Als Schauspielerin, Moderatorin und Drehbuchautorin ist Paola Cortellesi in ihrer Heimat Italien sehr bekannt. Mit ihrem Regiedebüt, „Morgen ist auch noch ein Tag“ landete sie einen Riesenhit in den italienischen Kinos. Warum der Stoff eine Herzensangelegenheit ist, erzählt sie hier. Tobis schickt den Film am 4. April in die deutschen Kinos.
Sie arbeiten seit fast 25 Jahren als Schauspielerin, waren sieben Mal für einen David di Donatello Award nominiert, haben ihn ein Mal gewonnen. Sie schreiben seit über zehn Jahren Drehbücher. Warum war jetzt die Zeit reif, auch Regie zu führen?
Paola Cortellesi: Ich fühlte mich jetzt einfach bereit dafür. Ich bin in die Branche nicht mit dem Wunsch eingestiegen, Regisseurin zu werden. Ich arbeitete vorher als Autorin fürs Fernsehen, war Schauspielerin und Komikerin. Außerdem habe ich, wie Sie sagten, schon lange Drehbücher geschrieben. Ich habe mich aber schon immer mit dem Thema beschäftigt, das ich nun in meinem Regiedebüt verhandele. Als Schauspielerin führte ich Monologe darüber im Theater auf, habe das Thema als Drehbuchautorin immer wieder in Geschichten eingewoben. Mir liegt das Thema sehr am Herzen, wie allen Frauen. Der Film ist eine persönliche Herzensangelegenheit, weil ich darin Geschichten verarbeite, die mir meine Großmütter und andere Frauen dieser Generation erzählt haben. Sie haben diese Geschichten, die sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zugetragen haben, Geschichten über Hunger, häuslicher Gewalt, einer großen Misere, mit einer gewissen Leichtigkeit erzählt. Der Film soll eine Hommage an all die Frauen sein, die diese Geschichten erzählt haben. Das dramatische Thema habe ich absichtlich in diese Zeit gesetzt, weil es damals absolute Normalität war, Alltag, was passiert ist.
Als Sie mit Ihren Schreibpartnern Furio Andreotti and Giulia Calenda das Drehbuch zu „Morgen ist auch noch ein Tag” entwickelten: Wussten Sie da bereits, dass Sie es auch selbst inszenieren wollen würden? Und wie läuft Ihre gemeinsame Schreibarbeit ab?
Paola Cortellesi: Dass ich die Regie übernehmen würde, war von Anfang an gesetzt. Mit Furio und Giulia arbeite ich seit zehn Jahren zusammen. Wir schreiben immer zusammen, wir sind ein Team, eine Familie. Ich wusste auch von Anfang an, wie der Film beginnt: Mit der Szene, als Delia nach dem Aufwachen von ihrem Mann die Ohrfeige bekommt und danach ganz normal weitermacht, in ihren Alltag einsteigt, als wäre nichts gewesen. Die Idee für das Ende und die ganze Richtung des Films habe ich bekommen, als ich meiner damals neunjährigen Tochter ein Buch über wichtige Frauen und Frauenrechte in der Vergangenheit vorgelesen habe. Sie konnte es nicht glauben, dass es damals kein Wahlrecht für Frauen gab, dass sich Frauen nicht scheidenlassen konnten. Erst war ich als Mutter beruhigt, weil ich dachte, wie gut es mein Kind hat, dass es in einer Zeit aufwachsen kann, in der das alles keine Themen mehr sind. Doch dann machte sich doch eine gewisse Unruhe in mir breit, weil mir klar wurde, dass meine Tochter wissen muss, ein Bewusstsein dafür entwickeln muss, wie es früher war, dass es wichtig ist, Rechte zu verteidigen, Rechte zu beschützen. So habe ich ihr dieses Buch für Kinder vorgelesen, was mir wiederum die zündende Idee für die Richtung des Drehbuchs gab, das ich in Folge mit Furio und Giulia gemeinsam entwickelt habe.
Wie haben Sie die Zeit recherchiert? Wie wichtig war Ihnen an Authentizität gelegen, der historisch korrekten Abbildung jener Zeit?
Paola Cortellesi: Ich habe mir viele Geschichten von älteren Menschen erzählen lassen. Das waren Menschen, die ich von meiner Großmütter-Generation kannte, aber auch Menschen, die ich nicht kannte, die ich befragt habe. Es leben noch ein paar, die diese Zeit miterlebt haben. Meine Schwiegermutter, die 90 Jahre alt ist, hat mir die Geschichte erzählt, dass damals viele Frauen aus der Unterschicht im Sommer noch zusätzliche Arbeit als Wäscherinnen in reichen Familien angenommen haben. Im Sommer haben die ihren ganzen Haushalt gewaschen, Teppiche, Vorhänge, Bettwäsche, Tischtücher… alles. Außerdem hatten wir Hilfe von der Historikerin Teresa Bertilotti, die mit uns wichtige Eckdaten geklärt hat, zum Beispiel welches US-Regiment zu jener Zeit in Rom stationiert war. Über das wichtige politische Datum, auf das die Geschichte zusteuert, möchte ich nicht zu viel verraten. Im Titel klingt es an: In Italien kann man auch heute noch bei wichtigen Wahlen sowohl am Sonntag als auch noch am Montag wählen. Der Tag jenes besagten Sonntags, der hier eine Rolle spielt, wurde damals als Italiens Nationalfeiertag festgelegt.
War es schwierig, das Projekt vom Boden zu bekommen? War die Finanzierung schwierig?
