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Annegret Richter: „Animation ist auch, aber eben nicht nur Kinderunterhaltung“

Annegret Richter ist ein „alter Hase“ in der deutschen Animationsfilmbranche und Festivalszene. Seit diesem Jahr leitet sie das prestigeträchtige Internationale Trickfilm-Festival Stuttgart, kurz ITFS. Was man bei ihrer ersten Runde erwarten darf, verrät sie hier.

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Annegret Richter war als Festivalleiterin beim Filmfest Dresden tätig, leitete den Bereich Animationsfilm beim DOK Leipzig und ist seit 2016 Geschäftsführerin der AG Animationsfilm. Nun ist sie künstlerische Leiterin des ITFS; die kaufmännische Leitung liegt in Händen von Heike Mozer. (Credit: Reiner Pfisterer)

Das ITFS wurde 1982 gegründet, dieses Jahr steht die 31. Ausgabe ab. War es für Sie ein „großes Erbe“, das Sie angetreten haben als Künstlerische Leiterin?

Annegret Richter: Ich bin da relativ entspannt und gelassen, weil ich das Festival schon lange Zeit als Besucherin aber auch als Kuratorin und Moderatorin begleite. Von daher waren mir die Veranstaltung und auch die Mitarbeiter:innen vertraut. Und durch meine Stationen bei anderen Festivals wie DOK Leipzig oder als ehemalige Leiterin des Filmfest Dresden habe ich Erfahrung und weiß, wie Festivals ticken. Ich wusste, was auf mich zukommt, und wusste auch, dass hier ein Team arbeitet, auf das ich mich verlassen kann. 

An Ihrer Seite ist mit Heike Mozer auch eine neue kaufmännische Geschäftsführerin…

Annegret Richter: Heike und ich haben 2023 auf Wunsch der Gesellschafter ein Konzept geschrieben, wie man das Festival zukunftsfähig nach vorne bringen kann. Wie man das ITFS stabil, modern, interessant halten kann. Damit hatten wir bereits ein Handwerkszeug, an dem wir uns orientieren konnten. Interessant ist, dass bereits überall ein Transformationsprozess eingesetzt hat, im Team, im Programm, in uns… wir versuchen gerade, ganz viel anders anzufassen. Das habe ich so nicht kommen sehen. Ich wusste, was auf mich zukommt, aber ich wusste nicht, wie viel Transformation wir tatsächlich anstoßen werden. Dazu gehören Dinge, die man nach außen gar nicht sieht wie die Veränderung von Arbeitsprozessen. Wir versuchen diesesneue Arbeiten hier im Festival mitzudenken.

Auf der Pressekonferenz waren die Schlagworte ein Festival der Vernetzung, der Begegnung zu schaffen. Was muss ein Festival Ihrer Meinung nach leisten?

Annegret Richter: Wir haben im Vorfeld viel Feedback von Filmschaffenden eingeholt, haben gefragt, was vom ITFS erwartet, was gewünscht wird, was gefehlt hat. Am häufigsten fiel das Wort. Hospitality. Es ging darum, wie Filmschaffende und ihre Filme gewertschätzt werden, wie sie willkommen geheißen werden. Wir haben versucht, uns diesbezüglich ein ganzes Stück nach vorn zu bewegen mit der Schaffung eines zentral gelegenen Festivalzentrums zum täglichen Treffen, und allgemein kurzen Wegen zwischen den Locations. Auch das Open Air haben wir umgestaltet, um das Laufpublikum aus der Region besser mit unserem Branchenpublikum zusammenzubringen. Es soll mehr Berührungspunkte geben, Meet-ups, Get-together. Die Filmemacher:innen-Gespräche des Internationalen Wettbewerbs haben wir vor die Wiederholung des Programms gelegt und am Wochenende zeigen wir einige Wettbewerbe noch einmal, damit möglichst viele Menschen die Gelegenheit haben, sich trotzdem fast den kompletten Wettbewerb anzugucken.

