Im kommenden Jahr wird die Kölner Zeitsprung Pictures 40 Jahre alt. Dabei ist sie gerade dabei, sich mit zunehmender internationaler Vernetzung neu zu erfinden und doch immer treu zu bleiben. Im Rahmen unseres NRW-Schwerpunkts rund um das FFCGN sprachen wir mit den Zeitsprung-Chefs Michael Souvignier und Till Derenbach über einen bemerkenswerten Lauf.
Wie wichtig ist die internationale Vernetzung für Zeitsprung Pictures?
Till Derenbach: Außerordentlich wichtig! Das ist das Narrativ der Zukunft! Schrumpfende Märkte, schrumpfende Budgets in nationalen Märkten führen dazu, dass Grenzen eingerissen werden, und man versucht zu kooperieren. Oder man hat sich bereits ein Netzwerk aufgebaut in den letzten Jahren, in dem man sehr zielgerichtet und konkret arbeiten kann, um vernünftig zu kooperieren, zu koproduzieren und gemeinsam herausragende Projekte an den Start zu bringen. Schon vor zehn Jahren haben wir gespürt, dass es so kommen wird. Die Tendenzen waren da. Wir haben intensiv daran gearbeitet, diesen Weg mit unseren Freunden, Kollegen, Partnern im Ausland auch gehen zu können. Es ist immer grundsätzlich die Zeitsprung-Strategie gewesen, familiär und vertrauensvoll zu arbeiten. Wenn man das bei der Arbeit in Deutschland mit Crews, Schauspielern und Regisseuren macht, kann man das auch international so denken. Und das setzen wir in den letzten zehn Jahren konsequent um.
Michael Souvignier: Wenn man eine Serie wie „SOKO“ macht, gibt es kaum Gründe, international denken zu müssen. Es ist eine Auftragsproduktion, der Sender gibt einem das Geld, man dreht in Deutschland, fertig. Wir haben aber viele Produktionen gemacht, die historisch sind, entsprechend aufwändig sind, Kulissen brauchen, die man bisweilen gar nicht findet in Deutschland. Deshalb sind wir seit vielen Jahren rein drehtechnisch im Ausland unterwegs, in Polen, Litauen, Ungarn, Belgien. Gerade in Belgien immer wieder. Weil man dort eine andere Filmförderpolitik hat, die für unsere Projekte interessant ist. Auf diese Weise erwachsen auch Kontakte, auf die man aufbauen und zugreifen kann. Bei Zeitsprung haben wir immer schon Stoffe gehabt, die internationalen Appeal haben. Sie haben einen deutschen Bezug, reichen aber weit über Deutschland hinaus. Das wollen wir in der internationalen Koproduktion mit unseren Partnern verstärken, in einer Zeit, in der das Geld für Produktionen in unserem Land nicht mehr wird und auch die Situation auf politischer Ebene nicht einfacher erscheint.
Verändert diese verstärkte internationale Ausrichtung Zeitsprung als Produktionsfirma?
Till Derenbach: Aus meiner Perspektive überhaupt nicht. Sie bereichert uns! Es ist ein großer kultureller Austausch mit Menschen, die komplett anders denken und empfinden, die anders über Geschichten und Erzählstrukturen nachdenken. In Italien denkt man kulturell anders über Dramaturgie und Struktur, als man es in Deutschland macht. Für Frankreich und andere Länder gilt das ebenso. Es bedarf einer gewissen Anstrengung, die kulturellen Differenzen zu überwinden, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Aber es ist machbar und ist bereichernd, wenn man offen ist und auf die Leute zugeht, Interesse für die anderen Denkweisen und Kulturen mitbringt. Sich kulturell zu umarmen, das kann große Freude schenken. Das entspricht meiner und Michaels Lebenseinstellung und liegt in unserer Natur. Es verändert Zeitsprung nicht, es macht Zeitsprung reicher und spannender.
Michael Souvignier: Dieser neue internationale Blick kommt gewiss auch durch die Streamer. Man hat es mit Ansprechpartnern zu tun, die sich das regionale Produkt ansehen, das dann aber auch im Ausland funktionieren soll. Uns kommt das entgegen. So haben wir unsere Themen von jeher ausgewählt. Unser Blick ist immer schon sehr offen gewesen. Sehen sie sich unsere Verkäufe ins Ausland an: „Einstein“ wurde als Serie in 110 Länder verkauft! Weil das Thema so universell ist, Einstein auf der ganzen Welt ein Begriff ist. Wir haben einen International Emmy gewonnen für „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“, für Anna Schudt in ihrer Rolle als Gaby Köster, weil die Geschichte einfach sehr zugänglich und auch außerhalb Deutschlands nachvollziehbar: Es könnte jeden betreffen.