Paola Cortellesi: Es war tatsächlich nicht gerade einfach. Als ich das Projekt meinen Produzenten vorgestellt hatte, waren sie erst nicht happy, weil der Film genau das abhakt, von dem man sagt, dass es nicht unbedingt erfolgsversprechend ist, wie das Drehen in Schwarzweiß oder das Thema Gewalt gegen Frauen. Aber ich habe sie überzeugen können, dass ich an einen populären Film glaube, einen Film, der allen gefallen wird. Als sie das Drehbuch gelesen haben, haben sie sich sofort verliebt. Ich bin ihnen sehr dankbar, weil sie mich ab diesem Moment sehr unterstützt haben, dass ich den Film gut machen konnte. Aber, ich muss auch ganz ehrlich sagen, für den Stoff zeigten sich nicht sehr viele interessiert, keiner hat bei mir deswegen die Tür eingerannt.
Waren die Dreharbeiten dann leichter?
Paola Cortellesi: Ich hatte 45 Drehtage, was für einen zeitgenössischen Film gut, für einen historischen Film wenig ist. Aber immerhin wurden mir zwölf Wochen für die Vorproduktion gewährt, sodass ich den Dreh wirklich super vorbereiten konnte. Schwierigkeiten gab es viele. Die gibt es immer, wenn einem etwas sehr am Herzen liegt und man es besonders gut machen will. Im heutigen Italien – wir haben 2022 gedreht – ein Italien von 1946 zu drehen, ist superschwierig. Man muss den Verkehr blockieren bei Straßenszenen. Dafür haben viele Leute kein Verständnis und fangen sofort wie wild zu hupen an, was wiederum die Aufnahmen stört. Das war ein Riesendrama. Dann gab es mal ein Unwetter, irgendwo ist eine Auto-Alarmanlage losgegangen und ließ sich nicht mehr abschalten… Alles Dinge, die Dreharbeiten verlangsamen. Aber das ist auch ein bisschen normal, auf jedem Set passiert etwas… Bei uns ist alles passiert. Aber wir sind trotzdem fertig geworden.
Ihr visueller Stil erinnert an den Italienischen Neorealismus eines De Sica oder Rossellini… Sind das Vorbilder?
Paola Cortellesi: Das sind natürlich die ganz großen Meister unseres Kinos. Mit diesem Kino bin ich aufgewachsen. Als Kind habe ich diese Filme im Fernsehen gesehen. Als meine Großmütter mir diese Geschichten erzählt haben, spielten sie sich in meinem Kopf sofort in Schwarzweiß ab, weil meine visuelle Wahrnehmung so geprägt war. Die ersten achteinhalb Minuten sind eine Hommage an den Neorealismus, mit reduziertem Bildformat und Musik aus der Epoche. Danach öffne ich das Bild, danach ist es ganz klar mein Film, meine Interpretation.
Der Erfolg im italienischen Kino ist phänomenal, Ihr Film schlug „Barbie“ und „Oppenheimer“. Haben Sie das erwartet? Über was will sich das Kinopublikum mit Ihnen unterhalten, wenn es den Film gesehen hat?
Paola Cortellesi: Dass mein Film diese Hollywood-Blockbuster schlagen würde, hätte ich mir niemals erträumen lassen. Das war eine wunderschöne Überraschung, die mich natürlich sehr freut. Ich bin dankbar, dass ich mit meiner ersten Regiearbeit gleich etwas erreichen konnte, was viele in ihrer gesamten Karriere nicht erreichen werden. Aber das größte Geschenk war tatsächlich, dass mir die Menschen nach den Vorstellungen auf meiner großen Kinotour durch Italien ihre ganz persönlichen, intimen Geschichten erzählt haben. Ich hatte immer jemandem im Publikum, der sagte: Ich war Delia, bin es jetzt aber nicht mehr. Oder: Ich war eines von den Kindern, die sie weggesperrt haben, die nichts hören sollten, die aber genau wussten, was abgeht. Viele junge Leute haben erzählt, dass sie viele von diesen Taktiken aus ihrem Alltagsleben, auch aus dem Büro, kennen, und wenn es nur auf verbaler Ebene abläuft. Mich hat zutiefst berührt, dass mir diese Geschichten erzählt wurden, aber eben nicht nur mir, sondern vor den vielen hundert anderen Menschen im Kino auch. Das ist die Stärke des Kinos: Man kann kollektiv lachen und weinen und die intimsten Gefühle kollektiv erleben, in einer Gemeinschaft ein gesellschaftliches Gefühl haben. Das hilft uns sehr, als Gesellschaft zusammenzuwachsen.
Es gibt nicht allzu viele große, namhafte Regisseurinnen aus Italien… noch nicht zumindest. Sie haben natürlich Lina Wertmüller, Alice Rohrwacher… Ist es schwierig, sich Gehör zu verschaffen in einer traditionell sehr männlichen Industrie? Ändern sich hier Dinge?
Paola Cortellesi: Viele haben mich anfangs belächelt und dachten: Ach, jetzt fängt die 50-Jährige, sehr bekannte Schauspielerin auch noch an, Filme zu inszenieren. Dann war die Überraschung groß! Es ist insgesamt noch ein weiter Weg für Frauen in der italienischen Filmbranche, obwohl wir viele sehr talentierte Regisseurinnen haben. Aber die sind international eben noch nicht so bekannt. Ich habe das Gefühl, dass wir Frauen immer doppelt so viel leisten müssen wie die Männer, um etwas zu erreichen. Aber wir können es, wir zeigen es und wir machen weiter.
Das Gespräch führte Barbara Schuster