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Jürgen Lütz zu Cineville: „Das ändert die Dynamik komplett“

In wenigen Tagen soll es soweit sein: Das niederländische Erfolgsmodell Cineville geht mit einer Pilotphase in fünf Städten auch in Deutschland an den Start. Wir sprachen mit Jürgen Lütz als einem der Initiatoren und Vorstände über die Motivation hinter diesem Schritt, über Hürden und Erwartungen.

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Jürgen Lütz (Odeon Kino Köln, Film Kino Text) ist einer der Initiatoren der Einführung von Cineville in Deutschland und sitzt gemeinsam mit Felix Grassmann und Matthias Damm im Vorstand von Cineville Germany (Credit: Jürgen Lütz)

Unbegrenzter Kinogenuss ab 20 Euro pro Monat: Mit diesem Angebot geht das in den Niederlanden ins Leben gerufene Kinoabo Cineville nun auch in Deutschland live. Wie die Initiatoren mitteilten, fällt der offizielle Startschuss am 15. August, nachdem die zentrale Plattform www.cineville.de im Juni an den Start gebracht wurde. Wir sprachen vorab mit Jürgen Lütz vom Kölner Odeon und dem Verleih Film Kino Text, einem der Initiatoren und Vorstände des hiesigen Cineville-Ablegers.

Was hat zu dem Entschluss geführt, sich überhaupt mit einem Abo-Modell auseinanderzusetzen?

Jürgen Lütz: Das hatte natürlich viel mit der Pandemie und ihren Folgen zu tun. Wir sind zwar Kinobetreiber unterschiedlichster Couleur, aber wir tauschen uns regelmäßig aus, vor allem natürlich auch am Rande großer Branchentreffen wie jenen der AG Kino-Gilde oder Europa Cinemas. Und es war im Jahr 2022, als uns alle umtrieb, wie langsam sich das Arthouse nach den Lockdowns erholte. Wir hatten im Filmkunstbereich damals eigentlich viele gute Filme – aber während sich die Jugend von den Corona-Nachwehen vergleichsweise unberührt zeigte, verhielt sich unser Stammpublikum teils extrem zurückhaltend. Uns war klar, dass wir der Entwicklung nicht tatenlos zusehen konnten und wollten – und just in diesem Jahr gab es eine Reihe neuer Branchenveranstaltungen, darunter die CinemaVision 2030 der AG Kino-Gilde in Berlin und den International Distribution Summit der AG Verleih in Köln – und bei beiden war Cineville als Erfolgsmodell ein Thema, in Köln haben mehrere Leute aus unserem Gründerkreis den Vortrag von Cineville-Geschäftsführer Thomas Hosman gesehen, der einen beeindruckenden Erfolg mit rund 50.000 Abonnenten und einer hochinteressanten Altersverteilung skizzierte.

„Hochinteressante Altersverteilung“ heißt konkret?

Jürgen Lütz: Dass das Modell vor allem auch die jüngere Generation anspricht, tatsächlich liegt ein Peak beim Anteil der Nutzerinnen und Nutzer im Altersbereich von etwa 25 Jahren, ein weiterer dann wieder in der Zielgruppe 50+. Damit sehen wir zwei Kernanliegen adressiert: Zum einen, die Publikumsbasis generell zu verbreitern, zum anderen aber vor allem auch jenes, unser Publikum weiter zu verjüngen.

Cineville war aber eigentlich schon in den Jahren zuvor bei derartigen Veranstaltungen präsent, unter anderem bei der Filmkunstmesse Leipzig.

Jürgen Lütz: Ja, das ist schon richtig. Und es ist beileibe nicht das einzige Abomodell, das schon vor der Pandemie immer wieder vorgestellt und diskutiert wurde – wir müssen da ja nur auf den Vorstand der AG Kino-Gilde schauen… Die Yorck-Gruppe hat mit dem Erfolg von Yorck Unlimited schließlich keineswegs hinter dem Berg gehalten, das steht bei Tagungen von Europa Cinemas regelmäßig mit auf der Tagesordnung. Ohnehin herrscht seit Langem im Prinzip Konsens darüber, dass man mehr machen muss, dass Filme es immer schwieriger haben, zum Publikum durchzudringen. Aber ich will ehrlich sein: Am Ende verfiel man dann doch allzu oft wieder in den Alltagstrott. Der anstrengend genug ist. Denn es fehlt uns – und ich denke, das war das Haupthemmnis – einfach viel zu oft an der nötigen Manpower, um abseits des Alltagsgeschäftes noch Neues anzustoßen. Ich merke doch in meinem Haus selbst, dass es besser läuft, wenn ich mich besonders stark hinter die sozialen Medien klemme. Aber ich habe schlicht und ergreifend nicht die Zeit und auch nicht die Kraft, das immer konsequent durchzuziehen, so sehr mich das auch selbst schmerzt.

„Es geht auch um Community-Building.“

Also wurde am Ende schlicht der Leidensdruck hoch genug?