Gehen die internationalen Projekte immer von Ihnen aus, oder ist es auch so, dass Sie von internationaler Seite angesprochen werden, als Koproduktionspartner an Bord zu kommen?
Tlll Derenbach: So hat es angefangen, so haben wir unser Netzwerk aufgebaut. Wir haben in ganz Europa gedreht. Und wenn ich ganz Europa sage, dann meine ich auch ganz Europa. Wir kennen die Landschaft durch und durch. Bestenfalls Albanien würde mir einfallen als Beispiel, wo wir noch nicht waren. So hat es vor zehn Jahren angefangen: Wir haben unsere Produkte in die Welt getragen. Manchmal war es naheliegend, weil die Geschichte tatsächlich dort angesiedelt war. Manchmal war es produktionsbedingt, weil sich die Geschichte in dem entsprechenden Land besser umsetzen ließ. Wenn man die Motive bei uns nicht findet, dann vielleicht woanders – und das nötige Geld gleich mit dazu. Heute werden wir immer öfters angefragt, ob wir mit an Bord kommen wollen, auch als kleinerer Koproduzent. Oder uns werden Stoffe angeboten, weil unsere Partner den Eindruck haben, wir seien dafür prädestiniert. So kommt man zusammen, lernt sich kennen und arbeitet miteinander.
Michael Souvignier: Es geht jetzt in beide Richtungen. Das spricht offensichtlich für die Zeitsprung-Qualität, die sich mittlerweile in Europa herumgesprochen hat. Die internationalen Stoffe waren für uns früher schwieriger zu finanzieren als heute. Wir nehmen das als Bestätigung. Wir stehen für Qualität. Wir können mit Geld umgehen. Und wir sind hartnäckig. An „Lieber Thomas“ haben wir elf Jahre gearbeitet. Wenn wir nicht wirklich daran geglaubt hätten, hätten wir die Flinte unterwegs ins Korn geworfen. Das Geld wurde immer weniger und unsere Entschlossenheit immer größer. Wir haben’s gemacht und mit dem Film neun Lolas gewonnen. Aufgeben gilt nicht!
Gibt es feste Produktionspartner im Ausland, mit denen Sie immer wieder arbeiten?
Till Derenbach: Unsere Projekte sind zu breit gefächert dafür. Unsere Stoffe sind sehr vielfältig, unterschiedlich. Da benötigt man die passgenauen Partner. Es gibt kein one size fits all. Wir machen „Kleo“, wir machen „Oktoberfest“, aktuell realisieren wir in Ungarn einen großen Mainstream Kinofilm, für den wir eine herausragende neue Finanzierungsstruktur mit unseren Partnern gefunden haben. Ein Arthouse-Projekt wie „Lieber Thomas“ beansprucht einfach andere Muskeln als „als der epische mainstreamige Kinofilm, da muss man entsprechend andere Partner finden. „Kleo“ könnte man nicht mit einem französischen Sender wie Canal+ machen, oder wenn nur ganz anders . Wieder anders ist es, wenn man Kino mit Rai Cinema aufsetzt. Deshalb wollen wir uns nicht festlegen. Unser inhaltlicher Variantenreichtum erfordert einen ähnlichen Variantenreichtum bei der Partnerwahl.
Finden Sie als in NRW ansässige Produktionsfirma vor Ort die nötigen Instrumente und Werkzeuge, die Sie die Internationalisierung von Zeitsprung umsetzen lassen?
Michael Souvignier: Als die Mauer fiel, habe ich mit dem Gedanken gespielt, mit der Firma auch nach Berlin zu ziehen. Alle Kreativen zog es nach Berlin. Das hat sich bis heute gehalten, insbesondere bei Filmschaffenden aus dem Ausland, die nach Deutschland kommen. Aber ich bin froh, dass wir in Köln geblieben sind. Wir fühlen uns hier superwohl. Von der Film- und Medienstiftung NRW fühlen wir uns bestens unterstützt. Wir sind hier viel zu bescheiden. Anderswo wird da lauter getönt. Dabei können wir uns glücklich schätzen in NRW. Die Möglichkeiten sind beachtlich, und mit MMC haben wir ein herausragendes Studio mit der größten Halle in Deutschland. Ich als Essener, der in den Achtzigerjahren nach Köln gezogen ist, als die Stadt als sexy und begehrenswert galt, fühle mich unverändert wohl hier.
