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Tina Thiele zum Workshop-Tag CAST ME IN: „Neue Perspektiven und praxisorientierte Methoden“

„Let’s all work together“ ist der Claim von Tina Thieles Initiative CAST ME IN, mit der sie sich für mehr Vielfalt im Film stark macht. Für die diesjährigen Nominierten der First Steps Awards bietet sie einen ganztägigen Workshop zu dem Thema an. Wir haben bei ihr nachgefragt. 

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Tina Thiele (Credit: Anselm Diehl)

Sie laden alle First-Steps-Nominierten zu einem Workshop-Tag ein, der sich dem Thema „Vielfalt im Film“ widmet. Sie setzen sich seit vielen Jahren für dieses Thema ein. Warum?

Tina Thiele: Der Workshop-Tag, den CAST ME IN gemeinsam mit den First Steps Awards veranstaltet, widmet sich dem Thema „Vielfalt im Film“ mit einem intersektionalen Ansatz. Ich glaube fest daran, dass wir das Publikum oft unterschätzen. Im Bereich Menschen mit sichtbarer und unsichtbarer Behinderung sprechen wir immerhin von einem verpassten Markt, der etwa zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht. Es ist essenziell, diesen Markt zu erkennen und anzusprechen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass in diesen Bereich auch investiert werden muss. Ich appelliere an Filmförderungen, hier ihrer Aufgabe nachzukommen und entsprechend zu handeln – insbesondere im Hinblick auf das UN-Behindertenrechtskonventionsgesetz. Ziel ist es, den Teilnehmenden neue Perspektiven und praxisorientierte Methoden für eine inklusive und diverse Filmproduktion zu vermitteln.

Wie ist der Workshop aufgebaut? Welche Aspekte werden im Detail beleuchtet, inwiefern lädt er zum gemeinsamen Austausch ein? 

Tina Thiele: Es gibt fünf parallel stattfindende Workshops, die unterschiedliche Aspekte der Diversität im Film beleuchten: Die Bandbreite der Workshops reicht von „Sensitivity Scripting“ (neue Ansätze denken) und „Poesie der Gebärdensprache“ (Aesthetic of Access Ansätze) über „Körperarbeit“ (praktische Tipps fürs Set) bis hin zu „diskriminierungssensibler Sprache am Set“ und ganz praktischen Tipps zur „Audiodeskription: Wie geht das?“. Das Programm haben ehemalige CAST ME IN Teilnehmer:innen sowie der Vorstand von Vielfalt im Film mit mir im intersektionalen Bereich erarbeitet.

Wer sind Ihre (prominenten) Gäste?

Tina Thiele: Inga Becker, Referentin für Diversität und Inklusion bei der MOIN Filmförderung, eröffnet den Tag mit einem Vortrag über die Bedeutung von Diversität und Inklusion in der Filmproduktion. Dabei stellt sie das Projekt OMNI vor, das neue Wege für eine inklusive Filmförderung aufzeigt. Die Veranstaltung wird von der Schauspielerin Paula Essam moderiert und es werden Gäste wie Jakob Lass, Raúl Krauthausen, Leslie Malton und viele weitere Expert:innen aus den Bereichen Schauspiel, Drehbuch und Filmförderung erwartet. Nach den Workshops haben alle Teilnehmenden die Möglichkeit, sich in einem offenen Netzwerkformat weiter auszutauschen. Auch dieses Jahr freuen wir uns über die Teilnahme renommierter Casting Directors wie Nina Haun, Liza Stutzky, Siegfried Wagner und BVC-Vorstandsvorsitzende Stephanie Maile. Der Bundesverband Casting (BVC) und die Sektion Casting der Deutschen Filmakademie setzen setzt sich seit Jahren als künstlerisches Gewerk aktiv für eine diversere Besetzung ein. Die essenzielle Rolle des Castings in der Filmproduktion wird oft unterschätzt, obwohl es der Branche entscheidend helfen kann, noch offener und inklusiver zu werden. Wir wollen eine Atmosphäre schaffen, in der alle Perspektiven und Lebenswelten willkommen sind. Die Veranstaltung wird von Gebärdensprachdolmetscher:innen sowie Übersetzungen in Leichte Sprache begleitet, um allen Teilnehmenden den Zugang zu ermöglichen. 

Tina Tiehle & CAST ME IN

Bei First Steps sind die Talente von Morgen, die neue Generation der Branche. Inwiefern ist dort ein Thema wie Vielfalt im Film bereits fest verankert? Die Talente haben sicher von sich aus schon eine andere Sichtweise auf diese wichtigen Themen … Was ist Ihr Eindruck?

