprechendes Fleckchen Land im Süden von Ontario an der Grenze zu Quebec gefunden, das wiederum gab den Ausschlag, weil mir wichtig war, sie in Kalifornien eine Ausländerin sein zu lassen, deshalb etwas exotisch und fremd wirkt, mit einer anderen Muttersprache als Englisch. Meine Mutter hat mir immer davon erzählt, wie sie sich vorgestellt hat, in diesem Wald Rittern zu begegnen – deshalb beginnt mein Film auch genau damit. Ihr gefielen diese Geschichten, als sie ein kleines Mädchen war. Und sie las mir aus Büchern entsprechende Geschichten vor – diese Bücher besitze ich immer noch, gebundene Bücher mit wunderbaren farbigen Illustrationen. Das hat mich fasziniert. Ich konnte mir das gut vorstellen im Nordosten Amerikas. Weil ich mich ganz gut auskenne in Quebec, war diese Gegend naheliegend. Wenn Vivienne französische Wurzeln hat, dann hat Johanna von Orleans eine besondere Bedeutung für sie. Ich konnte sie ganz detailliert zeichnen. Vor langer Zeit habe ich gelernt, dass man dann besonders universell erzählt, wenn man so detailliert und kleinteilig wie möglich charakterisiert.
Das trifft dann auch auf Olsen zu, Viviennes Ehemann, den Sie selbst spielen.
Viggo Mortensen: Eigentlich wollte ich nur Regie führen, ein anderer Schauspieler sollte die Rolle spielen. Es war keine einfache Suche, es musste ein Schauspieler sein, den der Finanzier des Films abnickt. Der Kollege war mehrere Monate mit uns an Bord. Als der Drehtermin immer näher rückte, erhielt ich eine Mail von seinem Anwalt, er müsse leider aus dem Projekt ausscheiden. Ich sagte: Was soll die Scheiße, wir wollen bald drehen. Aber es war nichts zu machen. Ich musste neu besetzen. Die Figur ist jünger geschrieben, als ich es bin. Wir haben mehrere Anfragen herausgeschickt, holten uns aber nur Absagen, weil sie andere Verpflichtungen hatten. Wir standen unter Druck, und ich wusste, dass der Finanzier mich akzeptieren würde. Also habe ich es gemacht, aber erst nachdem ich Vicky gefragt hatte, ob es okay für sie wäre. Ich habe die Figur dann an mich angepasst. Es war wichtig, dass Holger Olsen ebenfalls ein Ausländer ist. Weil ich mich mit der dänischen Kultur und Geschichte auskenne und selbst auch Dänisch spreche, habe ich ihn zu einem Dänen gemacht.
Es ist offenkundig, dass Vivienne von Ihrer Mutter inspiriert wurde. Gab es denn auch ein Vorbild für Olsen?
Viggo Mortensen: Wenn er Englisch spricht, dann ist das sehr ähnlich, wie mein Vater gesprochen hatte. Oder sein Vater oder sein Bruder. Ich habe im Lauf meines Lebens immer wieder in Dänemark gelebt, in Fabriken oder als Lastwagenfahrer gearbeitet, und habe dabei viele Menschen kennengelernt, die auf Olsen abgefärbt haben.
Wie Ihr Debüt „Falling“ ist auch „The Dead Don’t Hurt“ ein sehr persönlicher Film geworden. Ist Ihnen das wichtig, wenn Sie einen Stoff als Regisseur in Betracht ziehen?
Viggo Mortensen: Es hilft. In erster Linie gefällt mir am Inszenieren, dass man im Mittelpunkt einer kollektiven Arbeit steht. Filmemachen ist ein Teamsport. Für mich ist immer spannend, diesen verschiedenen Teams bei der Arbeit zuzusehen, von ihnen zu lernen. Im Lauf der Jahre hatte ich viele sehr gute Lehrer, Frauen und Männer, allesamt große Regisseure. Ich denke, dass es von Vorteil war, dass ich so lange gewartet habe, bis ich erstmals Regie geführt habe. Bei „Falling“ war ich fast schon sechzig. Ich hatte also viel Zeit, hinzugucken und zu lernen. Wie man einen Dreh vorbereitet. Wie man am effektivsten und respektvollsten mit Crew und Cast kommuniziert. Wie man aus einer Geschichte den bestmöglichen Film macht. Genauso habe ich es natürlich auch erlebt, wie man nicht effizient an einem Film arbeitet, wie man Geld, Zeit und Energie verschwendet. Das vermeide ich. Bisher gelingt es mir ganz gut.
Letzte Frage: Gefällt Ihnen das Regieführen?
Viggo Mortensen: Sehr. Ich will es so bald wie möglich wieder machen!
Das Gespräch führte Thomas Schultze.