In Sachen Förderreform geht es jetzt ums Ganze – und der CEO der Produktionsallianz legt im Gespräch mit SPOT dar, weshalb er allen Zweifeln in der Branche zum Trotz am Glauben festhält, dass eine pünktliche Reform aus einem Guss noch möglich ist. Zugleich bezieht er Stellung zu „zähen Tarifverhandlungen“, in denen sich sein Verband befindet.
Die Woche des Deutschen Filmpreises soll – zumindest hinter den Kulissen – auch zur heißen Woche für die Förderreform werden. Die Anspannung könnte kaum größer sein, schließlich verlautet auch aus Reihen der Koalition schon seit Herbst vergangenen Jahres wiederholt, dass der Zeitplan wenigstens „extrem sportlich“ sei. Mitunter scheint sich zusehends der Eindruck zu verfestigen, dass damit mittlerweile „unrealistisch“ gemeint sein könnte. Die Möglichkeiten, über den BKM-Haushalt gegenzusteuern, sollten notwendige Abstimmungen mit dem Finanzministerium und den Ländern nicht rechtzeitig erfolgen, dürften unterdessen begrenzt sein. Denn dass der BKM-Etat von Sparauflagen verschont werden könnte, steht nicht zu erwarten. Ganz im Gegenteil: In den vergangenen Wochen geisterte die enorme Summe von bis zu einer halben Milliarde Euro, um die es dem künftigen BKM-Etat an den Kragen gehen könnte, als Gerücht durch manche Gespräche. Seinen Optimismus und den festen Glauben an eine Umsetzung der ambitionierten Reformpläne von Kulturstaatsministerin Claudia Roth will Björn Böhning, CEO und Vorstandssprecher der Produktionsallianz, dennoch nicht aufgeben, wie er im Gespräch mit SPOT darlegt.
Anlässlich des Filmtheaterkongresses hat FFA-Vorstand Peter Dinges unlängst erneut skizziert, weshalb er die Reformpläne der BKM für einen großen Wurf hält. Können Sie ihm Stand heute da zustimmen?
Björn Böhning: Was Claudia Roth als Konzept vorgelegt hat, ist in jedem Fall ein großer Wurf. Die Frage des Gelingens dieser Reform wird über das filmpolitische Erbe der Bundesregierung entscheiden. Umso wichtiger ist es, entschieden die weiteren Schritte zu gehen. Die Kabinettsbefassung mit dem FFG ist auf den 22. Mai terminiert, jetzt müssen möglichst schnell Kabinettsentwürfe für Investitionsverpflichtung und Steueranreizmodell folgen. Ich kann das nicht genug betonen: Die Politik muss aufs Tempo drücken! Denn wir haben nicht mehr viel Zeit – und es sind ja nicht nur die Produzentinnen und Produzenten, die dringend auf das klare Signal warten, dass zum 1. Januar 2025 eine echte strukturelle Reform erfolgt. Das ist gerade auch für die Beschäftigten wichtig.
Wie entscheidend aus Sicht der Produktionsallianz vor allem die Säulen einer Investitionsverpflichtung und eines zeitgemäßen Anreizmodells sind, hat sie gerade noch einmal im Verbund mit Deutscher Filmakademie, Produzent*innenverband und AG DOK nachhaltig betont. Wie beurteilen Sie nach jetzigem Stand noch die Chance, dass beide zum Stichtag umgesetzt werden?
