Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes für Film- und Fernsehdramaturgie (VeDRA), Enrico Wolf, spricht im Interview über den Kampf für mehr Sichtbarkeit seines Gewerks und die Highlights der am 9. November stattfindenden Konferenz „FilmStoffEntwicklung“.
Wie geht es dem Verband für Film- und Fernsehdramaturgie (VeDRA)?
Enrico Wolf: Unserem Verband geht es sehr gut. Im Jahr 2002 wurden wir in München gegründet und sind von daher eher noch ein jüngerer Verband. Wir haben selbst für ein so kleineres Gewerk stetig wachsende Mitgliederzahlen. Aktuell sind es rund 170 Mitglieder. Was mich als Mitglied des Vorstands freut, ist, dass wir eine unheimlich aktive und agile Basis haben. Es gibt einen großen Kern von Mitgliedern, der sich bei uns engagiert. Das hilft uns, viele Dinge umzusetzen, die für diese Größe nicht selbstverständlich sind. So haben wir mit dem „Wendepunkt“ ein eigenes Online-Fachmagazin, das sich explizit der dramaturgischen Debattenkultur widmet und immerhin knapp 3.000 Abonnenten pro Ausgabe erreicht. Genauso wichtig sind für uns unsere verschiedenen Veranstaltungen, die wir umsetzen.
Welche wären das zum Beispiel?
Enrico Wolf: Wir sind auf Podien unterwegs, haben aber auch eigene Diskussionsveranstaltungen, die teils separat, teils aber auch an Branchenveranstaltungen angedockt organisiert sind. Ganz wichtig dabei: Unsere große eigene Konferenz „FilmStoffEntwicklung“, die wir dieses Jahr schon zum zehnten Mal veranstalten.
Wie ist das Standing des Verbandes in der Branche? Wie fühlen Sie sich wahrgenommen?
Enrico Wolf: Zunächst grenzen wir uns als Gewerk von den Drehbuchautoren ab, auch wenn das die Branchenpartner sind, mit denen wir am engsten zusammenarbeiten. Zu unserem Verband zählen aber nicht nur Dramaturginnen und Dramaturgen, sondern auch Development Producer, Heads of Development, Script Consultants und all jene, die im Lektorat arbeiten. Das ist ein oft stark unterschätzter Bereich. Die Lektorinnen und Lektoren lesen die zahlreichen Drehbücher, die bei Produzenten, Verleihern oder Sendern eingehen. Es gibt aber auch Drehbuchautor:innen, die uns beauftragen, weil sie eine kritische Einschätzung von außen haben wollen. Viele kennen und arbeiten mit uns. Aber es gibt in der Branche auch immer wieder Menschen, bei denen wir uns vorstellen müssen. Wir legen Wert darauf, dass die Drehbuchautoren kreativ schöpfen und wir, die solche Entwicklungs- und Schreibprozesse begleiten, dabei beraten und moderieren. Nur so kann man partnerschaftlich Drehbücher entwickeln.
„Solch eine Arbeit gehört vernünftig bezahlt, aber auch in den Credits berücksichtigt.“
Enrico Wolf
Wünschen Sie sich dahingehend noch mehr Sichtbarkeit, zum Beispiel in den Credits bei Film- und Serienprojekten?
Enrico Wolf: Damit sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Das Publikum kennt ja selten die Namen der Drehbuchautoren. Daneben haben wir ein noch größeres Wahrnehmungsdefizit, bei dem wir uns als Berufsverband stark dafür einsetzen, dass unsere Arbeit sichtbar und anerkannt wird. Wir haben dahingehend an einer Credit-Richtlinie gearbeitet, die es auf unserer Internetseite zum Abruf gibt. Mit der sind wir proaktiv auf alle Branchenpartner zugegangen und sagten: Wir sind da und leisten einen wichtigen Beitrag. Wir sind ein Gewerk, das wichtig für den Erfolg eines Projekts ist. Solch eine Arbeit gehört vernünftig bezahlt, aber auch in den Credits berücksichtigt. Das ist aber ein Kampf, den man ständig führt. Von dem Problem mit der Nennungsverpflichtungen können sicherlich auch andere Gewerke ein Lied singen. Im Kino ist es ein bisschen leichter, weil es dort mehr Platz im Abspann gibt. Beim Fernsehen kämpft man mit den immer kürzer und immer kleiner und damit auch schlechter lesbar werdenden Abspännen.
Wie fielen die Reaktionen auf Ihr proaktives Zugehen auf die Branchenvertreter aus?