Tina Thiele: Die jungen Talente, die bei den First Steps Awards vertreten sind, verkörpern von jeher die Zukunft der Filmbranche. In dieser jungen Generation sind Themen wie Vielfalt und Inklusion nicht nur fest verankert, sondern werden als selbstverständlich erachtet. Sie betrachten Diversität nicht als Zusatz oder Ausnahme, sondern als integralen Bestandteil ihrer kreativen Arbeit. Viele von ihnen sind überzeugt, dass Vielfalt sowohl vor als auch hinter der Kamera gefördert werden muss, um authentische Geschichten zu erzählen und die Realität besser widerzuspiegeln.

Inwiefern sind Sie selbst an Filmhochschulen unterwegs?

Tina Thiele: CAST ME IN, das es seit drei Jahren gibt, arbeitet von Beginn an eng mit Filmschulen zusammen und möchte zeigen, dass der Nachwuchs bereits eine ganz andere Haltung zu diesen Themen hat. In NRW gibt es enge Kooperationen mit der Internationalen Filmschule Köln (ifs), und im letzten Jahr waren wir mit unserem Speed-Datingformat an der Hochschule für Fernsehen und Film München (HFF) zu Gast. Diese Zusammenarbeit verdeutlicht, dass die Filmstudierenden und Absolvent:innen als Beispiel bereits jetzt weiterdenken und organisiert sind. Sie fordern, dass Inklusion und Diversität nicht nur in der Praxis, sondern auch in den Lehrplänen der Filmhochschulen fest verankert werden. Junge Filmemacherinnen wie Alison Kuhn und viele andere halten es für selbstverständlich, Inklusion – oder wie wir es gerne nennen „Aesthetic of Access-Ansätze“ – sowohl vor als auch hinter der Kamera zu leben. Das Ergebnis ihrer Arbeit spricht für sich.

Warum ist First Steps ein guter Partner?

Tina Thiele: FIRST STEPS unterstützt diese Haltung und trägt dazu bei, dass junge Filmemacherinnen ihre vielfältigen Perspektiven in die Branche einbringen können. Das Thema Vielfalt ist in der Nachwuchsförderung von zentraler Bedeutung, da die Preisträgerinnen von heute die Filmschaffenden von morgen sind. Indem sie Diversität aktiv vorleben und fordern, schaffen sie die Grundlage für eine Filmindustrie, die offener, inklusiver und gerechter ist. Mit CAST ME IN wird genau dieser Austausch zwischen Nachwuchstalenten und den Entscheidungsträger:innen der Branche gefördert. Es entsteht eine Plattform, auf der diese wichtigen Themen in Workshops und Diskussionen aufgegriffen und weiterentwickelt werden. Das zeigt: Die junge Generation ist nicht nur bereit, sondern drängt aktiv auf Veränderung. 

Werden die Bereiche Inklusion und Schauspiel aus Ihrer Sicht genug an deutschen Filmunis berücksichtigt – ganz allgemein, bei der Herangehensweise an Stoffe/Projekte?

Tina Thiele: An deutschen Filmuniversitäten wird der Bereich Inklusion und Schauspiel zwar zunehmend thematisiert, jedoch bleibt noch viel Potenzial für Verbesserungen. Während es an einigen Hochschulen bereits Ansätze gibt, um Vielfalt und Inklusion in Lehrplänen und Projekten zu integrieren, sind diese Bemühungen häufig nicht ausreichend systematisch oder langfristig angelegt. Ein positives Beispiel sind Aida Begović und Lucca Veyhl, die sich als „Diversity & Inclusion Strategy Managers“ darum bemühen, diskriminierungsfreie Strukturen an den Hochschulen zu schaffen. In dieser Funktion beraten sie die Kolleg:innen als Externe. Allerdings ist ihre Position auf zwei Jahre befristet, eine Stelle, die im vergangenen Jahr von Netflix und der Malisa-Stiftung ausgeschrieben wurde. Für echte, nachhaltige Veränderungen müsste die Politik dauerhafte Rahmenbedingungen schaffen. Hier setze ich große Hoffnungen auf das Zustandekommen eines Diversitätsbeirat der FFA als ein Schritt in die richtige Richtung.

„Die Nachwuchskünstler:innen bringen frischen Wind in die Branche.“

Viele sagen, dass sich in der Branche einiges bewegt, was Inklusion betrifft, aber auch was andere Erzählperspektiven betrifft, Diversität vor wie hinter der Kamera etc. Wo stehen wir Ihrer Meinung nach? Bewegt sich in der Tat etwas? Folgen auf Worte genug Taten?

