Lukas Miko, frisch gekürter Großer Schauspiel-Preisträger der Diagonale, über die österreichische Filmkultur, seine Karriere und einen neuen Kinostoff, den er schreibt.
2021 haben Sie auf der Diagonale den Schauspielpreis für „Me, We” von David Clay Diaz erhalten, heuer folgte die Steigerung mit dem Großen Schauspielpreis. Freut Sie das?
Lukas Miko: Es freut mich, wie man in Österreich sagt, wahnsinnig. Weil dieser Preis nicht nur eine Rolle in den Blick nimmt, sondern einen langen Weg. Und weil mein Weg auch Durststrecken hatte, Momente der Arbeitslosigkeit, Momente, in denen ich dachte, ich bin vergessen, man braucht mich nicht mehr. Dieser Preis sagt: Wir haben deinen Weg sehr wohl wahrgenommen und wertschätzen ihn! Das ist ein schönes Gefühl.
Der Preis ist für „außerordentliche Verdienste um die österreichische Filmkultur“. Was zeichnet in Ihren Augen die österreichische Filmkultur aus?
Lukas Miko: Dieses kleine Land zeichnet sich im Kulturbereich durch eine ungeheure Diversität aus. Es gibt viele verschiedene Erzählformen, verschiedene Stimmen. Interessant ist, dass die konservativen bis rechtsextremen, oder erzkatholischen Kräfte, die es auch in diesem Land gibt, stets besondere Künstlerinnen und Künstler hervorgebracht haben. Ich denke an Persönlichkeiten wie Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Michael Haneke oder Ulrich Seidl, die sich an den österreichischen Abgründen und Widersprüchlichkeiten abarbeiten. Diese Stimmen brauchen wie wir einen Bissen Brot.
In „Persona Non Grata“ von Antonin Svoboda; der Film lief im Spielfilmwettbewerb der Diagonale 2024 (Credit: coop99)
Ihre Karriere begann am Theater. Sie gehörten zu Ensembles bedeutender Bühnen. Warum haben Sie sich von den Brettern, die die Welt bedeuten, wie man so schön sagt, verabschiedet und sind gänzlich zum Film umgeschwenkt?
Lukas Miko: Ich bin mit großer Liebe zum Theater gestartet und hatte das Glück, noch vor der Schauspielausbildung, mit George Tabori arbeiten zu dürfen. Das hat mir eine ungeheure Lust gemacht aufs Theater. Diese Lust haben mir dann die großen Stadttheater ausgetrieben. Ich wollte all das Hierarchische und die Neurosen nicht jeden Tag erleben. Ich wollte mein Leben nicht über ein einzelnes Theater definieren, sondern die Welt weiterdenken. Ich habe gemerkt, dass ich mich in diesem Biotop, das so wenig Biotop war, nicht wohlfühle als Mensch. Und um mit Tabori zu sprechen: Mich haben die Katakomben einfach mehr interessiert als die Kathedralen. Ich habe auch niemanden mehr wie Tabori gefunden bzw. bin von ihm oder ihr gefunden worden. Somit bin ich zu meiner großen Liebe, dem Kino, gewechselt, nicht zuletzt auch deshalb, weil ich Familie, eine Frau und zwei Kinder, habe und diese nicht nur nebenbei, sondern sehr bewusst und intensiv lebe. Natürlich blicke ich auch mit ein bisschen Wehmut auf meine Theaterzeit zurück. Die Hoffnung, dass da irgendwann mal wieder was kommt, habe ich nicht aufgegeben. Aber es braucht die richtigen Menschen und das richtige Projekt dafür. Ich bin offen.
„Mich interessiert die Langzeitwirkung von Filmen.“
Lukas Miko
Sie arbeiteten und arbeiten mit renommierten Filmschaffenden wie Michael Haneke, Markus Schleinzer, Adrian Goiginger oder Barbara Albert zusammen. Welche Basis muss gegeben sein, damit Sie ein Projekt anspricht?
Lukas Miko: Die Zusammenarbeit mit der Regisseurin oder dem Regisseur muss auf Augenhöhe stattfinden. Und es muss ein gegenseitiges Interesse geben am Standpunkt des jeweils anderen, das Interesse, dass man in der Zusammenarbeit auf etwas Drittes kommt, das reicher ist als die eigene Vision. Wenn es dieses Interesse gibt, entsteht unheimlich viel. Ich mag auch, wenn Regisseur:innen intensiv proben vor dem Dreh, weil man da Szenen weiterentwickeln und sogar neue Szenen schaffen kann und auf Lösungen kommt, die man während des Drehs aufgrund des Zeitdrucks gar nicht finden kann. Prinzipiell mag ich auch die sogenannten „Schwierigen“ unter den Filmschaffenden, die sich nicht in ein System pressen lassen, unangenehme Fragen stellen und nicht so gefallsüchtig sind.