Björn Böhning: Es lässt sich nicht leugnen, dass die Nervosität im Markt hoch ist, dass es weitreichende Befürchtungen gibt, diese grundlegende Strukturreform könne noch verstolpert werden. Deswegen ist es zum einen notwendig, dass die Branche geschlossen hinter den Reformansätzen steht und dass die Pläne nicht aufgrund von Diskrepanzen im Detail zerredet werden. Dabei sind wir auf einem guten Weg, denke ich. Zum anderen ist es entscheidend, dass sich die Politik unterhakt. Nicht nur in der Bundesregierung, sondern gerade auch im Verhältnis von Bund und Ländern – das wäre ein enorm wichtiges Signal. Ich halte eine Umsetzung der ambitionierten und wirklich zielführenden Pläne unserer Kulturstaatsministerin nach wie vor für möglich. Sowohl politisch als auch zeitlich. Aber Zeit gilt es wirklich keine mehr zu verlieren. Wir sprechen doch vom klar bekundeten Willen aller Beteiligten, Deutschland endlich wieder auf die Produktionslandkarte Europas zu setzen. Wo der Wille ist, muss auch der Weg sein!
„Wenn diese Reform nicht aus einem Guss käme (…), wäre das ein Fiasko für die Produktionswirtschaft.“
Björn Böhning
Nur einen Tag vor unserem Gespräch hat sich Bayerns Medienminister Florian Herrmann noch einmal grundsätzlich für das Drei-Säulen-Modell ausgesprochen. Gerade zur Investitionsverpflichtung gibt es seitens der Länder aber auch kritische Signale, insbesondere was die Einbindung der Öffentlich-Rechtlichen anbelangt. Wie beurteilen Sie den Rückhalt auf Länderebene für diesen Teil des Reformplans?
Björn Böhning: Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten mit Vertreterinnen und Vertretern der allermeisten Länder gesprochen und kann daher aus voller Überzeugung sagen, dass in jedem einzelnen Land große Bereitschaft herrscht, die Reform zum Erfolg zu führen. Niemand, wirklich niemand will sich prinzipiell dagegenstellen, weder aus politischen noch aus finanziellen Beweggründen. Aber klar ist auch: Es gibt noch Gesprächsbedarf, den die Bundesregierung schnellstmöglich bedienen sollte. Das dreht sich vor allem um drei Kernfragen: Wie hoch sind die potenziellen Steuerausfälle bei den Ländern – und wie hoch sind die potenziellen Mehreinnahmen durch zusätzliche Produktionen? Dazu bedarf es noch überzeugenden Zahlenmaterials. Zweitens: Kann man die Sender aus der Investitionsverpflichtung heraushalten? Was gibt der Rechtsrahmen an dieser Stelle her? Unsere Position ist, dass ein solcher Schritt die Tür zum Gang nach Karlsruhe weit aufstoßen würde. Den Unterschied zwischen dem Streamingdienst einer Plattform und der Mediathek eines Senders zu begründen, bedürfte schon sehr starker rechtlicher Argumente. Und Drittens stellt sich die Frage: Wie verhält sich das mit den Subquoten? Will man beispielsweise eine Kinoquote einführen, oder nicht? Da gibt es auf Länderebene sehr unterschiedliche Positionen, die jetzt diskutiert werden.
Sie sprachen gerade von Zahlenmaterial: Woran mangelt es denn konkret? Studien zu den Auswirkungen von Anreizmodellen gibt es doch beinahe wie Sand am Meer…
Björn Böhning: Im Prinzip ja, sogar sehr aktuelle. Sie alle belegen einen enormen Multiplikatoreffekt: Von jedem investierten Euro fließt das Drei- bis Sechsfache in die hiesige Wirtschaft zurück. Das bedeutet einen enormen Wertschöpfungseffekt, der sich nicht nur in höheren Steuereinnahmen, sondern auch in einem Plus an Beschäftigung ausdrückt. Wichtig wäre es, schnellstmöglich eine auf die Länderebene heruntergebrochene Betrachtung vorzulegen. Auch sie wird zeigen, dass sich ein Anreizmodell für die Filmbranche für alle Beteiligten lohnt.
Wobei die von Ihnen genannte Bandbreite durchaus erheblich ist…
Björn Böhning: Das mag sein, aber das Entscheidende ist: Selbst konservativ betrachtet ist glasklar, dass jeder investierte Euro ordentlich Geld wert ist. Ich denke, dass leuchtet auch den Finanzminister:innen in den Ländern ein, denn sämtliche Erfahrungen aus der Vergangenheit sprechen eine klare Sprache.
