Baltasar Kormákur ist der führende Filmemacher Islands. Mit „Touch“ hat er seinen bisher persönlichsten Film gemacht, der seit Donnerstag in den deutschen Kinos zu sehen ist. Darüber und die Besonderheiten der Produktion sprach SPOT mit ihm, als wir Kormakur in München treffen durften.
Ihre Filme decken das gesamte Spektrum ab. Da stellt sich die Frage: Wie wählen Sie Projekte aus? Was muss ein Stoff haben, dass er Sie als Regisseur reizt?
Baltasar Kormákur: Es gibt viele verschiedene Ansatzpunkte. Meistens ist es auch so, dass ich parallel an fünf oder sechs Projekten arbeite. In diesem Fall kann ich sagen, dass der Film ein Geschenk meiner Tochter war. Buchstäblich. Sie hat mir das Buch geschenkt, das die Vorlage zu „Touch“ bildet. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Ich habe angefangen, darin herumzublättern. Und ich habe die Geschichte nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Sie gefiel mir, weil es mir die Gelegenheit gab, eine Liebesgeschichte zu erzählen, sie aber so zu erzählen, wie ich es für richtig halte. Es hatte all die Zutaten, mit denen ich etwas anfangen konnte.
Was für Zutaten sind das?
Baltasar Kormákur: Es war, als würde ich persönlich angesprochen. Mein Vater ist Spanier, meine Mutter kommt aus Island. Als sie sich kennenlernten, betrat mein Vater ein Restaurant. Ihre Blicke trafen sich, und 18 Tage später haben sie geheiratet, und er ist einfach in Island geblieben. Liebe auf den ersten Blick, so pur wie möglich. Das ist keine Fantasie, es ist absolut real, auch in meinem Leben… Es gab also für mich einen ganz direkten Draht zu der Geschichte, die „Touch“ erzählt. Es ging mir noch um etwas anderes.
„Der Roman gefiel mir, weil er mir die Gelegenheit gab, eine Liebesgeschichte zu erzählen, sie aber so zu erzählen, wie ich es für richtig halte.“
Und das wäre?
Baltasar Kormákur: Wir machen in Island mittlerweile sehr gute Filme. Wir machen aber auch Filme, die sich sehr ähneln, immer schön viel Natur und Landschaft und Tiere. Ich wollte dem eine andere Art von Island entgegensetzen. Natürlich hat sich die Produktion dann als sehr kompliziert erwiesen. Ganz sicher war es die komplizierteste Produktion, in die ich jemals involviert war. Und ich habe „Everest“ gemacht, vor Ort im Himalaya. Das sagt doch alles.
„Touch“ mag wie eine kleine, persönliche Geschichte klingen, aber der Film sieht nicht wie eine kleine, persönliche Produktion aus.
Baltasar Kormákur: Das Lustige ist, dass es überhaupt nicht schwer war, das Projekt auf die Beine zu stellen – in einem Land, in dem Finanzierung notorisch schwierig ist. Manchmal ist es einfacher, eine 100-Mio.-Dollar-Produktion zu stemmen als eine kleine, intime Geschichte. Das hängt immer mit so vielen Parametern zusammen, die man weder kontrollieren noch vorhersehen kann. In Hollywood gibt es dann andere Probleme, mit denen man sich herumschlagen muss. Was immer Hollywood auch sein mag, wohlgemerkt. Ist „Everest“ – mein aufwändigster Film bislang – ein Hollywoodfilm oder ist er britisch oder was auch immer?