Bei der Preisvergabe in Graz galt Ihr Dank vor allem den Drehbuchautor:innen, die die Geschichten erst ermöglichen, die Sie als Schauspieler dann zu Leben erwecken dürfen.
Lukas Miko: Natürlich! Ohne Drehbuch kein Film. Bei meiner Rollenauswahl entscheide ich sehr stark nach dem Drehbuch, ob es eine gesellschaftliche Relevanz hat, ob es den Menschen in seiner Widersprüchlichkeit zeigt und ob es nachhaltig Fragen verhandelt ohne einfache Lösungen zu geben, die Fragen so verhandelt, dass sie unter die Haut gehen und ins Hirn. Mich interessiert die Langzeitwirkung von Filmen.
Spotlight:
Lukas Miko
geboren 1971 in Wien, studierte Schauspiel am Max-Reinhardt-Seminar sowie am Conservatoire de Paris. Seine Karriere begann er am Theater, gehörte zu renommierten Bühnen wie dem Burgtheater oder Residenztheater München. Heute steht er fast ausschließlich vor der Kamera, dreht hauptsächlich fürs Kino. Er arbeitete mit bekannten Filmschaffenden wie Michael Haneke, Barbara Albert, Markus Schleinzer oder Adrian Goiginger. Auch hinter der Kamera ist Miko kreativ, schreibt Drehbücher und inszeniert. Sein erster Kurzfilm, „Das gefrorene Meer“, gewann 2007 den Deutschen Kurzfilmpreis.
Hin und wieder unternehmen Sie auch Ausflüge in die TV/Serienwelt. Ihre Rolle eines Sektenführers in „Der Pass“ ist mir sehr im Gedächtnis geblieben. Sind Ihre Auswahlkriterien ähnlich wie beim Kino?
Lukas Miko: Durchaus. Die Geschichte muss etwas verhandeln. Beim „Pass“ haben mich die männlichen Narzissten interessiert. Das waren sehr unterschiedliche Narzissten, ob es ein Politiker war oder mein Sektenführer oder auch der Kommissar. Die ungeheure Destruktivität von männlichem Narzissmus und warum er erstaunlich viele Menschen immer wieder verführt, zu untersuchen, hat mich neugierig gemacht. Generell interessiert es mich, blinde Flecken von Figuren zu erhellen und zu zeigen, dass sie derer nicht bewusst sind, was eine Komik oder aber Tragik haben kann, und was uns Menschen einfach auch verwandt ist, weil wir alle blinde Flecken haben. In einer polarisierten Gesellschaft gibt es immer zwei Gegenpole und beide behaupten, der jeweils andere hätte einen blinden Fleck und man selbst nicht. Daran glaube ich nicht. Ich glaube, wir alle haben blinde Flecken und sind dazu da, uns diese gegenseitig zu erhellen und gemeinsam -nicht alleine – weiterzudenken.
Ihr Talent bringen Sie nicht nur vor der Kamera ein. 2006 haben Sie nach eigenem Drehbuch „Das gefrorene Meer“ inszeniert und damit den Deutschen Kurzfilmpreis gewonnen. Warum wollten Sie auch hinter der Kamera kreativ arbeiten?
Lukas Miko: Mir hat es als Schauspieler irgendwann nicht mehr genügt, nur Instrument zu sein. Es ist einfach etwas anderes, selbst Stellung zu beziehen als Autor und Regisseur. Da muss man sich noch wesentlich genauer hinterfragen. Das tu‘ ich gern. Außerdem ermöglicht die Arbeit als Autor/Regisseur, ganz bewusst ein Thema zu wählen, das einen zutiefst beschäftigt.
Beschäftigt Sie aktuell etwas, das Sie in ein neues eigenes Projekt fließen lassen wollen?
Lukas Miko: Ich arbeite bereits seit drei Jahren an einem Drehbuch über die Geschichte des Wiener Arztes Ignaz Semmelweis, der Mitte des 19. Jahrhunderts herausgefunden hat, warum so viele Frauen in seinem Krankenhaus am Kindbettfieber gestorben sind. Das kam vor allem durch Ansteckung mit Leichengift. Die Ärzte haben morgens Leichen seziert, dann ungenügend die Hände gereinigt und dadurch die Frauen bei der Entbindung angesteckt. Das Wort Bakterien kannte man noch nicht. Die Ärzte mussten also einerseits mit dem Nicht-Wissen, andererseits mit der Schuld umgehen. Schuld ist für mich ein Lebensthema.
Das hört sich aber nicht nach Kurzfilm an…
Lukas Miko: Nein, es soll ein Kinofilm werden. Freibeuter Film, die Produktionfirma von „Große Freiheit“, ist an Bord; Markus Schleinzer soll Regie führen. Ich möchte die Rolle des Semmelweis spielen.
Das Gespräch führte Barbara Schuster