Volle Kinosäle (Credit: ITFS/Reiner Pfisterer)

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Es gibt künftig auch mehr Berührungspunkte zwischen ITFS und den parallel stattfindenden Branchenveranstaltungen FMX und Animation Production Days…

Annegret Richter: Die Berührungspunkte gab es schon immer, sie waren nur nicht so  sichtbar bzw. wurden nicht wirklich genutzt. Unseren Trailer und die Key Visuals haben wir so gestaltet, dass sie die Synergien der drei Veranstaltungen sehr gut aufzeigen, und mit der von uns gemeinsam mit APDs und FMX ausgerufenen „Stuttgart Animated Week“ sehen die Menschen nun, dass sich während des Veranstaltungszeitraums fast die gesamte Animationsbranche aus Deutschland und Europa in Stuttgart versammelt. Ein gutes Beispiel, wie ITFS, APDs und FMX ineinandergreifen, ist z.B. auch die Serie „Fritzi und Sophie – Grenzenlose Freundschaft“. Das wir sie hier zeigen ist ein absolutes Herzensprojekt von mir. Die Serie hat Weltpremiere auf dem ITFS und die Macher:innen sind auf der FMX mit einem Making-of zu Gast. Der Kinofilm „Fritzi – Eine Wendewundergeschichte“, war damals, 2015, bei den APDs. Mir geht es hier aber nicht nur um die Vernetzung zu den anderen Veranstaltungen, sondern auch darum, zu zeigen, dass Animation nicht nur für Kinder ist, sondern auch politisch sein kann, Geschichte vermittelt – und trotzdem unterhaltsam und nicht anstrengend ist.

Die Sichtbarkeit von Animationsfilm für Erwachsene fehlt hierzulande. Das ITFS ist eine ideale Bühne dafür…

Annegret Richter: Absolut! Der größte Teil des Festivalangebots ist Animationsfilm für Erwachsene. Die Kurzfilme unseres internationalen Wettbewerbs, die Königsdisziplin für die Branche, zeigen gut, was Animation leisten kann. Für das breite Publikum ist eher unser Open-Air-Programm. Mit den dort programmierten Filmen wollen wir die Bevölkerung der Region ansprechen. Es gibt Kurzfilme aus Europa, Langfilme für Kinder am Nachmittag und Langfilme am Abend für Erwachsene wie „Nayola“, „Four Souls of Coyote“ oder Katrin Rothes „Johnny & Me“, alles eher anspruchsvolle Arthousefilme, wobei wir auch durchaus Disney Filme wie „Wish“ und „Elemental“ im Programm haben. Mir ist wichtig: Animation ist auch, aber eben nicht nur Kinderunterhaltung und kann alle Themen ansprechen, die unsere Gesellschaft berühren!

31. ITFS

•Das 31. Internationale Trickfilm-Festival Stuttgart findet vom 23. bis 28. April statt
•Heike Mozer und Annegret Richter bilden die neue Doppelspitze
•Im Programm des ITFS werden mehr als 400 Filme im Kino und über 100 Filme auf dem Open Air aus 34 Ländern zu sehen sein
•Gemeinsam mit der FMX und den APDs (Animation Production Days) wird die „Stuttgart Animated Week“ ausgerufen
•Ein Highlight ist die Weltpremiere der Serie „Fritzi und Sophie – Grenzenlose Freundschaft“ (Regie: Ralf Kukula, Matthias Bruhn, Thomas Meyer-Hermann)

Interessant ist, dass die diesjährige Auswahl viele Stop-Motion-Filme beinhaltet und keinen einzigen Film, der mit KI entstanden ist… 

Annegret Richter: Wir hatten zwei, drei mit Hilfe von KI entstandene Filme, die eingereicht waren, die uns aber nicht überzeugt haben. Es gibt durchaus tolle Filmschaffende, die mit KI arbeiten und diese für ihre Werke nutzen. Ich persönlich sehe KI zum heutigen Stand immer noch als Werkzeug. Die Filmauswahl hat uns 2024 gezeigt, dass KI mit dem, was sich Menschen ausdenken können, (noch) nicht konkurrieren kann. Ob sich bereits jetzt eine Art Gegentrend entwickelt, weil viele Filmkünstler:innen im Animationsbereich wieder verstärkt haptisch arbeiten, Stop Motion nutzen, Puppenanimation, Filz oder Cutout, ist zu früh zu beantworten. Aber möglicherweise. Es ist uns auf jedenfalls aufgefallen bei den Einreichungen.

