Der australische Regisseur Kiah Roache-Turner spricht über seinen am Donnerstag startenden Spinnen-Horror „Sting“, die Arbeit mit den legendären Effekte-Gurus von Weta und seine aus „Furiosa“ bekannte Hauptdarstellerin Alyla Browne, die am Set Sigourney Weaver bei einer Szene um Hilfe bat.
In „Sting” nehmen Sie sich viel Zeit, um die Figuren, insbesondere in der Patchwork-Familie, zu etablieren, bevor der Spinnen-Horror über das Mietshaus hereinbricht. Wie wichtig ist Ihnen dabei die Beziehung zwischen den Figuren und dem Kinopublikum?
Kiah Roache-Turner: Ja, meine früheren Filme hatten häufig eine schnelle Erzählgeschwindigkeit und auch explodierende Köpfe zu bieten. Bei „Sting“ wollte ich bewusst mehr Zeit mit der Etablierung der Charaktere verbringen. Viele meiner Lieblingshorrorfilme machten das auch so. Wenn man einen Film wie „Der Exorzist“ anschaut, fällt auf, wie viel Zeit am Anfang mit der Familie und der Etablierung der Lebensrealität verbracht wird, bevor der Teufel ins Spiel kommt. In „Sting“ wollte ich so viel Zeit wie möglich in die Empathie mit diesen Figuren investieren. Das war für mich fast wie ein Experiment, bei dem ich herausfinden wollte, wie weit ich es treiben kann. Kümmert es das Kinopublikum mehr, wenn dann das Monster angreift und schreckliche Dinge passieren? Fiebert man zum Beispiel mehr mit dem kleinen Mädchen mit, wenn man dessen Familiengeschichte kennt? Ich denke, dass es einen Unterschied macht. Das gilt meiner Meinung nach nicht nur für das Horrorgenre, sondern auch für Dramen.
Darf ich Sie fragen, wie autobiografisch diese Patchwork-Familiengeschichte um die 12-jährige Charlotte ist? Das Ganze fühlt sich sehr persönlich an.
Kiah Roache-Turner: Diese Geschichte ist schmerzhaft autobiografisch. Ich schrieb das Drehbuch mitten in der Corona-Pandemie, in der meine Familie schwierigen Umständen ausgesetzt war. Ich lebe in den Blue Mountains von Australien. Damals gab es durch die Hitze noch in der Hälfte Australiens Brände. Unser Haus war bedroht. Dazu Corona und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Probleme. Wir saßen als Familie wie so viele andere im Haus fest. Zudem hatten wir noch ein Neugeborenes. Es war für mich und meine Frau eine sehr stressige Zeit. Auch meine Stieftochter litt. Aus dieser emotionalen Herausforderung entstand die riesige schwarze Spinne des Films, die ähnlich wie der schwarze Hund, der für Depression steht, ins Haus schleicht und Unheil bringt. Nur im Kampf gegen das Biest kann die Familie wieder zusammenfinden. Das Ganze ist eine Metapher für die Traumata, durch die eine Familie gehen kann.
Ihre außerirdische Spinne, die aus dem All in das New Yorker Mietshaus abstürzt, ist anfangs klein, wächst dann aber rasant. Dabei arbeiteten Sie mit den FX-Gurus von Weta zusammen. Wie viel von der Spinne sind digitale Effekte, wie viel sind aber auch praktische Effekte am Set?
Kiah Roache-Turner: Zuerst einmal war es großartig mit Weta zusammenzuarbeiten. Der Spezialeffektkünstler Richard Taylor ist einer meiner größten Helden. Mit dem Mann zu arbeiten, der die Effekte bei „Der Herr der Ringe“ und „Avatar“ kreierte, bedeutete mir wahnsinnig viel. Mit ihm eine freundschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen, gehört zu den schönsten Dingen, die mir bisher im Leben passiert sind. Mir war es wichtig, dass wir bei „Sting“ praktische Effekte am Set haben. Ich wuchs mit Horrorfilmen wie „Alien“, „Der Exorzist“, „Der weiße Hai“ oder „Das Ding aus einer fremden Welt“ auf, bei denen praktische Effekte eine riesige Rolle spielten. Horror ist ein sinnliches Genre. Als Filmemacher versucht man das Publikum von Dingen zu überzeugen, die es in der Realität nicht gibt. Am einfachsten schafft man das, indem man auch tatsächliche Dinge vor der Kamera zeigt. Bei einer Puppe oder einem Menschen in einem Kostüm gibt es eine Interaktion mit dem Rauch, dem Licht und den Schauspielern am Set. Das bedeutet auch für das Publikum eine Realität.
