Mit „Bram Stoker’s Dracula – Live in Concert“ startet heute das 38. Braunschweig International Film Festival (11. – 17. November) mit einem spektakulären Event. Im SPOT-Gespräch erläutern die Festivalleiterinnen Karina Gauerhof und Anke Hagenbüchner-Sobiech, welche Highlights das BIFF in diesem Jahr noch zu bieten hat und wie das Festival perspektivisch aufgestellt ist.
Wie hat sich das Braunschweig International Film Festival verändert, seitdem Sie die Leitung übernommen haben?
Karina Gauerhof: Wir merken eine deutliche Verjüngung. Das liegt auch daran, dass wir vermehrt auch auf Social Media wie Instagram aktiv sind. Das war ein Bereich, den wir davor aufgrund personeller Strukturen noch nicht so bedienen konnten. Dadurch bekommen wir jetzt eine andere Sichtbarkeit überregional und international. Die Leute haben die Marke Braunschweig International Film Festival mehr auf dem Schirm, das auffällige gelbe Logo erregt Aufmerksamkeit und sorgt für positive Rückmeldungen. Nach jedem Tag veröffentlichen wir Recap-Videos, so lässt sich die Atmosphäre des Festivals gut nach außen tragen. So erreichen wir auch Menschen, die vorher nicht so recht wussten, wer wir sind und was wir als Filmfestival machen. Man versteht, dass man selbst Teil davon sein kann.
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Wir lassen seit zwei Jahren unterjährig Kooperationen stattfinden mit verschiedensten Partnern an verschiedensten Orten der Region wie beispielsweise dem Planetarium in Wolfsburg – Stichwort: Event. Das gibt uns ebenfalls eine größere Sichtbarkeit in der Region und in der Stadt. Zudem haben wir jetzt beide Hochschulen, sprich die Hochschule für Bildende Künste und die Technische Universität Braunschweig, ins Boot geholt, Studierende erhalten kostenlosen Eintritt. Das wird gut angenommen und hilft ebenfalls, ein jüngeres Publikum zu uns ins Festival zu bringen.
Verjüngung ist ein positiver Effekt, der in die Zukunft weist. Schlägt sich dieses Bemühen auch auf die Programmierung nieder? Und wie steht das traditionelle Publikum des Festivals zu den Entwicklungen.
Karina Gauerhof: Wir erhalten generell gutes Feedback, was die Auswahl anbetrifft. Gelobt werden der Abwechslungsreichtum und die vielen neuen Impulse, die wir setzen. Wir haben jedes Jahr Schwerpunkte, mit denen wir besonderen Themen oder Formaten eine Plattform bieten. Im vergangenen Jahr war das der Animationsfilm, der es in Deutschland nicht ganz so leicht hat, weil man die Kunstform weitgehend immer noch dem Familienfilm zuordnet. Entsprechend haben wir einige betont erwachsene Animationsfilme programmiert. Als Festival sehen wir es schon auch als unseren Auftrag, das Publikum herauszufordern oder mit neuen Formaten zu konfrontieren. Mit der letztjährigen Auswahl sind wir da sehr gut gefahren, auch weil Animation bei den jungen Erwachsenen von heute einen ganz anderen Stellenwert genießt.
Wird es so etwas in diesem Jahr auch geben?
Karina Gauerhof: Spontan fällt mir da „The Balconettes“ ein, die zweite Regiearbeit von Noémie Merlant, die in Cannes als Midnight Screening Weltpremiere gefeiert hat. Ein sehr spezieller, durchaus auch krasser Film, der gewiss nicht jedermanns Sache sein wird. Früher hätten wir uns die Programmierung eines solchen Films eher nicht in einer regulären Sektion wie dem „Neues Internationales Kino“ getraut, weil zu sehr Genre, aber ich denke, das muss man aufbrechen. Man muss sich trauen, auch etwas edgy zu sein. Wir wollen auf jeden Fall fortführen, auch etwas diversere Formate abzubilden. Insofern stimmt es sicherlich, dass sich die Filmauswahl generell etwas verändert hat. Ich habe natürlich eine ganz spezielle Perspektive, aber ich muss betonen, dass ich das Programm nicht allein bestimme. Es ist der Verein, der größtenteils sichtet. Dann gibt es eine Shortlist, auf die ich noch einmal blicke. Und ich wähle zudem auch Titel aus, die nicht unbedingt meinem persönlichen Geschmack entsprechen müssen, von denen ich aber weiß, dass sie das Programm entscheidend bereichern und beim Publikum auf Interesse stoßen werden.