Sie widmen auch dem deutschen Animationsfilmschaffen einen Schwerpunkt. Wie hat sich die Branche hinzulande entwickelt?

Annegret Richter: Uns ist es ein großes Anliegen, der deutschen Animationsfilmbranche in Stuttgart wieder eine größere Bühne zu geben. Ich habe den Eindruck, dass viele gar nicht wissen, wie abwechslungsreich und vielfältig das Schaffen in Deutschland ist, weil es einfach wenig Räume für die Präsentation von Animationsfilm gibt. Deshalb soll das ITFS verstärkt Schaufenster auch für die deutsche Animation sein. Die deutsche Animationsfilmbranche steht nicht schlecht da. Klar, der Kurzfilmbereich ist massiv unterfinanziert, aber das ist ein anderes Thema. Aber mit dem Wenigen, was da ist, entstehen großartige Filme, die sich durchaus sehen lassen können im Vergleich zu den z.B. gutfinanzierten französischen oder niederländischen Filmen. 

Bei den Langfilmen ist die Unterfinanzierung sicher auch Thema…

Annegret Richter: Sicher! Die deutschen Langfilme entstehen meist als internationale Koproduktion, vorwiegend im Kinderbereich. Anders wären sie nicht finanzierbar. Ob Kurz- oder Langfilm: Die deutsche Animationsfilmbranche hat damit vor allem international schöne Erfolge. Das Problem der Sichtbarkeit, Wahrnehmung und Auswertung herrscht vor allem im eigenen Land. 

Sie sind auch Geschäftsführerin der AG Animationsfilm. Das Finanzierungsthema ist sicherlich nur ein Bereich, der Sie dort beschäftigt…

Annegret Richter: Es ist wahnsinnig wichtig, die politische Situation allgemein, aber auch die Kulturpolitik des Bundes und der Länder einschätzen zu können. Meine Arbeit in der AG Animationsfilm hilft mir diesbezüglich sehr. Natürlich ist das FFG und der Referentenentwurf „talk of the town“. 

Uns ist wichtig, dass der Kurzfilm in der Referenzförderung, aber auch in der kulturellen Förderung, von der man ja noch gar nicht weiß, wie sie aussehen wird, nicht untergeht. Die Kurzfilmförderung, die der Bund zur Verfügung stellt, ist mit 500.000 Euro für alle Arten von Kurzfilm, viel zu wenig. Davon werden in anderen Ländern zwei Filme gemacht. Das zweite wichtige Thema für uns ist der Talentfilm, der Nachwuchsfilm. Animation hat einfach andere Bedingungen als Live Action oder Dokumentarfilm. Die Talente kommen aus den Unis, haben Kurzfilme gemacht und sollen dann einen 90-Minüter vorlegen. Das bekommt man als Neuling nicht produziert und auch nicht umgesetzt, weil die Erfahrung fehlt. Deshalb fordern wir Formate von 24+, was bei Creative Media in der EU schon etabliert ist. Das wäre ein Zwischenformat, in dem man sich als Talent weiterentwickeln kann. Doch dafür müssten die Sender und Förderer an einem Strang ziehen. Diese Filme müssten auch als vollwertige Filme gelten, und zum Beispiel für die Aufnahme in der deutschen Filmakademie anerkannt werden. Es gibt für die Animationsbranche einfach viele Probleme, die aufeinander aufbauen und die es zu berücksichtigen gilt. Beim Festival werden wir sicher auch in Zukunft versuchen, auf wichtige Entwicklungen aufmerksam zu machen und eine Plattform für den Dialog zu bieten.  

Das Gespräch führte Barbara Schuster