Jürgen Lütz: So kann man das vielleicht sagen, zumindest was die Bereitschaft anbelangt, sich wirklich intensiv mit dem Konzept auseinanderzusetzen – und zu erkennen, dass es genau dieses Hemmnis adressiert. Denn Cineville ist vor allem auch ein Werkzeug, das uns die Kundenansprache massiv erleichtert. Das ist ein wesentlicher Punkt, auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich die Feuilleton-Landschaft in den vergangenen Jahren stark verändert hat. Für Film- und Kinoberichterstattung ist leider immer weniger Platz, mitunter muss man schon froh sein, wenn Filmkunst in Tageszeitungen überhaupt noch stattfindet. Ja, es gibt tolle Informationsangebote im Netz, ich selbst bin großer Fan von Kino-Zeit. Aber das sind Seiten, die meist sehr gezielt und von Menschen angesteuert werden, die ohnehin schon planen, ins Kino zu gehen. Mit der Cineville-Card hat man das Ticket wiederum schon in der Hand, da geht es dann wirklich darum, sich zu informieren, was es denn an Auswahl gibt. Das ändert die Dynamik komplett – und über die mit dem Abo verbundenen Tools können wir die Menschen viel einfacher abholen, als das bislang der Fall war. Für mich persönlich ist der Marketingaspekt tatsächlich der mit Abstand wichtigste, ich weiß über Film Kino Text schließlich selbst nur zu gut, wie schnell kleinere Verleiher an Grenzen stoßen. Man gibt sich unendlich viel Mühe, aber es reicht oft einfach nicht, um durchzudringen.

Nägel mit Köpfen wurden dann wann gemacht?

Jürgen Lütz: Das kann man im Prinzip auf die Europa-Cinemas-Tagung im November 2022 datieren. Damals hatten sich schon sechs Kinomacher gefunden, die als Gründungsgesellschafter eines Vereins fungieren wollten: Matthias Damm, Mikosch Horn, Christian Schmalz, Felix Grassmann, Matthias Elwardt und meine Wenigkeit. Es fehlte uns nach deutschem Vereinsrecht nur ein siebtes Mitglied – und wir fanden es dort in Person von Michael Isele, der sich direkt vor Ort überzeugen ließ. Dann galt es noch eine Satzung aufzustellen und diverse Rechtsfragen zu klären, am Rande der Berlinale 2023 haben wir dann unterzeichnet.

Auftritt Finanzamt Hamburg?

Jürgen Lütz: Ja, bis zur tatsächlichen Eintragung des Vereins hat es dann fast noch einmal ein halbes Jahr gedauert. Man glaubt gar nicht, wie viele steuerrechtliche Hürden es geben kann. Aber wir haben es ja geschafft.

Bei Cineville handelt es sich um ein in den Niederlanden seit vielen Jahren etabliertes Modell, das auch schon in anderen Ländern wie Österreich und Belgien aufgegriffen wurde. Wäre eine Umsetzung in Deutschland denn möglich gewesen, wenn von Europa Cinemas und der FFA keine Unterstützung gekommen wäre?

Jürgen Lütz: Das ist eine interessante Frage, auch wenn sie sich uns zum Glück nicht stellt. De facto hat man es in Österreich ohne Förderung geschafft, wobei die Initiatorinnen und Initiatoren dort ja mit dem sprichwörtlichen Hut rumgegangen sind und maßgebliche Unterstützung durch die dortigen Filmkunstverleiher gefunden haben. Ob das auch in Deutschland denkbar gewesen wäre? Das kann ich nicht beurteilen, aber zumindest eines kann ich feststellen- und das mag eine hiesige Eigenheit sein: Wenn man in Deutschland keinen Förderer im Hintergrund hat, mangelt es oft an Glaubwürdigkeit. Die aber war entscheidend, um die Partner ins Boot holen zu können. Wenn zwei so wichtige Institutionen mit ihrer finanziellen Unterstützung der Überzeugung Ausdruck verleihen, dass eine solche Initiative allen guttun wird – und damit meine ich Kino wie Verleih gleichermaßen – dann ist das schon ein gewisser Ritterschlag, der Türen öffnet.

In Österreich sind bzw. waren nicht alle Verleiher an Bord, erwartet man diesbezüglich auch hier Probleme?

Jürgen Lütz: Die Verleiher sind natürlich alle informiert, sowohl separat wie auch über ihre Verbände AllScreens und AG Verleih. Bislang kam keinerlei Widerstand, im Gegenteil – vor allem seitens der Mitglieder der AG Verleih erfahren wir enorm viel Zuspruch. Aber man will sich ja auch nicht komplett in Sicherheit wiegen. In Österreich waren auch alle informiert und dann hat jemand noch unmittelbar vor Start die Bremse gezogen. Aber auch damit konnte man umgehen.

Zwischen Idee und Umsetzung ist mehr Zeit vergangen als gehofft. Wo lagen denn die größten Hürden abseits des Steuerrechts?