Tina Thiele: Im Bereich Behinderung erleben wir leider immer noch oft, dass ein Charakter stark über seine Behinderung definiert wird. Es geht dabei vor allem um eine Haltung: Habe ich Lust auf diese Perspektiven, und hole ich mir die entsprechenden Expertinnen an Bord, die diese Perspektiven einbringen und dafür auch fair entlohnt werden? Nicht jede/r Künstler:in möchte die eigene Erfahrung oder Behinderung „erklärbar“ machen, aber der Ansatz sollte sein, Begegnungen auf Augenhöhe zu schaffen. Ein gutes Beispiel ist der Bereich der gehörlosen Künstler:innen. Seit dem Film „Jenseits der Stille“ von Caroline Link vor rund 30 Jahren hat hierzulande die Beschäftigung mit dieser Gruppe weitgehend aufgehört. Das ist sehr bedauerlich, denn es gäbe so viel Potenzial und viele Geschichten, die erzählt werden könnten. Nora Fingscheidts „Systemsprenger“ zeigt, dass es auch anders geht. Was jedoch Hoffnung macht, ist die neue Generation von Nachwuchstalenten, die nicht mehr in den klassischen Behindertenwerkstätten arbeiten, sondern durch starke Unterstützung ihrer Eltern und eigene Initiative neue Wege gehen. Diese Generation hatte auch Anteil an der Umbenennung von „Aktion Sorgenkind“ in „Aktion Mensch“, was ein Symbol für einen positiven Wandel darstellt. Es zeigt, dass die politische und gesellschaftliche Lage zwar herausfordernd bleibt, aber es gibt Bewegung. Diese Nachwuchskünstler:innen bringen frischen Wind in die Branche, und das könnte langfristig zu einer Veränderung führen.

Wie wichtig sind Workshops wie der mit den First-Steps-Nominierten? Die Zusammenarbeit mit Anne Ballschmieter und der Deutschen Filmakademie?

Tina Thiele:
 Workshops wie der mit den First-Steps-Nominierten sind entscheidend, um junge Talente frühzeitig für Inklusion, Diversität und diskriminierungssensibles Arbeiten zu sensibilisieren. In ihrer frühen Karrierephase erhalten sie wertvolle Impulse, die ihre Projekte nachhaltig prägen. Die Zusammenarbeit mit Anne Ballschmieter und Henriette Brinkmann von First Steps war ein Geschenk, geprägt von Lösungen, besonders in Hinblick auf die barrierefreie Gestaltung der Preisverleihung, bei der auch viele Künstler:innen anwesend sein werden. Ich danke auch der Deutschen Filmakademie, die uns die Plattform gibt, um mit aufstrebenden Filmemacher:innen über inklusive Erzählperspektiven ins Gespräch zu kommen.


Wie geht es bei CAST ME IN weiter?


Tina Thiele: CAST ME IN war eigentlich als Trilogie gedacht, um Künstler:innen mit „Different Abilities“ sichtbar zu machen und ihre Talente in den Vordergrund zu stellen. Im ersten Teil, der im Rahmen des Internationalen Filmfestivals Cologne stattfand und in der ifs fortgeführt wurde, haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht und großartige Künstler:innen aus NRW vorgestellt, die abseits des Mainstreams arbeiten. Der zweite Teil in München, an der HFF im Rahmen des Filmfests München, zielte darauf ab, die Vernetzung zwischen jungen Filmschaffenden und der etablierten Branche zu fördern. Mit CAST ME IN Volume III geht es nun vor allem darum, wie die Branche aktiv auf diese Talente und anderen marginalisierten Gruppen zugehen kann. Der Ball liegt bei der Branche: Es ist an der Zeit, Verantwortung zu übernehmen und den Künstler:innen die Türen zu öffnen. Doch der Titel selbst verdeutlicht auch, dass es nach wie vor Menschen gibt, die außen vor bleiben. Daher setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass niemand ausgeschlossen bleibt – ob dies also der Abschluss ist, bleibt abzuwarten. Ich bin nicht besonders gut darin, Gelder zu akquirieren und verwende einen großen Teil des Werbebudgets von Casting-Network. Es fällt mir zudem sehr schwer, das Konzept von Anfang an fest zu definieren, da dies den organischen Ablauf oft hemmt. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei unseren Partner:innen wie Vielfalt im Film, der VHS-Berlin ISFF, der GVL, Preproducer und dem ZFK für die Bereitstellung der Gebärdensprachdolmetscher*innen bedanken die uns u.a. unterstützen.

Was steht bei Ihnen sonst noch an?

Tina Thiele: Im Herbst baue ich auf Casting Network als weiteren kostenlosen Service neben „All-Inklusive“ das „Diversity Network“ auf, eine Referent:innen-Liste zu verschiedenen Diversitätsthemen. Wir arbeiten auch an neuen barrierefreien und inklusiven strukturellen Konzepten fürs Set, inspiriert von Lisette Reuter, die jüngst dazu auch im Bundestag sprach, und ihrem Access Makers Programm. Auch bei „Vielfalt im Film“, wo ich im Vorstand bin, sind strukturelle Veränderungen unser Hauptziel, mit dem Grundsatz: „Nichts über uns ohne uns“.

Die Fragen stellte Barbara Schuster

First Steps Award 2024