Wie sehr treibt Sie dennoch die Sorge um, dass neue Modelle zulasten der regionalen Fördertöpfe gehen könnten – etwa dann, wenn Sender eine Investitionsverpflichtung über eine Reduzierung ihrer Beiträge kompensieren wollen?
Björn Böhning: Auch das ist eine Diskussion, die zwischen Bund und Ländern stattfindet. Seitens der Produktionsallianz sind wir für den Ansatz offen, Beiträge zu den Länderförderungen auf die Investitionsverpflichtung anzurechnen, sodass kein Rückgang der freiwilligen Beiträge zu den Fördertöpfen erfolgt. Wobei man aber auch sagen muss: In regionale Förderungen zu investieren, ist ja keine Philanthropie. Wir wissen, dass sich das für Sender oder Streamer durchaus lohnt, schließlich fließen entsprechende Förderungen in ihre Produktionen zurück. Das Engagement ist also eine ganz konkrete materielle Unterstützung für eigene Programme. Schon deshalb denke ich, dass großes öffentliches Geheul fehl am Platze ist. Wir sollten lieber sachlichen Argumentationen folgen.
„Ein klares Statement der beiden entscheidenden Ministerien wäre das Signal, dass die Branche jetzt braucht.“
Björn Böhning
Ohne den Teufel an die Wand malen zu wollen – aber was wären die potenziellen Folgen für die Produktionswirtschaft, sollten einzelne Säulen nicht oder erst verspätet umgesetzt werden?
Björn Böhning: Wenn diese Reform nicht aus einem Guss käme, sondern nur das FFG reformiert würde, wäre das ein Fiasko für die Produktionswirtschaft und den Standort. 2023 war ein wirklich schwieriges Jahr, geprägt von hohen Kosten und geringen Auftragsvolumina – und 2024 hat sich die Situation verschärft. Die Kosten sind weiter gestiegen, Sender und Streamer haben ihre Aufträge noch weiter zurückgefahren. Aktuell befindet man sich förmlich in einer Art Schockstarre, Produktionen werden verschoben, weil sie nicht finanzierbar sind, zum Beispiel in das kommende Jahr, in der Erwartung der Umsetzung der Reform. Oder – und das ist der „worst case“ – ins Ausland. Sollten sich die Finanzierungsbedingungen hierzulande also nicht wie erwartet schlagartig verbessen, muss man von einem ganz erheblichen Flurschaden für den deutschen Produktionsmarkt und den Standort ausgehen. Wir sprechen von einem signifikanten Abbau von Produktionskapazitäten und Arbeitsplätzen. Deutschland droht dann auf Dauer von der film- und kulturindustriellen Landkarte gestrichen zu werden.
Selbst für den Fall eines pünktlichen Inkrafttretens des Anreizmodells bedürfte es doch eines gewissen Vorlaufs, bis dadurch incentivierte internationale (Ko-)Produktionen nach Deutschland kämen. Ist 2025 für den Standort also so oder so noch ein Durchhaltejahr?
Björn Böhning: Das hoffe ich nicht. In der Erwartung baldiger positiver Signale wird 2024 für kreative Entwicklung genutzt, um 2025 dann voll loslegen zu können. Natürlich benötigt ein neues Fördermodell immer eine gewisse Zeit, bis sich die Anreizeffekte realisieren, das haben wir gerade erst in Österreich beobachtet. Was wir etwa in Frankreich aber auch gesehen haben: Wenn die Weichen richtig gestellt sind, geht es dann doch sehr schnell. Einerseits, weil die großen Studios die Märkte sehr genau beobachten und entschlossen darauf reagieren, wenn gute Förderbedingungen auf entsprechende Kapazitäten und hervorragende Fachkräfte treffen. Andererseits sind lokale Produktionen, die bislang nur aus Kostengründen nicht realisiert werden konnten, schnell am Start. Tatsächlich haben wir einen Produktionsstau in Deutschland: Projekte liegen im Entwicklungsstadium in den Schubladen, sind aber noch nicht finanzier- und umsetzbar. Um diesen Stau abzubauen, benötigen wir die Förderreform.