Till Derenbach: Wir könnten ein paar bessere Hotel und ein paar bessere Restaurants haben. Wir könnten ein paar Baustellen weniger haben. Wir müssten mehr Strahlkraft erzeugen. Daran arbeiten Michael und ich schon länger. Und wir spüren auch, dass genau das auch Walid Nakschbandi ein Anliegen ist. Er drängt auf größere Internationalität, um den Standort stärker strahlen zu lassen. Er will, dass sich herumspricht, was für eine großartige Region für Film- und Fernsehschaffende das Land NRW ist. Dass mehr internationale Projekte zu uns kommen, die hier alles vorfinden, was man benötigt, um hohe Qualität herzustellen. Es werden intensive Gespräche geführt, wie man das optimal ineinandergreifen lassen kann. Ansonsten kann ich nur sagen: Es ist eine gute, gelassene Stadt, wo sich Menschen, die aus dem Ausland herkommen, sofort wohlfühlen, weil der Kölner und die Kölnerin sehr warmherzige Menschen sind, die auf andere mit offenen Armen zugehen.
Gerade in den letzten Jahren hat man den Eindruck, dass Zeitsprung noch einmal zugelegt hat, mit aktuell einem Vorzeigeprojekt nach dem anderen. Wie wollen Sie gewährleisten, dass das Momentum anhält?
Michael Souvignier: Wir haben eine besondere Kompetenz in historischen Stoffen. Da kennen wir uns wirklich aus, da sind Till und ich ein Hammerteam. Im Entdecken der Stoffe, im Sichern der Rechte, in der Entwicklung und Umsetzung. Leider stellen wir fest, dass dafür, was früher einmal die Königsklasse war, was jeder haben wollte, heute die Nachfrage in Deutschland gegen Null geht. Weder bei den Streamern noch bei den Sendern kann man landen. Historische Stoffe sind einfach teuer. Aber – und jetzt kommt das entscheidende Aber! – die Internationalität, von der wir hier sprechen, kann das heilen, ausgleichen. Weil heute alle weniger ausgeben, ist es so, dass die verschiedenen Player anfangen müssen, miteinander zu kooperieren. Wir erleben das bei „Der Medicus 2“. Und natürlich kriegen wir mit, dass die Streamer jetzt mit den öffentlich-rechtlichen Sendern sprechen. Wenn man dann im weiteren Ausland noch Presales abschließen kann oder wie es das ZDF bei „Der Schwarm“ gemacht hat, dann kann man auch heute wieder große historische, aufwendige Stoffe umsetzen. Ich sehe uns auf einem guten Weg.
Till Derenbach: „Führer und Verführer“ hat sich in über 20 Länder verkauft, läuft in Schweden, Dänemark, Holland , läuft bald in Spanien, den USA, kommt nächstes Jahr in Frankreich raus. Wir haben gerade in Stuttgart Premiere gefeiert mit „John Cranko“, unsere dritte Zusammenarbeit mit Joachim Lang, ein, wie ich finde, universalemotionaler ergreifender Film mit Sam Riley in der Hauptrolle. Auch dieser Film sollte seinen Weg in die Welt gehen und ist dann wieder eine besondere Farbe bei Zeitsprung. Aktuell läuft bei Netflix die zweite Staffel von „Kleo“, ebenfalls weltweit mit großer Begeisterung angenommen. Seit 2. Oktober läuft bei RTL+ „Ich bin Dagobert“, der bei Nitro in einer Binge-Nacht befeuert wird. Wir kommen im nächsten Jahr mit der zweiten Staffel von „Oktoberfest“ für die ARD, so dass wir einen großen Erzählbogen über zehn Folgen anbieten können. Wir stecken in der Produktion von einem großen Kinofilm, der am 25. Dezember 2025 in die Kinos kommt. Wir arbeiten mit englischen Partnern intensiv an einem sehr großen Kinoprojekt über Gottfried von Cramm, das den Titel „Posterboy“ trägt. Es laufen Gespräche mit einem sehr namhaften britischen Regisseur. Und das ist nur das, was aktuell und in der nahen Zukunft bei uns umgesetzt wurde und wird. Darum geht’s! Die Vielfalt macht die Firma Zeitsprung aus. Wir bringen zu zweit enorm viel Wissen mit und haben ein inspirierendes Team, mit dem wir unsere Ideen erfolgreich umsetzen. Damit stehen wir jetzt an der Rampe, die nächsten zehn Jahre zu gestalten und das ist und bleibt eine freudige Herausforderung.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.