Am Donnerstag startet „Cuckoo“ mit Hunter Schafer und Dan Stevens im Verleih von Weltkino in den deutschen Kinos, ein intensiver, ungewöhnlicher Horrorfilm des deutschen Filmemachers Tilman Singer, den man sich internationaler kaum denken könnte und der in den USA von Neon in die Kinos gebracht wurde (von deutscher Seite an Bord: die Düsseldorfer Fiction Park). Da lohnt es sich, einmal genauer nachzufragen.
Fangen wir doch mit den einfachen Fragen an… Warum Horror?
Tilman Singer: Horror ist etwas, was mich im weitesten Sinne fasziniert, seitdem ich Kind war. Gruselgeschichten, das morbide Interesse, sich mit dem Tod zu befassen und der Endlichkeit auseinanderzusetzen. Ich denke, dass ich da nicht allein bin. Das übt auf viele Menschen eine große Faszination aus. Du kannst viel erzählen mit Horrorelementen. Du kannst mit dem Genre fantastisch spielen. Das Genre ist dehnbar, eine ausgezeichnete Masse, die sich dazu eignet, mit anderen Genres vermischt zu werden. Mit einer gewissen Komik, mit Science-Fiction, mit dem Thriller, mit dem Detektivfilm. Ich weiß auch gar nicht, ob das Horrorgenre strukturell vom Geschichtenerzählen her überhaupt eines ist.
Wie meinen Sie das?
Tilman Singer: Wenn man sich mit dem Tod auseinandersetzt, dann ist das etwas, was uns interessiert, was wir aber nicht gerne tun. Dies jetzt aber in etwas zu verwandeln, was man gerne und bereitwillig tut, das ist die Qualität des Horrorgenres. Es ermöglicht die Identifikation, gibt mir aber die Möglichkeit, auch den nötigen Abstand zu wahren. Es beunruhigt, gibt mir aber gleichzeitig Sicherheit: Wenn es zu viel wird, kann ich wegschauen. Ich spreche nicht gerne darüber, was Symbole, Motive, Metaphern für mich konkret bedeuten, weil ich nicht meine eigenen Arbeiten interpretieren will. Diese fantastischen Bilder, mit denen ich arbeite, sollen ihre eigene Wirkung entfalten. Und jeder kann auf seine Weise damit umgehen. Ich lade zu einer immersiven Erfahrung ein, aber man kann sie als Zuschauer auch jederzeit unterbrechen oder auch abbrechen. Meine Filme sollen keine Mutproben sein oder Ausdauertests.
Eine intensive Erfahrung ist ihr Film allemal, erzählt in einer universalen Sprache, die zunächst in keinster Form nahelegt, dass es sich bei „Cuckoo“ tatsächlich um eine deutsche Produktion handelt.
Tilman Singer: Man könnte sagen, dass ich durchaus eine deutsche Geschichte erzähle, die auch ganz bewusst in Deutschland spielt und auf Motive aus meinem Kulturraum zugreift, allerdings durch die Linse des US-amerikanischen Kinos betrachtet, wie man sich dort eine deutsche Märchenwelt wohl vorstellen mag. Ich bin Deutscher und gewiss auch deutscher Regisseur. Aber als ich auf die Kunsthochschule in Köln besuchte, kam die Hälfte der Student:innen nicht aus Deutschland und sprach auch kein Deutsch. Man sprach Englisch miteinander. Meine Frau kommt aus Kolumbien, wir sprechen Spanisch, Englisch und Deutsch zuhause. Mein Leben ist generell international, ich ziehe keine Trennlinien. Und ich merke auch, wie die Arbeit meiner deutschen Kollegen ebenfalls immer internationaler wird.
„Ich kann sagen, dass ich es absurd mag, dass mir das Absurde liegt und mir entspricht.“
Tilman Singer
Entwickelt haben Sie „Cuckoo“ also in Deutschland von vornherein als internationales Projekt?
Tilman Singer: Mein erster Film, „Luz“, war noch auf der Kunsthochschule entstanden und lief sehr gut auf diversen internationalen Festivals, insbesondere Genrefestivals. Auf diesem Wege habe ich ein Management in Los Angeles bekommen. Der erste Rat meines Managers war es, so schnell wie möglich ein neues Drehbuch zu schreiben. „Cuckoo“ spukte zu diesem Zeitpunkt als Idee bereits in meinem Kopf herum, und ich habe das Drehbuch dann bewusst auf Englisch geschrieben, um international casten zu können. Ich wollte mit Schauspielern aus aller Welt arbeiten. Der Schritt, das Projekt dann auch US-amerikanischen Firmen anzubieten, war naheliegend. So habe ich Waypoint gefunden, Josh Rosenbaum, einer unserer Produzenten. Über Los Angeles haben wir im Anschluss mit der Besetzung des Films begonnen, eigentlich ganz konventionell, wie man ein Filmprojekt nun einmal vorantreibt. Zu dieser Zeit fiel das Drehbuch auch Neon in die Hände, die sofort an Bord kamen und dem Projekt damit natürlich zu einem starken Momentum verholfen haben. Es ist wie immer: viel Glück, die richtigen Leute finden, Bewegung in die Sache bringen.
Das ist Ihnen gelungen. Eine Besetzung mit Namen wie Hunter Schafer, Dan Stevens und Marton Csokas muss man erst einmal hinbekommen, für einen doch sehr ungewöhnlichen Horrorfilm wie den einen ganz besonders.
