Auch auf dem Zurich Film Festival waren die Reaktionen des Publikums auf „September 5“ euphorisch. Wir nutzten die Gelegenheit, um uns mit Regisseur Tim Fehlbaum und Hauptdarsteller Peter Sarsgaard über ihre Zusammenarbeit und die Oscaraussichten des Herbst-Highlights zu unterhalten.
Tim Fehlbaum, Sie sind es gewohnt, mit namhaften Besetzungen zu arbeiten, aber bei „September 5“ ist der Cast hochklassiger denn je. Wie ist Ihnen gelungen, all die großen Namen für Ihren Film versammeln zu können?
Tim Fehlbaum: Tatsächlich glaube ich, dass Peter die Frage besser beantworten kann. Mir war es von Anfang an wichtig, die bestmöglichen Schauspieler für „September 5“ zu bekommen. Also haben wir schon früh unsere Fühler ausgestreckt. Rückblickend kann ich sagen, dass ich mir keinen besseren Cast hätte vorstellen können. Der Film stellte mich in vielerlei Hinsicht vor neue Herausforderungen. Anders als meine beiden Arbeiten davor, bei denen das Visuelle und das Spektakel stärker im Vordergrund standen, kann man ihn als Kammerspiel auf engstem Raum sehen, bei dem die Arbeit der Schauspieler:innen intensiver war und absolut entscheidend ist für das Gelingen des Films. Ich würde vermuten, dass die Qualität des Drehbuchs den Ausschlag dafür gab, dass die Darsteller zusagten, und weniger die zwei Filme, die ich davor gemacht hatte.
Peter Sarsgaard: Und Du! Klar, das Drehbuch war spitze, aber es sind auch viele Dialoge mit vielen technischen Ausdrücken. Das ist schon erst einmal sehr theoretisch, wenn man es liest. Es ist nicht der erste Filmstoff, der sich mit diesem Ereignis auseinandersetzt. Mir gefiel der Ansatz, die Geschichte durch die Augen der Sportjournalisten und Fernsehleute zu erzählen. Den Ausschlag für mich gab aber das Treffen mit Tim. Seine regelrecht obsessive Detailverliebtheit hat mich beeindruckt. Ich finde mich darin wieder, weil das auch mein Arbeitsansatz ist. Das ist vielen nicht bewusst, aber ich bin von Natur versessen darauf, jedes noch so kleine Detail zu bedenken. Ich komme vielleicht nicht so rüber, aber es definiert mein Arbeitsethos.
Tim Fehlbaum: Bei unserem Gespräch habe ich das gleich gemerkt. Peter war ungewöhnlich gut vorbereitet. Er hatte bereits so viel über seine Figur Roone Arledge recherchiert, dass er alles über ihn zu wissen schien. Er hatte auch schon Kontakt mit diversen Leuten aus der Branche aufgenommen, um herauszufinden, wie diese Welt tickt.
Waren Sie, Herr Sarsgaard, mit München schon vor dem Dreh vertraut? Und noch wichtiger: Glauben Sie, dass der Dreh in der Stadt, in dem diese Ereignisse vor 52 Jahren tatsächlich stattgefunden haben, Einfluss auf Sie als Darsteller hatte?
Peter Sarsgaard: Unbedingt. Ich befand mich als Schauspieler in derselben Situation wie meine Figur damals: ein Amerikaner auf Besuch in München. Tatsächlich habe ich mir an einem Tag einen dieser lustigen E-Roller ausgeliehen und bin von der Innenstadt den kompletten Weg zum Olympiastadion und den damaligen Quartieren der Sportler in der Studentenstadt gefahren. Wahrscheinlich war das außerhalb des erlaubten Bewegungsradius, und ich war dann auch definitiv der Einzige, er dort auf einem Roller unterwegs war. Für mich war das stark. Wann immer es mir möglich ist, einen Teil der Realität eines Filmstoffs berühren zu können, mache ich das, weil es meine Darstellung erdet. In diesem Fall war es ein ganzes Arreal, das ich erkunden konnte. Das hilft immer. Ich muss ringen in Filmen, die eigene Welten entstehen lassen. In Tims erstem Film wäre ich verloren gewesen. Gib mir etwas, das echt ist! Ich erinnere mich zurück an „Green Lantern“, den wir fast komplett vor Green-Screen gedreht haben. Ich hatte einen prosthetischen Kopf auf, der einzige Teil meines Gesichts, den ich berühren konnte, war meine Nasenspitze. Das war schwierig. Und ich brauche echt nicht viel. Tim gab uns eine komplette Welt, in der wir uns bewegen konnten. Ich musste nicht mehr viel machen beim Dreh, weil er die ganze Vorarbeit geleistet hatte.
