Heute startet bei Netflix der köstliche Knetmasse-Animationsfilm „Wallace & Gromit: Vergeltung mit Flügeln“. Ein idealer Anlass bei den Aardman-Künstlern Nick Park und Merlin Crossingham nachzufragen, wie es ist, mehr als 30 kreative Jahre mit Wallace & Gromit zu verbringen und wie es um Aardman Animations Ltd. steht.
Gratulation zu Ihrem neuesten „Wallace & Gromit“-Film, der britischste Film, den wir Deutsche uns vorstellen können.
Nick Park: Weil wir einen Dokumentarfilm gemacht haben!
Es ist der erste Kinofilm mit Wallace und Gromit seit knapp 20 Jahren. Wir fühlte es sich an, wieder einen Film mit den beiden Figuren zu machen, mit denen Ihr Studio am stärksten identifiziert wird?
Nick Park: Wir haben Wallace & Gromit nie aus den Augen verloren. Im Gegenteil. Wir haben immer das eine oder andere mit ihnen gemacht. Merlin hat sich immer um sie gekümmert, erst vor zwei Jahren gab es ein eigenes Videogame, „The Grand Getaway“. Aber natürlich ist ein abendfüllender Film etwas Besonderes, das ist unverändert die oberste Liga. Wir freuen uns immer, wenn wir etwas mit Wallace & Gromit machen können. Es wird nie langweilig mit ihnen. Die Comedy entsteht bei ihnen wie von selbst, aus ihnen heraus. Es ist für uns, als hätten wir das Privileg, bei einer echten Beziehung zusehen zu dürfen, die sich immer wieder in neue Richtungen entwickelt, ohne dass sich die Figuren grundsätzlich verändern würden.
Merlin Crossingham: Sie sind wie alte Freunde. Und für Nick wahrscheinlich noch mehr. Da sind sie wie Familienmitglieder. Wie bei guten Freunden freut man sich immer, wenn sie wieder trifft. Und es dauert auch nicht lang, bis man wieder den richtigen Groove findet.
Ist es schwierig, nach so vielen Jahren genug Ideen für einen neuen Film mit Wallace & Gromit zu finden?
Nick Park: Schwierig ist es nicht. So kann man es nicht bezeichnen. Wie bei allen guten Ideen für Filme muss man intensiv an ihnen arbeiten, an ihnen feilen. Und das kann dann auch einmal schwierig sein, vermute ich. Und man muss Geduld mitbringen, die eine große, die zündende Idee kann man nicht erarbeiten. Die muss einfach kommen. Die muss da sein, dass man zu sich sagen kann: Dieser Film will gemacht werden. Dieser Stoff verdient es, dass man all die viele Zeit, von dem vielen Geld gar nicht zu reden, in die Sache steckt.
Das war bei „Vergeltung mit Flügeln“ gegeben?
Nick Park: Ursprünglich hatten wir den Stoff als halbstündigen Kurzfilm gesehen, in dem Wallace einen Smartgnome erfindet. Im Grunde also die Sequenz im Garten und die Folgen. Da haben wir tatsächlich über Jahre hinweg daran herumgedoktert. Irgendwie fanden wir erst nicht den richtigen Dreh. Dann hatte jemand bei uns im Haus die Idee, es müsste einen Bösewicht im Hintergrund geben, der die Strippen zieht. Jetzt erscheint es einem offensichtlich. Aber in dem Moment, in dem wir den Pinguin Feathers McGraw wieder ins Spiel brachten, kam Bewegung in die Sache. Und aus einem Kurzfilm wurde ein neuer Spielfilm.
Sie haben es bereits angesprochen, aber würden Sie sagen, dass sich Wallace & Gromit im Lauf der Jahre verändert haben?
Nick Park: Äußerlich vielleicht ein bisschen, von Film zu Film.
Merlin Crossingham: Aber Herz und Seele sind immer gleichgeblieben, findest du nicht auch?
Nick Park: Ich gebe dir Recht. Wenn wir an Stellschrauben gedreht haben, dann hatte es eher mit ihrer Welt als mit ihnen zu tun. Die Welt ist immer ein bisschen größer geworden.
Merlin Crossingham: In dem neuen Film haben wir ein größeres Augenmerk auf ihre Beziehung gelegt. Emotional gehen wir weiter, als es in den Filmen davor der Fall war. Auf eine sehr britische Weise, wohlgemerkt.
Nick Park: Es ist das erste Mal, dass Wallace eine emotionale Wandlung durchmacht. Der Witz war ja bisher, dass er nie etwas dazulernt. Es ist auch nicht so, dass er eine besonders große Veränderung durchläuft. Wallace ist Wallace und bleibt Wallace. Aber immerhin realisiert er, wie sehr er seinen Hund schätzt. Das war wichtig für die Handlung. Zu so viel Selbstreflexion war er bisher nicht fähig. Woraus sich stets auch die Comedy gespeist hat: Sein Hand ist viel klüger und bewusster als er.
In welcher Weise unterscheiden sich Wallace & Gromit von den anderen Vorzeigemarken und -figuren von Aardman, als „Shaun das Schaf“ und „Chicken Run“?