Tilman Singer: Ich hätte mir keinen besseren Cast wünschen können. Und das meine ich nicht wegen der guten Namen, sondern wegen der guten Schauspieler. Das ist entscheidend. Was nicht heißt, dass ich nicht wertschätzen kann, was für Schätze ich da bekommen habe und mit denen ich arbeiten durfte.
Gleichwohl war es Ihnen wichtig, eine Geschichte zu erzählen, die in Deutschland spielt?
Tilman Singer: Ja, warum eigentlich? Ich denke, das geht darauf zurück, dass ich Dinge in mir trug, die ich umsetzen wollte. Ich hatte diese Geschichte in mir, die zwar in gewisser Weise sehr abstrakt ist, aber davon profitierte, dass sie in einem Kulturraum angesiedelt ist, der mir selbst etwas bedeutet und mit dem ich mich ganz unmittelbar auseinandersetzen konnte. Das war mir wichtig zu diesem Zeitpunkt. Für mich stand immer fest, dass die Geschichte in Deutschland spielen musste. Nicht fest stand, dass wir den Film dann auch in Deutschland drehen würden. Das wäre grundsätzlich auch woanders möglich gewesen.
„Für mich stand immer fest, dass die Geschichte in Deutschland spielen musste. Nicht fest stand, dass wir den Film dann auch in Deutschland drehen würden.“
Tilman Singer
Sie gehen dabei auch in die Vollen, greifen auf zahlreiche Tropen des deutschen Märchens zurück, variieren sie, spielen mit ihnen: der Wald, die Berge, der König, wie Dan Stevens‘ Figur mit Nachnamen heißt, eine Hauptfigur, deren Name Gretchen ist, der Kuckuck – allerdings gebrochen durch eine düstere Absurdität, wie man sie vielleicht von Lynch oder Buñuel kennt.
Tilman Singer: So spukte es bei mir im Kopf herum. Ich versuche, das nicht weiter zu analysieren. Viele Entscheidungen sind spontane Entscheidungen, Bauchentscheidungen. Ich kann sagen, dass ich es absurd mag, dass mir das Absurde liegt und mir entspricht. Wie düster und erschütternd die Erzählung auch werden mag, ist es zumindest mein Eindruck, dass ich stets auch im Schrecken etwas Humorvolles entdecke. Das ist mir wichtig. Das entspricht meinem Blick auf die Welt, macht die Welt für mich auch erträglich.
Daraus ergibt sich ein Kino, das handfest ist, vieles aber auch nur andeutet oder beiläufig zeigt.
Tilman Singer: Für mich ist alles schlüssig, hinter jedem Bild steckt etwas, das mir etwas bedeutet. Gleichzeitig darf man die Motive aber auch nicht überinterpretieren. Vieles ist gewiss nicht so explizit, wie manche Leute sich das vorstellen. Wenn ich es einfach so beschreiben könnte, müsste ich keine Bilder dafür finden. Bilder und Töne zu finden, das ist für mich so etwas wie Forschung, das Herantasten für ein Gefühl, für eine Stimmung. Das muss dann auf eine gewisse Weise präsentiert werden. Es ist ein schmaler Grat zwischen einer Geschichte, die Sinn ergibt, und abstrakten Gefühlswelten. Oder doppelten und dreifachen Böden, unter denen etwas verborgen liegt. Mir ist es wichtig, dass ich eine Geschichte erzähle, der man folgen kann, wenn auch manches mysteriös ist und das eine oder andere auch nicht aufgelöst wird. Dann kann jede Person für sich entscheiden, was sie dabei fühlt, was sie empfindet, was die Bilderfolgen mit ihr anstellen. Jeder kann den Film sehen, den er sehen will. Und der kann sich durchaus von dem unterscheiden, was mir vorgeschwebt war.
Wie hoch war das Budget?
Tilman Singer: Genau kann ich es gar nicht sagen, aber es waren ein paar Millionen, definitiv aber nicht zweistellig. Oder anders gesagt: Es war mir möglich, den Film so zu gestalten, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber natürlich gab es auch Grenzen, natürlich ist es immer ein Kampf. Das haben wir stark gespürt. Wir mussten sehr schnell arbeiten, sehr konzentriert, ohne Leerlauf. Wir waren gefordert. Immer wieder saß ich mit meinem Bildgestalter Paul Faltz zusammen, mit dem ich schon „Luz“ gemacht hatte, und wir haben uns überlegt, wie wir Szenen noch schneller auf den Punkt bringen können, um die Umsetzung zu gewährleisten. Aber hey, es war mein zweiter Film, ich bin kein bekannter Name. Das war also ganz normal. Man muss immer beweglich sein, muss umbauen, manchmal auch neu denken. Das ist anstrengend, aber nicht unbedingt schlecht. Ein Film entsteht immer auch aus dem Moment heraus. Mir gefällt es, die Ideen gegen die Realität antreten zu lassen.
Werden Sie dem eingeschlagenen Weg auch in Zukunft folgen?
Tilman Singer: Ich glaube, ich werde mir treu bleiben, speziell was den Ton betrifft, die Tonalität. Ich will nicht zu viel verraten über den Stoff, an dem ich arbeite. Dafür bin ich auch noch gar nicht weit genug. Es wird wohl etwas weniger ein Horrorfilm sein, aber wenn man sich meine Filme in Reihenfolge ansieht, wird man dann wohl doch klar sehen, dass es eine Arbeit von mir ist, dass sie aus einem Strom kommen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.