Womit wir beim diesjährigen Programm wären – mit einer spektakulären, wie immer musikalischen Eröffnung…
Karina Gauerhof: Schon 2019 hatten wir ein Auge auf „Bram Stoker’s Dracula – Live in Concert“, der als Weltpremiere in Krakau gefeiert wurde. Wir haben dann lange mit uns gerungen. Wir sind noch nie mit einem Horrorfilm gestartet, weshalb es vielleicht auch ein bisschen waghalsig ist. Aber es handelt sich um keinen reinen Schocker, sondern ein anerkanntes Großwerk eines Regiemeisters, das mehr zu bieten hat als Schockeffekte und Blut. Er lässt sich als große Oper beschreiben, mit überwältigenden Bildern von Kameramann Michael Ballhaus, ist nostalgisch, romantisch, kitschig, schön. Wir stehen hinter dieser Wahl und sind zuversichtlich, auch mit diesem Experiment die Halle vollzukriegen. Ich denke, wir liegen damit auch am Puls der Zeit, weil das Vampirgenre im Januar mit „Nosferatu – Der Untote“ von Robert Eggers großen Auftrieb erhalten wird. Wir werden im Verlauf des 38. BIFF im Rahmen der Mitternachtsreihe „Vampires at Midnight“ auch das Remake von Werner Herzog mit Klaus Kinski zeigen und zudem das Original von Murnau bei einem exklusiven Screening in einer Kirche, live begleitet von einem Organisten, ein ganz besonderer Rahmen. Dazu passt dann auch perfekt, dass Udo Kier die diesjährige EUROPA erhalten wird: In jungen Jahren hat er bei „Andy Warhol’s Dracula“ mitgespielt, den wir ebenfalls zeigen werden.
Ein weiterer Schwerpunkt wird „Sámi Cinema – Stories from the North“ sein…
Karina Gauerhof: Bereits im letzten Jahr ergab es sich, dass wir eine Reihe von Filmen in der Sichtung hatten, die sámische Lebensrealitäten abgebildet haben und auch von samischen Filmemacher:innen stammten. Wir fanden das spannend und haben nachgeforscht, weil wir diese Häufung auffällig fanden. So stieß ich auf das International Sámi Film Institute in Norwegen, das sámische Filmemacher:innen bei der Arbeit unterstützt und fördert, ihnen mit Mentorings einen niederschwelligen Weg in die Filmindustrie ermöglicht und für Vernetzungen sorgt. Später hilft das Institut auch bei der Verbreitung der Filme. In Cannes habe ich mich mit der Gründerin des Instituts getroffen, Anne Lajla Utsi. Bei der Auswahl des Programms haben wir dann mit Menschen gearbeitet, die der sámischen Kultur angehören um Sam:innen eben in den Auswahlprozess einzubinden. Der Schwerpunkt passte sehr gut, weil wir für das Hauptprogramm bereits einen sámischen Titel bestätigt bekommen hatten, „The Tundra Within Me“ von Sara Margrethe Oskal. Wir freuen uns auf diese sehr besonderen Geschichten.
Man spürt, dass sich das Festival wandelt unter Ihrer Leitung. Wird das honoriert von Stadt und Land?
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Wir werden in diesem Jahr vom Land noch etwas mehr gefördert. Darum haben wir sehr gekämpft. Wir werden auch von der Stadt stark wahrgenommen, und es sieht so aus, als würde auch die Förderung von dieser Seite noch einmal wachsen. Ich sehe uns auf einem positiven Weg. Unklar ist allerdings noch die EU-Förderung, die wir jährlich beantragen. Da wissen wir noch nicht, wie das im kommenden Jahr aussehen wird. Wie das bei einem gemeinnützigen Verein ist, gibt es die Dinge, die stehen fest und sind ganz klar. Andere wiederum hängen in der Schwebe. Wir müssen immer sehen, wie man noch weitere Mittel beschaffen kann. Wir sind stolz, dass wir mit Volkswagen Financial Services einen langjährigen und zuverlässigen Hauptsponsor haben und auch weitere Sponsoren uns unterstützen. Dennoch ist es ein harter Kampf, die Finanzierung innerhalb eines Jahres zu sichern. Wir wünschen uns für die Zukunft mehr Sicherheit um auf unserer Seite auch mehr Planungssicherheit für das Team und Personal herzustellen
Karina Gauerhof: Die Nordmedia hat im vergangenen Jahr eine Evaluierung aller Festivals im Land durchgeführt. Da haben wir als qualitativ hochwertigstes Festival abgeschlossen. Das empfanden wir durchaus als Ritterschlag. Und es sendet natürlich auch die richtigen Signale an Land und Stadt, wie auch an den Hauptsponsor, der uns schon so viele Jahre engagiert unterstützt. Das verstärkt unsere Überzeugung, dass sich die Arbeit auszahlt und das Festival die nötige Relevanz hat. Das ist natürlich auch ein positives Zeichen für die Stadt Braunschweig, da wir als Festival ja auch ein Wirtschaftsfaktor sind, Stichwort Tourismus.
