Mit „Speak No Evil“ liefert James Watkins ein furioses Remake des gleichnamigen dänischen Films aus dem Jahr 2022. Der Thriller eröffnet das Fantasy Film Fest und kommt dann am 19. September im Verleih von Universal in die Kinos.
Sie haben ein Remake des schockierenden Films von Christian Tafdrup gemacht, der dem Original verpflichtet und doch ganz anders ist.
James Watkins: Natürlich liebe ich das Original, keine Frage. Ich hätte kein Teil dieses Projekts sein wollen, wenn ich nicht Riesenrespekt vor dem Film von Christian Tafdrup gehabt hätte. Aber das Original existiert, man kann es sich jederzeit ansehen. Warum hätte ich also ein Eins-zu-eins-Remake machen wollen? Mich sprachen die Themen an, die Beobachtungen, wie wir in einem sozialen Umfeld miteinander umgehen. Mich reizte die Gelegenheit, die Geschichte an einen anderen Ort zu verlegen und die Nationalität der beiden Familien zu ändern, vor allem im dritten Akt einen anderen Weg einzuschlagen, etwas anderes unter die Lupe zu nehmen. Was passiert, wenn der soziale Vertrag gebrochen wurde, wenn die Regeln der Gesellschaft mit dem Gesetz des Höhlenmenschen kollidieren? Stimmt, es wird dann ein anderer Film. Aber genau das war der Kick.
Haben Sie sich mit den Tafdrup-Brüdern Christian und Mads ausgetauscht?
James Watkins: Christian ist als executive producer an Bord, und wir haben uns natürlich unterhalten, als er uns beim Dreh besucht hat. Sein Film ist sehr interessant, speziell aus Dänemark heraus erzählt, weil er betrachtet, wie Korrektheit und gesellschaftliche Einschränkungen uns am Handeln hindern. Das findet sich auch in meinem Film, aber mir ging es eher darum zu zeigen, was passiert, wenn die Konfrontationen, die die ganze Zeit unter der Oberfläche schwelen, sich auf einmal Bahn brechen, an die Oberfläche drängen. Speziell wenn Amerikaner involvier sind. Amerikanische Kultur ist geprägt von der Eroberung der Frontier, es gibt nichts, was sich nicht umsetzen lässt, wenn man es nur will.
Christian Tafdrups Film ist goldrichtig, weil es um dänische Figuren geht. Ihr Film orientiert sich daran, dass es um Amerikaner geht.
James Watkins: Amerikaner fügen sich nicht in ihr Schicksal, sie werden alles daran setzen, sich zu wehren und zurückzuschlagen. Aber natürlich war es mir wichtig, den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren. Sie werden dabei nicht mit einem Schlag zu Ninja-Warriors oder Navy Seals. Sie sind ziemlich unfähig, sie können das nicht besonders gut. Scoot McNairys Figur Ben glaubt, er könne in sich den starken Mann abrufen. Aber er kann es eben nicht. Diese Rollen sind nicht gegendert. Seine Frau ist in der verzweifelten Situation viel kompetenter und entschlossener.
Würden Sie sagen, das ist Ihr amerikanischer Film?
James Watkins: Nicht doch! Es ist mein britischer Film! Man sagt immer, die USA und England seien zwei Länder, die von ihrer gemeinsamen Sprache getrennt werden. Wenn Sie mich fragen, dann stehen wir Briten trotz der Sprachbarriere Deutschen, Franzosen und Italienern viel näher als Amerikanern. Das steckt ganz intrinsisch auch in meinem Film drin, wenn die amerikanische Familie in Irland ankommt und Paddy James McAvoy gegenübersteht und überhaupt nicht einschätzen kann, ob sein Verhalten Ausdruck eines ganz speziellen britischen Humors oder er einfach nur drüber ist. Sie verstehen die sozialen Regeln nicht.
„Man sagt immer, die USA und England seien zwei Länder, die von ihrer gemeinsamen Sprache getrennt werden.“
James Watkins
Wie haben Sie sich in die Amerikaner versetzt?
James Watkins: Ich habe lange in Amerika gelebt, bin mit vielen amerikanischen Schauspielern befreundet. Es fiel mir also nicht sehr schwer. Wissen Sie, mir gefiel die Idee, dass das vermeintlich „gute“ Paar seine Schwierigkeiten hat und miteinander hadert, das „böse“ Paar aber rundum glücklich und zufrieden mit seiner Situation ist. Das „gute“ Paar wirft einen Blick auf das „böse“ Paar und denkt, dass man von ihnen vielleicht lernen könnte, wie man mit dem eigenen Leben wieder besser klarkommt. Da ist ein Drama, das intrinsisch verwoben ist in diesen Social-Thriller oder wie auch immer Sie „Speak No Evil“ charakterisieren wollen.