Aber Sie wollten von „Touch“ erzählen…
Baltasar Kormákur: Ich habe mir den Roman angesehen, und ich dachte mir sofort: Mal sehen, wird bestimmt die Hölle, wenn man es mit einem Schriftsteller zu tun hat, der an seinem Baby hängt. Schlechte Idee, dachte ich mir. Das Gegenteil war der Fall: Olaf Olafsson war spitze, die Arbeit mit ihm ging wie geschnitten Brot. Ich habe noch nie mit einem Autor so gut zusammengearbeitet. Wir hatten ziemlich schnell eine Fassung, mit der wir zufrieden waren. Wir boten das Drehbuch Focus an, und sie sagten sofort: Wollen wir machen. Weil die Unterstützung in Europa zusätzlich ziemlich gut ist, hatten wir „Touch“ eigentlich ohne Hindernisse auf die Beine gestellt. Ich sage mal so: Es half, dass ich schon so lange erfolgreich im Geschäft bin. Nicht, dass ich einen Freifahrtschein erwarte, aber man hat mit der Zeit einfach den Fuß in vielen Türen und muss nicht jedes Mal wieder von vorn anfangen. Es war auf jeden Fall eine willkommene Überraschung, dass es diesmal so einfach war.
Die Probleme kamen dann also beim Dreh?
Baltasar Kormákur: Ich habe in meiner Karriere schon im Himalaya bei schneidendem Wind und eisigen Temperaturen gedreht und mitten auf dem Ozean. Aber dieser Dreh war viel schwieriger. Einfach weil die Anforderungen so kompliziert werden: Finden Sie mal ein japanisches Restaurant in London, das nach 1969 aussieht. Und so ging das die ganze Zeit. Aber so ist das nun einmal, wenn man eine Geschichte erzählt, die durch verschiedene Länder und die Zeit reist.
„Mein Hauptdarsteller Egill Ólafsson hat Parkinson. Neben seinem Talent war das einer der Gründe, warum ich ihn besetzt habe.“
Gab es Dinge, die Sie nicht umsetzen konnten wie gewünscht?
Baltasar Kormákur: Nein. Ich wusste, dass mein Hauptdarsteller Egill Ólafsson Parkinson hat. Neben seinem Talent war das einer der Gründe, warum ich ihn besetzt habe. Ich denke, dass er sehr zufrieden war, noch einmal die Gelegenheit zu bekommen, eine solche Rolle zu spielen, mit der er sich auch gut identifizieren konnte. Er wollte es unbedingt machen. Und er hat es mit großer Freude und Leidenschaft gemacht. Aber natürlich musste man Abstriche machen wegen seiner Krankheit. Mehr als acht Stunden am Tag waren unmöglich. Ich finde aber, dass ein besserer Film entstanden ist auf diese Weise. Die Umstände beim Dreh übertragen sich auf die Darstellungen im Film. Alles ist schwierig. Einfach nur von einem Stuhl aufzustehen, ist eine Anstrengung für ihn. Aber so ist das Leben. Und den Film hat es für mich interessanter gemacht.
Ein gewisses Maß an Mut gehört aber sicherlich dazu, sehenden Auges mit einem Schauspieler mit einer solch beeinträchtigenden Krankheit zu arbeiten.
Baltasar Kormákur: Überraschungen erlebt man bei jedem Dreh, Dinge, die man nicht vorhergesehen hat und die drohen, eine Produktion aus der Spur zu tragen. Wenn man weiß, dass der Schauspieler Parkinson hat, kann man sich darauf einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen, es möglich zu machen. Hart sind immer nur die Dinge, die man nicht kommen sieht, weil es unmöglich ist, sie kommen zu sehen.
Wie gehen Sie mit solchen Situationen um?
Baltasar Kormákur: Man nimmt sie hin und macht das Beste draus. Was bleibt einem sonst übrig? Bei „Everest“ habe ich eines gelernt: Nimm, was der Berg Dir gibt, und respektiere das. Man kann nicht mit dem Berg kämpfen. Das ist brotlos. Wenn es eine Lawine gibt, dann gibt es eine Lawine, ob mir das gefällt oder nicht. Man muss das hinnehmen, man muss es respektieren. Das ist doch im ganzen Leben so. Mein Hauptdarsteller in „Touch“ war keine Belastung, er stellte kein Problem dar, kein Hindernis. Er war vielmehr ein Geschenk. Man muss mit dem arbeiten, was man vor Augen hat. Dann kommt auch etwas Gutes dabei heraus.
Das Gespräch führte Thomas Schultze.