Umso wichtiger wäre es in dieser Situation, wenigstens ein Signal aus dem Bundesfinanzministerium zu erhalten?
Björn Böhning: Wichtig wäre tatsächlich, dass Claudia Roth und Christian Lindner gemeinsam öffentlich dazu Stellung beziehen, dass sie die Reform wollen. Über Details kann man dann immer noch diskutieren, das ist der normale politische Prozess. Aber ein klares Statement der beiden entscheidenden Ministerien wäre das Signal, dass die Branche jetzt braucht.
Andere Teile der Branche sehen die Produktionswirtschaft als den großen (potenziellen) Gewinner der Reform – auch zulasten anderer Bereiche. Wie beurteilen Sie das?
Björn Böhning: Als Lobby-Geschrei, denn es ist einfach nicht richtig. Klar ist doch, dass wir als Branche insgesamt nur erfolgreich sein werden, wenn der Kuchen für alle größer wird. Alle Beteiligten der Filmindustrie können und sollen ihren Beitrag dazu leisten, dass wieder mehr Zuschauer:innen in deutsche Kinofilme gehen oder mehr deutsche Produktionen im TV und auf Streaming-Plattformen sehen. Insofern unterstützen wir die Forderungen nach mehr Investitionsvolumen für die Kinos und ebenso die Position der Verleiher, dass mehr in die Bewerbung und den Vertrieb von Kinofilmen investiert werden muss. An dieser Stelle wird man uns stets solidarisch an der Seite haben. Niemand sollte aber das Lied des Neides anstimmen, sondern alle gemeinsam am Erfolg der Reform arbeiten.
Der FFG-Entwurf adressiert nicht zuletzt an verschiedenen Stellen soziale und ökologische Belange, unter anderem über den § 80, der „angemessene Beschäftigungsbedingungen“ vorschreibt. Etwas, auf das die Produktionsallianz auch ohne förderrechtlichen Druck hinwirkt?
Björn Böhning: Absolut, schließlich sind wir der Tarifpartner für die gesamten Film- und Fernsehschaffenden in Deutschland – und selbstverständlich ist unsere Position, dass gute Qualität auf ordentlichen Arbeitsbedingungen basiert. Deswegen werben wir auch im Sinne einheitlicher Regelungen sehr stark für Tarifbindung oder zumindest eine Anlehnung an den Tarifvertrag der Film- und Fernsehschaffenden. Denn man muss auch feststellen: Den Tarifvertrag zu unterlaufen, bedeutet, sich zulasten anderer, tariftreuer Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Sich gegenseitig bei den Arbeitsbedingungen zu unterbieten, kann keinesfalls der richtige Weg sein. Wir selbst sorgen im Verhandlungsweg für angemessene Bedingungen, aber ich denke schon, dass das Signal der Bundesregierung im neuen FFG eines ist, das in der Branche ankommt – und auf das reagiert wird.
„Wir sind nicht bereit, auf Basis bloßer Annahmen zu verhandeln.“
Björn Böhning
Wie beurteilen Sie den Stand bei den Tarifverhandlungen mit BFFS und ver.di? Wo sind die Knackpunkte?