Wie stehen Sie denn zu digitalen Monstern?
Kiah Roache-Turner: Ich persönlich finde digitale Monster nicht so gruselig wie haptische Monster, die es tatsächlich am Set gibt. Ich wollte so viel wie möglich ein echtes Spinnenmodell bei den Dreharbeiten haben. Immer wenn wir eine Nahaufnahme oder eine Medium-Einstellung drehten, und die Schauspieler mit dem Monster interagieren, wollte ich, dass es echt ist. Die Spinnenbeine sollten tatsächlich die Schauspieler berühren, damit sie auf mehr als nur einen Tennisball reagieren können. Digital gingen wir in den Effekten, wenn wir die Szenerie in der Totalen filmten. Das Sound-Design spielte auch eine riesige Rolle dabei, den Horror so echt wie möglich wirken zu lassen. Wir arbeiteten damit, dass dem Publikum teils die Sicht versperrt ist und sie die Spinne nur in den Wänden hören oder die Reaktionen der Schauspieler auf die Spinnengeräusche sehen kann. Dahingehend bin ich als Filmemacher old school. Ich benutze gerne die Techniken, die schon seit 100 Jahren in der Filmgeschichte genutzt werden.
Ihre kleine Hauptdarstellerin Alyla Browne, die auch gerade in „Furiosa: A Mad Max Story“ im Kino zu sehen ist, hat ein intensives letztes Drittel im Film, wenn es um den Kampf gegen die Spinne geht. Haben Sie ihr zur Vorbereitung darauf eventuell die beiden „Alien“-Filme gezeigt und gesagt: Orientiere dich an Sigourney Weaver?
Kiah Roache-Turner: Ich musste überhaupt keine Vorbereitung mit Alyla machen, obwohl sie zum Zeitpunkt des Drehs gerade einmal zwölf Jahre alt war. Sie ist eine der professionellsten und am besten vorbereiteten Schauspieler, mit denen ich jemals zusammengearbeitet habe. Sie ist das, was man in der Branche ein Natural nennt. Ich muss nur ‚Action‘ sagen. Sie hat meinen Film besser gemacht und ist in meinen Augen schon ein Star. Ich brauchte ihr nicht die „Alien“-Filme zeigen, denn sie kennt Sigourney Weaver persönlich, weil sie schon mit ihr bei „Die verlorenen Blumen der Alice Hart“ zusammenarbeitete. Als sich Alyla für eine der Nahaufnahmen mit der Spinne vorbereitete, und ich ihr sagte, dass ich sie ähnlich wie in „Alien 3“ machen will, da rief sie einfach Sigourney Weaver an und fragte sie, wie sie damals die Nahaufnahme mit dem Alien anging. Es war fast so, als ob Sigourney Weaver bei der Szene Co-Regie führte.
Was sind Ihre fünf Lieblingsfilme im Spinnenhorror-Genre?
Kiah Roache-Turner: Ich habe keine solche Liste. Die Spinne in „Der Herr der Ringe“ ist fantastisch. Aber ich kenne zum Beispiel den 1950er-Jahre-Klassiker „Tarantula“ nicht. Denn ich habe tatsächlich Arachnophobie. Ich finde große Spinnen sehr eklig. Das ist einer der Gründe, warum ich „Sting“ machen wollte. Das Konzept des Films war das gruseligste, was ich mir persönlich vorstellen kann. Das gehört zu meinem Job als Horror-Regisseur: Filme über Dinge zu machen, vor denen ich selbst Angst habe. Aber weil ich so viel Angst vor Spinnen habe, kenne ich gar nicht so viele Spinnen-Horrorfilme.
Und jetzt verfilmen Sie gerade als Australier Ihre zweitgrößte Angst, die Angst vor Haien?
Kiah Roache-Turner: Genau das mache ich. Ich befinde mich gerade in der Pre-Production eines Films, der „Beast of War“ heißt. Es geht um einen riesigen Hai, der eine Gruppe von australischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg terrorisiert und lose auf wahren Begebenheiten basiert. Aber ja, ich bin Australier. Bei uns gibt es überall Spinnen und Haie. Ich arbeite mich durch meine größten Ängste – vielleicht als Nächstes dann Schlangen oder Krokodile. Wir haben einige der giftigsten Schlangen auf der ganzen Welt und Krokodile, die dich in einem Wimpernschlag töten können. Spinnenbisse können einen innerhalb von wenigen Stunden töten, wenn man nicht rechtzeitig ins Krankenhaus kommen. Dazu kommen noch die Serienkiller. Hier in Australien versucht einen jeder umzubringen. Es ist ein sehr stressiger Ort auf dieser Welt.
Das Interview führte Michael Müller