Der genreerfahrene Filmemacher Fede Alvarez spricht zum Kinostart von „Alien: Romulus“ am Donnerstag über den besten Tipp, den ihm Executive Producer Ridley Scott gab und dass er ganz im Sinne des Originals ein B-Movie, aber in A-Plus-Qualität umsetzen wollte.
Das „Alien“-Franchise spiegelt den Zeitgeist: War der erste Teil noch von der Paranoia der späten 1970er-Jahre geprägt, kam der zweite Teil fast wie ein Kriegsfilm der Reagan-Ära daher. Welche Stimmung inspirierte Sie zu „Alien: Romulus“, den Sie nicht nur inszenierten, sondern mit Rodo Sayagues auch schrieben?
Fede Alvarez: Ich könnte Vermutungen anstellen. Rückblickend erscheint uns klar zu sein, wovon die vorherigen „Alien“-Filme erzählten, weil wir uns Jahrzehnte später befinden und den nötigen Abstand haben. Aber über den heutigen Zeitgeist zu sprechen, ist schwerer. Ich denke auch nicht, dass James Cameron die ganze Zeit bei den Dreharbeiten dachte: Klar, mein Film handelt von Vietnam. Heute sagt er das. Mit den Jahren wird auch klar werden, welche Zeit „Alien: Romulus“ inspirierte und warum ich zum Beispiel dachte, dass diese Geschichte mit diesen deutlich jüngeren Figuren als in den anderen Filmen der richtige Ansatz ist. Es sind Kinder, die den Zwängen ihrer Gesellschaft entkommen wollen. Sie leben in einer Kolonie, in der es keine Zukunft gibt. Entweder werden Sie Bauern oder Minenarbeiter. Wahrscheinlich würden sie sterben, wenn sie sich noch länger dort aufhielten, weil schon viele Menschen vor ihnen bei dieser Arbeit starben. Es ist eine gescheiterte Gesellschaft, aus der sie entkommen wollen. Das ist ein Zustand, mit dem sich heute viele Menschen auf der ganzen Welt identifizieren können, weil alle unsere Vorstellungen, wie heute eine Gesellschaft funktionieren soll, herausgefordert sind. Aber ob das die Essenz dieses Films ist, sollten Sie mich in zehn Jahren nochmal fragen.
Ja, es ist interessant, dass Sie Ihre Protagonisten so jung angelegt haben. Das ist ein Hauptunterscheidungsmerkmal zu den anderen „Alien“-Filmen.
Fede Alvarez: Mich ziehen auf natürliche Weise solche Figuren an. Meine Filme hatte bislang immer Menschen im Mittelpunkt, die ungefähr so alt wie die Kids in „Alien: Romulus“ sind. Mitte zwanzig ist gar nicht so jung. Sigourney Weaver war 29 Jahre alt, als sie „Alien“ drehte. Auch John Hurt war ungefähr so alt, obwohl er älter aussah. Ich wollte zurück zu den Wurzeln des Franchise gehen und dabei das Lowbrow-Element des ersten Teils umarmen: Den Horror, die B-Movie-Struktur, die aber in A-Plus-Qualität umgesetzt wurde. So beschreibt auch Ridley Scott „Alien“. Der erste Teil ist die seltene Ausnahme, dass gar nicht so junge Menschen im Mittelpunkt eines Horrorfilms stehen. Das war ungewöhnlich für die damalige Zeit. Denn die Regel lautet: Umso jünger die Figuren sind, umso härter ist es auch, sich anzuschauen, wie sie sterben, richtig? Deswegen ist Horror meistens effektiv, wenn die Figuren jünger sind. Es wäre eine Dummheit gewesen, überhaupt nur den Versuch zu wagen, das zu tun, was der erste Teil schaffte. Ich habe so junge Protagonisten gewählt, damit der Horror noch angsteinflößender ist, der ihnen passiert.
Sie hatten die Legende Ridley Scott als Executive Producer bei „Alien: Romulus“ mit an Bord. Was war ein guter Ratschlag, den er Ihnen mit auf den Weg gab?
