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Philipp Hoffmann: „Gutscheine sind Teil unseres Bekenntnisses zum Kinofilm“

Der Rushlake-Media-Geschäftsführer Philipp Hoffmann spricht über den Stand des Streaming-Angebots Kino on Demand und das in Deutschland bislang wenig wahrgenommene Afrikageschäft. Beides wird bei dem jetzigen Kinostart „Goodbye Julia“ verknüpft.

Philipp Hoffmann
Rushlake-Geschäftsführer Philipp Hoffmann (Credit: Rushlake Media/Smilla Dankert)

Wie hat sich für Rushlake Media das Modell Ihres Streamingdienstes Kino on Demand in Deutschland seit dem Start im Jahr 2015 entwickelt?

Philipp Hoffmann: Kino on Demand begann ursprünglich als Service für Kinobetreiber, die über ihre Websites ein handverlesenes und kuratiertes Angebot zusätzlich zum eigenen Kinoprogramm dem lokalen Publikum anbieten konnten. Wir fanden das eine riesige Idee, auch andere stimmten uns zu. Die einzigen, welchen die Idee gar nicht gefiel, waren die Kinobetreiber selbst, die Streaming als den Feind des Kinos ausgemacht hatten. Seitdem haben wir mit dem Dienst einige Häutungen durchgemacht. Der entscheidende Schritt zu unserer heutigen Form passierte 2019 vom Business-to-Business- auf ein Business-to-Consumer-Modell. Seitdem geben wir unseren Nutzerinnen und Nutzern Kinogutscheine in die Hand, die in einem Kino ihrer Wahl eingelöst werden können. Heute ist es so: Wenn ein Kunde bei uns einen Film für 4,99 Euro digital leiht, dass er auch automatisch einen Kinogutschein über fünf Euro erhält. Für jeden fünften weiteren Filmabruf gibt es den nächsten Gutschein.

Erklären Sie gerne kurz, wie Ihr Gutschein-Modell trotz kritisch eingestellter Kinobetreiber funktioniert.    

Philipp Hoffmann: Zu 98 Prozent läuft die Abwicklung unseres Gutschein-Geschäfts über den Partner acardo, mit dem wir jetzt schon lange zusammenarbeiten. Sie sind in Deutschland Marktführer, was Gutscheinsysteme und User-Intensivierungen angeht.

Wie haben sich die allgemeinen Nutzungszahlen bei Kino on Demand über die Jahre entwickelt?

Philipp Hoffmann: Wir hatten sicherlich einen schwierigen Start. Während der Pandemie gab es einen irrsinnigen Boost, der uns weit nach vorne brachte. Danach wurde es wieder etwas weniger. Jetzt befinden wir uns trotzdem auf einem anderen Niveau als vor der Pandemie. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gehen wir insgesamt stark auf die 70.000 registrierte Nutzer zu. Wir haben trotz der Tatsache, dass es bei uns den Einzelabruf von Filmen gibt, viele treue Nutzer. Das sehe ich inzwischen als Vorteil gegenüber dem SVoD-Modell an.   

Aber Sie haben bei Kino on Demand kaum Exklusivtitel, oder?

Philipp Hoffmann: Überwiegend nicht. Es gibt einige Exklusivtitel, die wir in der Regel von einzelnen Filmemachern und Verleihern akquirieren. Ein wesentlicher Teil unseres Geschäfts ist bis heute aber auch der Lizenzhandel an Dritte. Wir haben in dem Fall eine Doppelrolle: als Plattformbetreiber mit einem in einer spezifischen Zielgruppe sehr relevanten Kanal. Zudem gewährleisten wir den Vertrieb auf die gängigen Dritt-Plattformen und können Inhalte auch Partnern wie z.B. Netflix, Pluto TV oder Sooner anbieten. Mit diesem Profil können wir Verleihern wie zum Beispiel jip Film & Verleih oder barnsteiner-film, mit denen wir jüngst exklusive Partnerschaften eingegangen sind, einen idealen Zugang zum Digitalmarkt bieten und die gemeinsame relevante Zielgruppe erreichen.

Wie sieht Ihre Zielgruppe aus?

Philipp Hoffmann: Zwischen der Zielgruppe von Kino on Demand und dem FFA-Studienergebnis zu Arthouse in Deutschland gibt es eine sehr große Schnittmenge. Wir sind relativ alt: 55 Prozent unserer Nutzenden sind älter als 55 Jahre. 60 Prozent unserer Nutzenden sind weiblich. Wir haben vor allem auch Menschen, die für deutsche Verhältnisse häufig ins Kino gehen. 70 Prozent unserer Nutzer gehen mindestens alle drei Monate ins Kino. 30 Prozent unserer Kunden nutzen uns – jenseits von öffentlich-rechtlichen Mediatheken – ausschließlich.

Goodbye Julia
Rushlake Media bringt „Goodbye Julia“ ab dem 15. August ins Kino (Credit: Kino on Demand)

Wissen Sie, wie häufig bei Ihnen Gutscheine erreicht und auch eingelöst werden?   