Man muss auch anerkennen, dass Ihnen ein immer wieder saukomischer Film gelungen ist.
James Watkins: Das war mir irre wichtig. Es sollte ein unterhaltsamer Film werden. Je mehr Düsternis, desto mehr Schatten. Aber das geht auch andersherum: Je mehr Helligkeit, desto mehr Schatten. Es geht auf und ab, die Handlung wogt hin und her, man wird immer wieder auf dem falschen Fuß erwischt. Klar soll das Spaß machen. Wenn es nach mir geht, dann gehen die Menschen ins Kino und haben ein sehr intensives, packendes Erlebnis, ein Film, der einen beunruhigt, aber eben auch komisch ist. Das war Absicht. Und ist vielleicht auch der entscheidende Unterschied, der entscheidende Wechsel der Tonart im Vergleich zu dem dänischen Original, um noch einmal darauf zurückzukommen. Christians Film ist auf brillante Weise kompromisslos hart. Wir sind verspielter. Am Ende will man nicht den Schädel gegen die Wand schlagen.
Es ist Ihr erster Kinofilm seit 2016 – dazwischen haben Sie zwei Serien orchestriert und inszeniert, „McMafia“ und „The Ipcress File“. War es jetzt eine bewusste Entscheidung, ins Kino zurückkehren zu wollen?
James Watkins: Das Kino ist die Liebe meines Lebens. Ich würde nicht so weit gehen und behaupten, das Kino sei eine reinere Kunstform. Das wäre prätentiös. Und außerdem falsch: Wenn Fernsehen gut ist, wenn Serien gut sind, dann sind sie richtig gut. Aber ich liebe die Komprimierung des Kinos. Ich bin Regisseur geworden, weil ich Kinofilme liebe. Als ich nach „Bastille Day“ eine Pause eingelegt habe, war das keine bewusste Entscheidung. Alle wollten damals Serien machen. Für uns war das wie die Entdeckung Amerikas: Guckt mal, das ist die neue Spielwiese, auf der wir uns austoben können. Es war eine tolle Erfahrung, keine der beiden Serien möchte ich missen, bei denen ich am Steuer saß. Ich erhielt die Gelegenheit, mit ein paar Werkzeugen zu spielen, die mir sonst niemals zur Verfügung gestanden wären. Zwischenzeitlich gab es immer wieder Angebote für Kinofilme, aber keines wollte mich so richtig kicken. Als mir „Speak No Evil“ angeboten wurde, fühlte es sich umgehend richtig an. Das ist mein Fachgebiet, dachte ich. Ich bin sehr dankbar, dass ich mit diesem Stoff ins Kino zurückkehren darf.
Von den Coens stammt das Zitat, ein Film habe einen Anfang, eine Mitte und ein Ende und Serien hätten einen Anfang und eine Mitte und eine Mitte und eine Mitte…
James Watkins: Tolles Zitat. Das klaue ich. Es ist absolut auf den Punkt. Sehen Sie, das Beste, was Fernsehen zu bieten hat, ist großartig. Aber es gibt eben auch viel, sagen wir mal, Content. Dinge, mit denen man seine Zeit zwischen Abendessen und Schlafengehen verbringt. Ein Film ist mehr als das. Und das hat noch nicht einmal etwas mit der Größe der Leinwand zu tun oder der Absichtserklärung, von der Couch aufzustehen und das Haus zu verlassen. TV hat mich gelehrt: Wenn man einen Film macht, dann muss es einen Grund geben, eine Verpflichtung, einen Pakt, warum das Publikum ins Kino geht. Das Leben ist teuer. Es muss einen Grund geben, dass man zu sich sagt: Das will ich im Kino sehen. Ich behaupte einfach mal frech: Mein Film hat das. Er geht diesen Pakt mit dem Publikum ein, er spricht das Tier im Publikum an. Er ist noch besser, wenn man ihn mit vielen Menschen sieht und mitgehen kann, wie wenn man gerade auf die beste Achterbahn aufgesprungen ist. Es ist eine emotionale Reise, ein Ritt, man bekommt etwas geboten, Spannung, Comedy, er ist wie ein kleiner Gottesdienst, wenn man das Kino mag und schätzt. Wenn man das Kino verlässt, dann hat man das Gefühl, man habe eine Erfahrung gemacht, die größer ist als ein Abend daheim. Dem fühle ich mich verpflichtet, mit großer Leidenschaft.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.