Fede Alvarez: Es waren gar nicht so sehr Ratschläge, sondern vielmehr Warnungen. Sachen, die er bei seiner Arbeit an „Alien“ herausgefunden hatte, bei denen er sicher gehen wollte, dass ich nicht dieselben Fehler mache. Eine dieser Warnungen war: Das ist kein Film, den man nur über das Regieführen umgesetzt bekommt. Damit meinte er: Es gibt unterschiedliche Arten von Regisseuren. Den Regisseur, der im Regiestuhl sitzt und den Menschen am Set sagt, was sie zu tun haben. Dann gibt es eher den Typ Filmemacher, der den Film im wahrsten Sinne des Wortes selbst macht. Die „Alien“-Filme seien Filmemacher-Filme, bei denen die eigenen Fingerabdrücke im ganzen Film zu finden sein müssten, lautete Ridleys Credo. In „Alien: Romulus“ war ich zum Beispiel selbst der Puppenspieler der Animatronics. Die Face Hugger, die man in der Wassersequenz prominent sieht, habe ich alle selbst mit der Hand gespielt, die Kamera davor gepackt, um zu herauszufinden, wie es am besten und echtesten aussieht. Das war nie der ursprüngliche Plan. Die Dinger sollten sich gar nicht so viel im Wasser bewegen. Aber dann sagte ich: Wartet mal. Ich beschäftigte mich eine Stunde mit den Face Huggern und sagte dann: So kann es klappen. Bei solch einem Filmprojekt muss man in nahezu jeden Prozess involviert sein. Der zweite Teil „Aliens“ war angesichts des vorhandenen Geldes eine Low-Budget-Produktion für die damalige Zeit. Der Regisseur James Cameron sagte, er hätte weder Zeit noch Ressourcen gehabt. Um es aber doppelt so teuer aussehen zu lassen, baute Cameron die Sets mit dem Team. Solch ein Werk kann man nur mit dem unabhängigsten Geist umsetzen. Geht man solch einen Film als Studioproduktion an, bekommt man nichts für sein Geld. Die visuellen Effekte fressen das Geld sofort auf. Das war ein guter Hinweis von Ridley Scott, so zu arbeiten, als wäre man am Set eines kleinen Films.
Sie haben „Alien: Romulus“ in Ungarn gedreht. Brachte das besondere Herausforderungen mit sich?
Fede Alvarez: „Alien: Romulus“ war ein Film, der ganz hauptsächlich im Studio gedreht wurde. Wir haben nur wenig on location gefilmt. Die Film-Crew in Ungarn ist absolute Spitzenklasse. Die Leute, mit denen wir zusammenarbeiteten, hatte vorher „Blade Runner 2049“, den ersten und den zweiten „Dune“-Teil gedreht. Als sie mit „Dune“ fertig waren, haben sie direkt bei uns weitergearbeitet. Um solch eine Crew zu haben, müsste man selbst in den USA sehr gut suchen. Ungarn war als Ort keine Herausforderung. Aber wenn man etwas Ambitioniertes schreibt, sollten sich Herausforderungen im Drehbuch verstecken, die Fragen am Set aufwerfen, wie das denn umzusetzen sei. Wenn ich Drehbuchschreiber bin, setze ich mir keine Grenzen im Kopf, sondern schreibe genau das, was ich auch gerne als Kinopublikum sehen will. Um die Umsetzung muss sich dann der Regisseur kümmern. Dann übernehme ich als Regisseur und frage mich, warum ich mir selbst eine so schwere Aufgabe gestellt habe. Unser Film hatte viele Szenen in der Schwerelosigkeit. Das ist nicht einfach umzusetzen, insbesondere wenn auch Säure-Blut und Menschen durch die Gegend fliegen.
Sie scheinen für Hollywood einer der Spezialisten für Franchises zu sein, wenn man sich nicht nur „Alien: Romulus“, sondern auch die Stieg-Larsson-Verfilmung „Verschwörung“ oder Ihre Tätigkeit als Produzent bei „Texas Chainsaw Massacre“ anschaut. Sie haben aber auch die so originelle wie fantastische Apple-TV+-Serie „Calls“ gemacht. Finden Sie in den Franchises genügend Möglichkeiten für kreative Freiheit?
Fede Alvarez: Absolut. Bislang habe ich auch noch nicht an einem Franchise gearbeitet, in dessen Universum es zu viele Regeln zu befolgen und es zu viele Aufpasser gibt. Ich habe „Alien: Romulus“ mit demselben unabhängigen Geist gemacht wie meinen früheren Film „Don’t Breath“. Ich arbeite mit dem Studio zusammen. Ich habe vom Studio her einen Produzenten als Ansprechpartner, mit dem ich die Zusammenarbeit liebe. Umso mehr Studio-Menschen gleichzeitig mitsprechen, umso schlechter werden die Filme. Von solchen Projekten halte ich mich fern. Ja, „Don’t Breath“ oder „Calls“ sind meine Geschichten. Ich habe den Drehbuchprozess geliebt. Und ich finde auch, dass „Calls“ wunderschön geworden ist. Gleichzeitig bin ich aber auch mit den ganzen Filmklassikern aufgewachsen und war immer Fan. Schon früher war, „Alien“-Regisseur zu werden, ein begehrter Job, auch wenn ich denke, dass die Angelegenheit früher noch komplizierter war als heute. Ich bin zum Beispiel gut mit Sam Raimi befreundet. Damals wollte er „The Phantom“ als Film machen, konnte aber nicht die Rechte bekommen und drehte dann „Darkman“. Aber nicht, dass es heute einfach wäre, solche Filme wie „Alien: Romulus“ zu machen.
Die Welt kann nach dieser längeren Pause auf jeden Fall wieder einen guten „Alien“-Film vertragen.
Fede Alvarez: Ich mag jeden „Alien“-Film. Für mich haben sie alle etwas Spezielles. Manche funktionieren besser als andere. Ich glaube, dass „Alien: Romulus“ eine Rückkehr zur alten Form ist, insbesondere was seine Simplizität angeht. Wir erzählen auf einfache Weise und geradeaus eine Survival-Horror-Geschichte.
Das Interview führte Michael Müller