Tim Fehlbaum: Es war schon besonders, dass wir in München gedreht haben. Dass wir wussten, dass sich diese Ereignisse nur ein paar Kilometer von entfernt zugetragen hatten. Wenn wir in Berlin gedreht hätten, wäre es einfach anders gewesen. Aber ganz besonderes Lob gebührt unserem Szenenbildner Julian Wagner und seinem Team, die diese Kulisse so akkurat und präzise wie nur möglich gebaut haben. Es war wirklich, als würde man sich in dem damaligen Studio bewegen.
Sie haben bereits gesagt, Herr Fehlbaum, dass dieser Filme anders ist als Ihre bisherigen Arbeiten. Sahen Sie sich auch als Regisseur anders gefordert?
Tim Fehlbaum: Meine Hauptaufgabe bestand darin, tolle Schauspieler zu finden – so konnte ich mich ganz auf die visuelle Gestaltung konzentrieren. 😊 Aber im Ernst: Es war gar nicht mal die Enge des Raums, sondern dass es sich um eine reale Geschichte handelte. Das bestimmte den Dreh, aber auch die Arbeit im Schneideraum. Man muss mehr Respekt mitbringen. Auch bei der Besetzung ist es so, dass man immer im Hinterkopf haben muss, dass eine reale Person dargestellt werden soll. Da geht man anders ran.
Peter Sarsgaard: Ich habe kein Problem damit, reale Personen zu spielen, solange es sich nicht um berühmte Personen handelt.
Tim Fehlbaum: Klar, Robert Kennedy in „Jackie – Die First Lady“ war keine berühmte Person… 😊
Peter Sarsgaard: Da habe ich mich tatsächlich lange gesträubt. Bei Roone Arledge hatte ich dagegen keine Manschetten. Man konnte viel nachlesen über ihn, er hat selbst über sich geschrieben. Das kurbelt die Vorstellungskraft gut an. Gleichzeitig fühlte ich mich nie eingeengt von seiner Realität. Manchmal denke ich mir, dass ich jemandem am besten gerecht werden kann, wenn ich gar nicht weiß, wie er über dieses oder jenes dachte. Ein bisschen was kann man übernehmen, aber das meiste muss von mir kommen.
Seit der Premiere des Films in Venedig und Telluride überschlagen sich die Ereignisse, Sie werden als heiße Oscarkandidaten gehandelt. Wie erleben Sie diese Tage?
Peter Sarsgaard: Für mich ist das eine sehr binäre Angelegenheit. Die Dreharbeiten liegen schon so lange zurück, ich bin aktuell längst voll und ganz konzentriert auf meinen aktuellen Film, „The Bride“, den meine Frau Maggie Gyllenhaal inszeniert. Wenn ein Film, bei dem ich mitgespielt habe, an den Punkt kommt, an dem sich „September 5“ gerade befindet, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Daumen hoch oder Daumen runter. Da habe ich keinen Einfluss darauf. Der Verleih hängt sich entweder nicht besonders rein und schenkt sich teure Marketingkosten oder er hängt sich rein und unterstützt den Film aus vollen Kräften. Wenn ein Film in den Fokus des Geredes über die Oscars und andere Preise gerät, dann ist das gut, weil es heißt, dass Menschen auf ihn aufmerksam werden und ihn sich ansehen.
Tim Fehlbaum: Ich bin völlig überwältigt von dem, was gerade passiert. An diese Form der Reaktionen hätte ich nie gedacht. Ich habe immer nur mein Augenmerk daraufgelegt, den bestmöglichen Film zu machen. Dann kam Venedig, wo wir ja nur in einer Nebenreihe liefen, und auf einmal kamen alle diese großartigen Besprechungen, die mich in dieser massierten Form doch völlig überrascht haben. Jetzt versuche ich einfach, die Reise zu genießen. Mal sehen, was noch passiert.
Das Gespräch führten Barbara Schuster und Thomas Schultze.