Björn Böhning: Es sind, das muss ich so offen sagen, zähe Verhandlungen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Lage auf dem Produktionsmarkt schlicht so prekär ist, wie ich sie beschrieben habe. Natürlich sehen wir, dass die Inflation auch an den Beschäftigten nicht spurlos vorbeigeht. Aber angesichts der Auftrags- und Kostenlage müssen wir uns mit der Frage befassen, inwieweit wir bei den Gagen ein Stück Zurückhaltung üben können, um Beschäftigung zu sichern bzw. überhaupt weiter zu ermöglichen. Wir sprechen darüber, ob es andere Arbeitszeitmodelle geben kann und soll, ob die von ver.di geforderte Vier-Tage-Woche umsetzbar wäre – und wenn ja, wie. Und wir sprechen über einen Alterssicherungs-Tarifvertrag, was in einer Branche mit vielen unsteten Beschäftigungsverhältnissen natürlich ein erhebliches Asset wäre. All das sind Kostenfaktoren, die für die Unternehmen abbildbar sein müssen. Klar ist: Die Forderungen von BFFS und ver.di summieren sich nach unseren Berechnungen in Summe auf eine Lohnerhöhung von etwa 40 Prozent. Das ist keine Größenordnung, die mit den Produzentinnen und Produzenten machbar ist. Es geht rein faktisch einfach nicht.
Was Sie nicht erwähnt haben, ist das Thema KI. Wo stehen die beiden Seiten denn an dieser Stelle?
Björn Böhning: Beim Thema KI sind wir noch sehr weit auseinander. Wir finden es dem Grunde nach richtig, dafür tarifvertragliche Strukturen zu schaffen. Gleichzeitig ist aber noch sehr unklar, wo und wie KI in der Produktion perspektivisch eingesetzt wird. Wir können nachvollziehen, dass Regeln für den Bereich des Schauspiels nötig sind – und ich bin sicher, dass wir zu Vereinbarungen etwa hinsichtlich der Frage kommen, wie mit dem Einsatz „künstlicher Darsteller“ umgegangen wird. Aber noch ist völlig unklar, in welchem Ausmaß der Einsatz von KI – der seinerseits Investitionen erfordert – tatsächlich zu Produktivitätsreserven und Vergünstigungen führt. Das wissen wir unter Umständen erst in einigen Jahren. Deswegen sind wir nicht bereit, vorab auf Basis bloßer Annahmen zu verhandeln – das ist das Kernproblem.
Die Enthüllung des KI-Tools „Sora“ im Vorfeld der Berlinale hat durchaus Wellen geschlagen, in den USA wurde sogar ein geplanter, 800 Mio. Dollar schwerer Ausbau eines Studios in diesem Zuge erst einmal auf Eis gelegt. So sehr man auf Produktionsseite auf Einsparungen hofft: Droht nicht auch klassischen Produktionsunternehmen Gefahr durch die Perspektiven virtueller, KI-gestützter Produktion?
Björn Böhning: Es steht außer Frage, dass sich der Markt durch KI dramatisch verändern wird – und dass das auch für Produktionsmodelle gilt. Das ist tatsächlich auch der Grund dafür, weshalb wir kein Moratorium, kein tarifvertragliches Stoppschild für den Einsatz von KI wollen. Wir wollen, dass Unternehmen auch in Deutschland KI-Tools und -Mechanismen nutzen können. Wir wollen sie produktiv einsetzen und letztlich auch eigene Tools entwerfen. Denn es ist entscheidend, wie man sich in Deutschland zu dieser Entwicklung positioniert: Wollen wir selbst Innovationstreiber sein? Oder wollen wir nur abwarten, was in den USA und anderswo geschieht – um dann in der zweiten Reihe zu stehen, nur Abnehmer zu sein? Wir haben diese Grundsatzentscheidung getroffen: Wir wollen Innovationstreiber sein.
„Wenn wir den Zug jetzt verpassen, ist Deutschland abgehängt.“
Björn Böhning
Vor wenigen Tagen hat sich die Produktionsallianz noch einmal unmissverständlich gegen Antisemitismus positioniert. Ist das ein Thema, dass die Mitgliedsunternehmen auch im Tagesgeschäft umtreibt – etwa am Set?