Enrico Wolf: Tatsächlich haben sich mit Sendern Gespräche ergeben. So konnten wir erreichen, dass unsere Berufskategorien überhaupt in den Gewerkslisten für die Abspänne auftauchen. Aber es ist eine Angelegenheit, bei der man bei jedem Projekt aufs Neue daran erinnern oder darauf beharren muss.
Ihre eigene Konferenz „FilmStoffEntwicklung“ findet am 9. November statt. Welche Themenfelder brennen Ihren Mitgliedern am meisten unter den Nägeln?
Enrico Wolf: Das Interessante an unserer Tagung ist, dass sie vom Programm her aus der Mitte unseres Verbandes heraus entwickelt wird. Jedes Panel und jede Diskussion wurden von Mitgliedern selbst vorgeschlagen und organisiert. Die Mitglieder überlegen sich die Themen und Fragestellungen und suchen sich auch die Gäste aus, mit denen sie diese diskutieren wollen. Von daher spiegelt das Programm gut die Wetterlage in der Branche wider. Zumal die Stoffentwicklung immer zwei bis drei Jahre der anderen Entwicklungen voraus ist. Was wir jetzt entwickelt, wird erst in einigen Jahren auf den Bildschirmen und Leinwänden gesehen.
Was passiert bei Ihnen zum Trendthema Künstliche Intelligenz?
Enrico Wolf: KI ist auch bei uns ein Riesenthema. Diese technischen Entwicklungen und Möglichkeiten lassen uns nicht kalt. Oliver Schütte moderiert auf unserer Konferenz zu diesem Thema ein Panel. Aber wir sitzen bei dem Thema nicht wie das Kaninchen vor der Schlange. Sicher gibt es dabei auch Sorgen, was unseren Berufsstand angeht, wenn man per Knopfdruck ganze Bücher entwickeln oder lektorieren kann. Aber wir haben Mitglieder, die sich dem Thema ganz offensiv und mit großer Lust widmen. Im Verband gibt es zum Thema KI auch eine Arbeitsgruppe. Dazu stehen wir mit dem Deutschen Drehbuchverband (DDV) im engen Austausch, um das Ganze mitzugestalten. Die Stimmung ist: Na ja, jetzt gibt es KI. Aber es braucht immer Menschen, die KI anwenden oder steuern können. Mein Gefühl ist, dass nach einer ersten Euphorie und Überraschung vielleicht sogar ein bisschen eine Ernüchterung eingetreten ist, was möglich ist und was nicht.
Gibt es ein übergreifendes Thema der Tagung?
Enrico Wolf: FilmStoffEntwicklung ist thematisch vielfältig konzipiert. Uns ist aber sehr bewusst, dass unsere Tagung am 9. November stattfindet: in Deutschland ein wichtiger Erinnerungstag wegen der Reichspogromnacht und dem Sturz der Mauer. Bei uns Dramaturgen ist sehr im Bewusstsein, wie stark die aktuelle politische Diskussion in Stoffe hineinragt. Wir haben den Film „In Liebe, Eure Hilde“ im Programm. Drehbuchautorin Laila Stieler wird zu Gast sein. Ich selbst werde ein Panel moderieren zu der Frage, wie wir Ostdeutschland im deutschen Fernsehen erzählen. Es gibt zudem noch ein sehr interessantes Panel von Julia Grünewald, die sich die Frage nach den Geschichten des Gelingens stellt und wo diese eigentlich abgeblieben sind. Wo sind die Geschichten der Utopien hin? Warum verharren wir so in einem Erzählen von Krisen und Negativität? Das ist eine Programmfarbe, die wir nicht jedes Mal haben und auf die ich mich sehr freue.
Die „Orange Is the New Black“-Showrunnerin Jenji Kohan forderte bei der Seriesly Berlin Masterclass auch die junge Generation an Drehbuchautorinnen und Drehbuchautoren dazu auf, endlich mit den Dystopien aufzuhören.
Enrico Wolf: Das ist eine Frage, die wir uns im Verband schon seit zwei, drei Jahren stellen. Corona semmelte der Gesellschaft mit den wirtschaftlich verheerenden Folgen auch nochmal eine rein. Es ist offensichtlich, dass die kursierenden gesellschaftlichen Narrative die aktuelle politische Situation mithervorrufen. Es geht gerade viel um Krisenargumentationen und negative Erzählungen. Ich glaube, dass man diese Situation nicht überwinden kann, indem man das einfach nachplappert und wiederholt. Wenn man dem begegnen will, müssen wir andere Geschichten erzählen! Nur wenn wir der gegenwärtigen Stimmung positive Geschichten gegenüberstellen, kriegen die Menschen eine Alternative zu dem, was wir da gerade draußen erleben.
Das Interview führte Michael Müller