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Wir sind immer auf der Suche nach weiteren Unterstützer:innen und freuen uns sehr, dass wir für das sehr kostenintensive Eröffnungsfilmkonzert in diesem Jahr, einen neuen Co-Hauptsponsor für dieses Event gefunden haben: BS|Energy, der Energieversorger der Stadt.
Wie sieht die Publikumsentwicklung aus?
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Generell positiv, auch wenn wir noch nicht sagen können, wie es in diesem Jahr letztendlich aussehen wird. Wir stellen jedenfalls fest, dass unsere Dauerkarten in diesem Jahr schneller ausverkauft war als bisher. Wir geben davon nur eine begrenzte Anzahl heraus, 100 Stück um genau zu sein, weil wir natürlich auch sicherstellen wollen, dass darüber hinaus alle Leute die Chance erhalten, sich Tickets zu sichern. Die Zahlen für das Eröffnungsfilmkonzert sind vielversprechend, auch wenn noch etwas Luft nach oben ist. Beim Besuch des Ticketvorverkaufs hatte ich den Eindruck, dass unser Stammpublikum zurückkehrt, aber auch neue Interessent:innen in die Säle drängen werden. Das lässt mich ebenfalls zuversichtlich sein.
Perspektivisch gesehen: Wohin soll die Reise gehen mit dem Braunschweig International Film Festival gehen? Und was sehen Sie als die größten Herausforderungen?
Karina Gauerhof: Die Finanzierung erscheint mir ein Knackpunkt, auch wenn es den entsprechenden Zuspruch durchaus gibt. Natürlich bekommen wir mehr Gelder von Stadt und Land, aber diese Erhöhungen reichen im Grunde immer nur aus, um die gestiegenen Kosten abzudecken. Dabei wäre es uns ein Anliegen, einerseits natürlich auch zu investieren, andererseits aber auch unser tolles Team angemessener zu bezahlen und auch weitere Stellen zu schaffen. Ich bin nicht besorgt, aber erkenne natürlich, dass es nicht einfacher werden wird, die entsprechenden Mittel abrufen zu können, um das Festival zu gestalten, wie wir es für notwendig halten. Wir haben viele Ideen, die wir gerne umsetzen würden. Es wäre schön, wenn wir mehr Gäste einladen könnten, auch angesichts immens gestiegener Reise- und Hotelkosten. Und persönlich würde ich mir wünschen, von der Filmindustrie stärker wahrgenommen zu werden als Festival, bei dem sich ein Besuch lohnt, weil man hier sehr gut in Austausch mit anderen Menschen aus der Industry treten kann. Wir haben noch keinen großen Branchenanteil, kann mir aber vorstellen, diesen Bereich weiter auszubauen und mehr Events anzubieten.
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Ich stimme Karina in allen Punkten zu. Filmvermittlung ist ein weiteres großes Thema bei uns. Das würden wir gerne noch weiter intensivieren, es gibt auch die entsprechenden Ideen. Es muss eben nur finanzierbar sein. Und solange die bewilligten Erhöhungen dafür aufgebraucht werden, das bestehende Level halten zu können, ist das Zukunftsmusik. Investitionen sind kaum möglich, dabei stehen eine Leinwand und ein portabler Projektor schon lange auf unserer Wunschliste, um eigene Filmveranstaltungen organisieren zu können.
Abschließende Frage: Macht es denn Spaß?
Anke Hagenbüchner-Sobiech: Ich habe in unserer Konstellation eher die Rolle des Spielverderbers, während Karina die Ideen entwickeln kann. An mir bleibt die Abwägung hängen, ob diese denn realisierbar sind. Und das hängt immer mit dem Geld zusammen. Aber glücklich sind wir beide dennoch, würde ich sagen. Oder, Karina?
Karina Gauerhof: Sonst würden wir nicht hier sitzen! Natürlich ist es stressig, ein Festival auf die Beine zu stellen und manchmal auch frustrierend, aus vielerlei Gründen. Aber es überwiegt die Freude und der pure Spaß, mit anderen filmbegeisterten Menschen etwas so Tolles machen zu dürfen. Mich stimmt es immer sehr zufrieden, die vielen Menschen an einem Ort, dem magischen Ort Kino, zusammenzubringen und für einen Moment in eine andere Welt abtauchen zu lassen.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.
[KG1]Bei uns wird der internationale Titel beworben THE BALCONETTES, so auch der Wunsch des deutschen Verleihs.