Jürgen Lütz: Es ist ein wirklich sehr aufwändiger Prozess. Man darf sich das nicht so vorstellen, als würde man ein bestehendes System einfach über ein paar andere Kinos ziehen. Das geht schon deshalb nicht, weil man in den Niederlanden mit einem völlig anderen Kassensystem arbeitet. Es gab keine Lösung, die man mal eben so aus dem Regal hätte ziehen und verwenden können. Sie erinnern sich an die Umstellung auf das digitale SPIO-Ticket und die damit verbundenen Anforderungen? Als Außenstehender macht man sich vermutlich keinen Begriff davon, wie komplex das die Implementierung solcher Prozesse macht… Das erfordert schon Geduld.

„Wenn man in Deutschland keinen Förderer im Hintergrund hat, mangelt es oft an Glaubwürdigkeit.“

Die gerade auch im Arthouse-Bereich existierenden Abomodelle hatten wir ja schon eingangs angesprochen. Sind denn Kooperationen denkbar?

Jürgen Lütz: Von unserer Seite aus absolut. Cineville kann auch parallel neben anderen Systemen laufen – und zumindest der eine oder andere Betreiber, der schon eigene Initiativen gestartet hatte, interessiert sich nach eigenem Bekunden sehr dafür, wie sich Cineville in Deutschland schlägt.

Nun sind Österreich, Belgien und die Niederlande Nachbarländer – könnte man sogar so weit denken?

Jürgen Lütz: Das wurde ich tatsächlich schon häufiger gefragt – und im Prinzip läge dem ein wunderbarer europäischer Gedanke zugrunde. Aber am Ende des Tages wäre das vermutlich nur schwer umzusetzen. Einfach deshalb, weil die Frage der Abrechnung im Raum steht. An sich könnte man es sicherlich dulden, wenn es einen kleinen Grenzverkehr gäbe. Aber ich hatte einmal den Fall, wo es nur darum ging, in zwei Kinos, die eigenständige Betriebe waren, Gutscheine wechselseitig anerkennen zu lassen. Guter Rat: Das will man sich nicht antun.

Mit welchen Erwartungen geht man jetzt an den Start?

Jürgen Lütz: Wir haben uns im Vorfeld besonders intensiv mit den österreichischen Kolleginnen und Kollegen ausgetauscht und sehen deren Erfahrungen ein wenig als Messlatte. Auch weil Belgien und die Niederlande den Vorteil eines ungleich höheren Urbanisierungsgrades – also einer sehr starken Konzentration der Bevölkerung auf die Metropolen – haben. Natürlich ist Nonstop – Dein Kinoabo ebenfalls mit starker Fokussierung auf die Metropolen, allen voran Wien, gestartet. Das liegt in der Natur der Sache – und macht auch vor dem Hintergrund der Tatsache absolut Sinn, dass man den Nutzerinnen und Nutzern größtmögliche Vielfalt – also die Wahl aus mehreren, für sie gut zu erreichenden Kinos – bieten will. Unter dem Strich denke ich, dass wir sehr zufrieden sein dürfen, wenn wir im ersten Jahr in etwa auf die Zahlen aus Österreich kommen, also auf etwa 6000 Abonnentinnen und Abonnenten.

In Deutschland geht man mit rund 30 Partnerkinos an den Start. Das ist schon eine ordentliche Größenordnung.

Jürgen Lütz: Absolut, wobei wir zu Beginn gar kein zu großes Rad schlagen wollen. Denn Interessenten gibt es schon jetzt etliche mehr. Wir beschränken uns bewusst auf die fünf Städte Berlin, Freiburg, Hamburg, Köln und Nürnberg, um dort erst einmal Erfahrungen zu sammeln und zu sehen, ob und wo es möglicherweise auf technischer Seite noch Nachbesserungsbedarf gibt. Sobald das sauber läuft, heben wir die Fahne, um dann sukzessive weitere Regionen an Bord zu holen, wo man im Prinzip schon in den Startlöchern steht.

Einer der großen Vorteile ist die Möglichkeit, gezielt Veranstaltungen aufzusetzen und zu bewerben. Gibt es dazu schon konkrete Planungen?

Jürgen Lütz: Ehrlicherweise nicht – was schlicht den Grund hat, dass das ohne Abonnentenbasis erst einmal keinen Sinn machen würde. Natürlich könnte man jetzt vom Start weg jede Sonderveranstaltung entsprechend labeln. Aber das würde aufgesetzt wirken und wäre auch nicht Sinn der Sache. Umso wichtiger wird das dann aber in der Zukunft, schließlich geht es auch um Community-Building rund um Menschen, die sich auch für Filme weitab des Mainstreams interessieren. In diesem Zusammenhang ist auch die inhaltliche Kooperation mit Indiekino hervorzuheben, die für die Redaktion unseres Webportals und damit für die Zusatzinformationen, die wir künftig bieten, zuständig sind. Wir haben lange überlegt, wer der richtige Partner ist, wer die filmische Bandbreite besonders gut abdeckt – und dass Indiekino auch noch über ein starkes Kino-Netzwerk in der Hauptstadt verfügt, war natürlich auch ein gutes Argument. Ideen haben wir jedenfalls schon eine Menge – und ich freue mich sehr darauf, sie umsetzen zu können.

Das Gespräch führte Marc Mensch