Björn Böhning: Leider sehr, deswegen haben wir uns noch einmal zu dieser klaren Botschaft entschieden. Wir bedauern, dass die Auseinandersetzung um dieses Thema auch innerhalb von Produktionen eine Rolle spielt, dass es Berichte darüber gibt, dass einzelne Beschäftigte aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen nicht mehr miteinander arbeiten wollen. Wir sehen aber auch, dass Kritik an israelischer Politik und tatsächlicher Antisemitismus nicht auseinandergehalten werden, sondern in einen Topf geworfen werden. Auch dagegen verwehren wir uns. Fest steht: Aus der Geschichte der deutschen Produktionswirtschaft, die in der NS-Zeit auch als Propagandainstrument genutzt wurde, erwächst eine historische Verantwortung, jeglichen antisemitischen Bewegungen entgegenzutreten.
Sollte eine explizite Antisemitismus-Klausel Teil von Förderregularien werden?
Björn Böhning: Das sollten wir gründlich und nicht übereilt diskutieren. Ein solcher Schritt würde die Tür dafür öffnen, politische Ziele in die Förderung zu schreiben. Das würde Diskussionen auslösen, die kein Ende kennen. Natürlich gibt es viele sinnvolle Positionen, die man in einen Förderbescheid schreiben könnte, aber wo hört das auf? Nicht zuletzt muss man bedenken, wer auf einen solchen Zug aufspringen könnte – und mit welchen Positionen. Deswegen ist unsere Haltung: Die Bekämpfung von Antisemitismus muss konsequent erfolgen, da sind wir als Branche gefragt. Sie muss aber nicht unbedingt eine Rolle in Förderbescheiden per se spielen. Wir müssen konkrete Antworten finden im Alltag. Klar ist aber auch: Jeglicher Empfänger öffentlicher Fördergelder muss auf dem Boden des Grundgesetzes und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen.
Im Exklusivinterview mit SPOT hat die The Fithian Group angekündigt, einen neuen Produktionsstandort in Europa aufbauen zu wollen. Obwohl man das Land nicht verraten wollte, klang der Hinweis, dass es sich um eines mit einem starken Anreizsystem handelt, nicht nach Deutschland. Ist an dieser Stelle schon eine Chance durch die Lappen gegangen?
Björn Böhning: Welche Chancen sich realisieren lassen und welche am Standort vorbeigehen, hängt ganz und gar von der Frage ab, welche Situation wir am 1. Januar 2025 vorfinden. Es finden jetzt tatsächlich eine ganze Menge an Standortentscheidungen statt – und wir sehen natürlich, dass viele pro Frankreich getroffen werden, weil dort durch die Investitionsverpflichtung und das entsprechende Fördersystem ein sehr gutes Investitionsklima herrscht. Österreich ist als Sitz für internationale Produktionsunternehmen ebenfalls sehr attraktiv geworden, was zusätzlich Druck auf Deutschland ausübt – und dann wären da auch noch Regionen wie das Baskenland, das zuletzt einen veritablen Boom erlebte. Am Ende läuft alles auf die Erkenntnis heraus, die ich noch einmal unterstreichen will: Wenn wir den Zug jetzt verpassen, ist Deutschland abgehängt.
Die letztjährige Herbstumfrage der Produktionsallianz zeichnete ein Bild großer Sorge. Ist diese noch gewachsen – oder hält sie sich die Waage mit der Hoffnung?
Björn Böhning: Aus meiner Sicht ist aktuell ein Stadium des Mutes der Verzweiflung eingetreten. Getrieben einerseits von der Angst, dass sich der Produktionsmarkt in Deutschland ohne die Reform nicht erholen wird. Andererseits aber auch von dem unbedingten Willen und der Kraft, sich in Position für deren Umsetzung zu bringen. Aktuell gilt es, über Wasser zu bleiben, um dann durchstarten zu können. Und das wird geschehen – wenn die Politik ihre Versprechen einlöst.
Marc Mensch