Nick Park: Sie müssen in ihren eigenen Universen mit ihren eigenen Geschichten funktionieren. „Wallace & Gromit“ ist eine ganz eigene Welt, die stets auf sich selbst verweist, weil es im Grunde ausschließlich um ihre ganz besondere Beziehung geht, der Hund und sein Herrchen. Die Dynamik ist sehr eigen. Wir stellen sie uns oft als altes Ehepaar vor, das sich in- und auswendig kennt und voll und ganz auf den Rhythmus des Anderen eingestellt hat. Ob sie Gromit in dieser Konstellation als Ehemann oder Ehefrau ansehen wollen, überlasse ich Ihnen. Er findet es jedenfalls als ausgesprochen kompliziert, mit seinem Lebensgefährten zu leben. Das ist der eigentliche Ausgangspunkt: Gromit ist hin- und hergerissen zwischen seiner konstanten Frustration und seiner aufrichtigen Zuneigung, die er zu keinem Zeitpunkt in Zweifel zieht.
Merlin Crossingham: Das Besondere an diesen drei separaten Erzählwelten ist, dass sie auf dieselben Filmemacher zurückgehen, auf uns bei Aardman. So unterschiedlich sie in ihren Details auch sein mögen, eint sie, dass sie unverhohlen britisch sind. Das meine ich nicht in einem patriotischen Sinn, sondern in einer rein beobachtenden Weise. Man hört oft, dass die besten Filme entstehen, wenn man von den Dingen erzählt, die man selbst am besten kennt. Was man in unseren Filmen sieht, ist das Leben, das wir führen und entsprechend am besten kennen. „Wallace & Gromit“, „Chicken Run“ und „Shaun das Schaf“ leben in sehr unterschiedlichen Welten, und das ist auch gut so. Sie müssen einzigartig sein, etwas Besonderes. Aber der Klebstoff, der sie zusammenhält, ist unser Bestreben, sie nicht von äußeren Einflüssen verwässern zu lassen. Der Humor ist hundertprozentig britisch.
Die Filme verweisen aber auch auf die Großen der Komödie: Chaplin, Keaton, Lloyd, Laurel & Hardy, Tati. Und in gleichem Maße auf die berühmten Ealing-Comedies.
Nick Park: Alles korrekt. Überhaupt stecken die Filme voller unterschiedlichster Verweise. „Vergeltung mit Flügeln“ hat viel von Hitchcock, unterschiedlichste Filme von ihm. Und dann noch ganz explizit „Kap der Angst“ wie auch „Matrix“. Den Rest müssen sie selbst entdecken.
Aardman schreibt seit 40 Jahren Filmgeschichte, wenn man zurückgeht bis zu Ihrem Videoclip zu „Sledgehammer“ von Peter Gabriel. Gibt es etwas, worauf Sie besonders stolz sind?
Nick Park: Dass es uns immer noch gibt. Dass wir immer noch Filme machen. Dass wir immer noch genügend Ideen haben. Dass wir uns unsere Identität bewahrt haben, unsere Originalität und Inspiration. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich zurückblicke, mit wie vielen tollen Künstlern wir gearbeitet haben, wie viele Produktionen wir gestemmt haben. Aber noch erstaunter bin ich, wenn ich mir Aardman heute ansehe, diese Vielfalt, diese Bandbreite, so viele sehr unterschiedliche Menschen, die das Studio mit Leben füllen. Wir sind ein kreatives Powerhouse im wahrsten Sinne des Wortes. Ich fühle mich sehr privilegiert.
Merlin Crossingham: Es gab nicht nur Höhen: Vor rund einem Jahrzehnt sah es einmal nicht so gut aus für Aardman. Aber warum sollte es Aardman nicht auch so gehen wie anderen Firmen auch im Filmgeschäft. Es geht immer auf und ab. Wir haben aber immer an das Studio geglaubt, auch wenn wir zwischenzeitlich die Zähne zusammenbeißen mussten. Es ist unser Lebensinhalt. Da kann man oft nur hoffen. Und darauf vertrauen, dass es weitergehen wird, wenn man gute Filme macht. Zum Glück muss ich mich nicht um die Geschäftsentscheidungen kümmern. Das macht der Vorstand.
Nick Park: Wir werden uns wohl nie einer Situation befinden, an dem wir steinreich werden könnten mit dem, was wir machen. Wenn wir Geld verdienen, fließt es sofort wieder zurück ins Studio.
Merlin Crossingham: Als Peter Lord und David Sproxton, die Gründer des Studios, vor einigen Jahren die Entscheidung trafen, sich zurückzuziehen, haben sie Aardman nicht an einen Interessenten verkauft, sondern gaben es in die Hände der Angestellten. Das ist außergewöhnlich, speziell innerhalb der Medienindustrie. Das war ihnen wichtiger als sich die Taschen zu füllen, auch wenn sie oft die Gelegenheit dazu gehabt hätten, mit einem größeren Konzern zu fusionieren. Das haben sie nicht gemacht. Und das sagt eigentlich alles darüber aus, was es bedeutet, für Aardman Animations Ltd. zu arbeiten.
Nick Park: Wir streben nicht an, von einem großen Medienkonglomerat geschluckt zu werden. Wir wollen einfach nur mit dem weitermachen, was wir immer schon getan haben. Wir wollen unsere Filme machen. Und unsere Mitarbeiter sollen ihre Familien ernähren können. Aktuell funktioniert das ganz gut. Klopfen wir also auf Holz!
Das Gespräch führte Thomas Schultze.