Philipp Hoffmann: Wir erreichen Einlösequoten der Gutscheine im deutlichen zweistelligen Prozentbereich. Damit liegen wir über dem Durchschnitt anderer „Promogutscheine“. Das hat auch damit zu tun, dass wir unserer Nutzerschaft mit Tipps zur Einlösung und Beiträgen zu aktuellen Kinostarts zu Seite stehen. Die Kinogutscheine sind bei uns nicht nur Verkaufsgimmicks, sondern Teil unseres Bekenntnisses zum Kinofilm, von dem nicht nur unsere Nutzerschaft, sondern auch die Kinos und Verleiher profitieren sollen. Am 15. August starten wir mit „Goodbye Julia“ auch erstmals seit 2019 wieder einen Film unter dem Label Kino on Demand in den deutschen Kinos. Im Zuge dieses Kinostarts testen wir auch ein neues Angebot, das wir gemeinsam mit acardo entwickelt haben: Mit dem KinoPLUS-Ticket können Zuschauer ein Kinoticket bei uns erwerben, dass auch den Abruf eines beliebigen Films nach Wahl (bis 4,99 Euro) auf Kino on Demand beinhaltet. Die Abwicklung auf Kinoseite übernimmt acardo über deren Anbindung an die Kassensysteme. Für die Kinos entsteht keinerlei Nachteil, da diese bei Einlösung den jeweils gültigen Tagespreis für das Ticket erstattet bekommen. KinoPLUS unterstreicht einmal mehr unseren Anspruch, Kino und Streaming durch attraktive Angebote so miteinander zu verknüpfen, dass sich beide Angebote gegenseitig stärken.

Kino on Demand hat Förderinstitutionen mit an Bord. Würde sich ansonsten das Modell allein tragen können?

Philipp Hoffmann: Nein, das muss man ehrlicherweise sagen, auch wenn wir uns auf einem positiven Weg befinden. Wir haben eine Creative-Europe-Förderung. Aber wir wollen kein dauerhaftes Förder-Modell etablieren. Die aktuelle Situation spricht einerseits für einen nicht ganz leichten Markt. Andererseits glaube ich daran, dass wir ein gutes Alleinstellungsmerkmal haben und so eine echte Chance haben. Aber wir sehen seit zehn Jahren, dass es zwischen Kino und Streaming ganz entscheidende Überschneidungen gibt. Unsere Branche krankt daran, dass jeder immer auf den anderen zeigt. Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass niemand mehr an Wachstum glaubt, weil es nur noch Verteilungskämpfe gibt. Ich bin dafür, das Produkt Kinofilm ganzheitlich zu betrachten und in der Darreichungsform auch Streaming mitzudenken.

The Legend of the Vagabond Queen of Lagos
Sicherte sich Rushlake in der Akquirierung noch vor der Premiere beim TIFF: „The Legend of the Vagabond Queen of Lagos“ (Credit: Leo Purman, Okechukwu Samuel, Jonah West)

Ihre Rushlake Media hat aber noch ein zweites Standbein. Es gibt ein Büro in Nairobi, über das sie Lizenzgeschäfte mit afrikanischen Produzentinnen und Produzenten machen. Diese Filme wiederum bieten Sie dann hauptsächlich auf dem britischen und US-amerikanischen Markt an.

Philipp Hoffmann: Das Büro in Nairobi managt überwiegend das Afrikageschäft mit Akquise, Sales, Marketing und Operations. Dass es das gibt, hat mit der unabhängigen Produktionsfirma One Fine Days zu tun, aus der die NGO Some Fine Day Pix hervorging. Wir arbeiteten im Jahr 2012 mal mit den Verantwortlichen bei einem Filmprojekt zusammen, der sich als erfolgreichster kenianischer Film aller Zeiten in In- und Ausland entpuppte. Das war unsere Initialzündung. In diesem Bereich haben wir uns dann klar auf afrikanische Filme fokussiert. Der ursprüngliche Ansatz war ähnlich wie der eines klassischen Weltvertriebs. Wir machten pro Jahr eine Handvoll Filmprojekte, die wir verkauften. Das hat sich jetzt zu einem etwas höher skalierten Geschäft entwickelt, bei dem wir deutlich mehr Volumen bewältigen. In unserer Library haben wir gut 400 Programmstunden an exklusiven Inhalten und wachsen auch ziemlich stark. Inzwischen haben wir unter der Marke TidPix einen eigenen FAST-Channel in den USA. Wir lizenzieren dort auch viel an AVoD-Plattformen. Das Geschäft hat eine deutliche Dynamik angenommen.

Was heißt „eine deutliche Dynamik“ in konkreteren Zahlen ausgedrückt?  

Philipp Hoffmann: Von 2022 auf 2023 haben wir unseren Umsatz in diesem Segment in einem Jahr annährend verdreifacht.

Das Interview führte Michael Müller